Die Grossbank Credit Suisse hat letzte Woche eine Mitteilung an die Medien versandt mit dem eher allgemein gehaltenen Titel: "Credit Suisse in der Schweiz leitet nächste Phase der Strategieumsetzung ein: Fokussierung der Geschäftseinheiten und Wachstumsinvestitionen".
Die ausführlich Medienmitteilung erklärt auf mehreren Seiten, was unter Fokussierung zu verstehen ist. Unter anderem sind zahlreiche Kennziffern enthalten und auch viel Organisatorisches, das auf neue Beine gestellt werden soll.
Eine bemerkenswerte Information, unter dem nicht sehr spektakulären Titel und Begriff "Direct Banking", kommt im mittleren Teil der umfangreichen Mitteilung. Diese Information ist in ihrer Dimension und Wirkung zwischen "interessante Ankündigung" und "brisantes Projekt mit Sprengkraft" angesiedelt, da sind wir von der Redaktion uns noch nicht ganz einig.
Deshalb bringen wir diesen Teil der Ausführungen im Original-Wortlaut als Auszug aus der Medienmitteilung, was wir so gut wie nie tun. In diesem besonderen Fall aber schon, um nicht mit eigenen Interpretationen vorzugreifen.
Interessante Ankündigung oder Projekt mit Brisanz und Sprengkraft?
Im Folgenden die Ausführungen der CS-Verantwortlichen im Original-Wortlaut:
Konsequente Ausrichtung des Geschäftsmodells auf veränderte Kundenansprüche
Banken sind heute mit diversen Herausforderungen und einem veränderten Marktumfeld konfrontiert, geprägt durch Negativzinsen, erhöhten Margendruck, Digitalisierung, neue Mitbewerber und durch ein sich wandelndes Kundenverhalten hinsichtlich Ansprüchen in Bezug auf Technologie («high-tech») und Beratung bei komplexeren Bedürfnissen («high-touch clients»). Zudem ist der Marktanteil der Credit Suisse im schweizerischen Retailbanking und bei jungen Bankkunden tendenziell tiefer als in den meisten anderen Kundensegmenten.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Credit Suisse entschieden, das Geschäftsmodell ihrer Schweizer Einheit anzupassen und substanzielle Investitionen zu tätigen. Insbesondere werden ab dem 1. September 2019 Retail- und Gewerbekunden, die vorwiegend Basisdienstleistungen und -produkte in Anspruch nehmen, in der neuen Geschäftseinheit «Direct Banking» betreut. Darüber hinaus nimmt die Swiss Universal Bank weitere organisatorische Anpassungen vor und wird über die nächsten drei Jahre Investitionen in einem hohen dreistelligen Millionenbereich in die Digitalisierung, die Kundenberatung und in das Marketing tätigen.
«Direct Banking»: Zugang zu Basisdienstleistungen wird vereinfacht und weiter ausgebaut
Ziel der neuen Einheit «Direct Banking» ist es, sich ausschliesslich auf Privat- und Gewerbekunden zu konzentrieren, die vorwiegend Basisprodukte beanspruchen. Ein neues, bedürfnisgerechtes Produkt-und Dienstleistungsangebot wird künftig einen einfacheren, schnelleren Zugang zu Bankdienst-leistungen bieten. Digitale Lösungen sollen mit persönlicher Beratung optimal kombiniert und die Attraktivität der Credit Suisse als Bankpartner auch in Zukunft sichergestellt werden. Zudem soll der Marktanteil in den von «Direct Banking» betreuten «high-tech»-Segmenten substanziell gesteigert werden.
Anders als andere Mitbewerber setzt die Credit Suisse ergänzend zu digitalen Lösungen künftig einen noch stärkeren Fokus auf persönliche Kontaktmöglichkeiten. Unter anderem wird die Verfügbarkeit der telefonischen Beratung durch Mitarbeitende in den Service Centers sowohl zeitlich als auch personell ausgebaut. Dieser Service wird komplementiert mit zusätzlichen, digitalen Interaktionsmöglichkeiten sowie mit persönlicher Beratung im regional breit abgestützten Geschäftsstellennetz. Nähere Informationen zum neuen Angebot und Filialkonzept folgen in der ersten Jahreshälfte 2020.
Leiter der neuen Geschäftseinheit, in der rund eine Million Retail- und 60’000 Gewerbekunden betreut sowie über 500 Mitarbeitende arbeiten werden, wird Mario Crameri. Er verantwortete bisher den Bereich IT & Operations der Swiss Universal Bank und war davor in verschiedensten Führungspositionen in der Finanzindustrie tätig, davon 17 Jahre bei der Credit Suisse. Im Rahmen seiner neuen Funktion wird Mario Crameri Mitglied der Geschäftsleitung der Credit Suisse (Schweiz) AG und der Division SUB. Die Bereiche IT und Operations werden künftig separat geführt, unter der Leitung von Kirsten Renner bzw. Daniel Eggenschwiler. Beide werden direkt an den COO der Swiss Universal Bank, Robert Wagner, rapportieren.
Was heisst das jetzt genau?
Die Medieninformation ist nicht sibyllinisch gehalten, aber in den möglichen Dimensionen bleibt sehr viel Raum für Interpretationen.
Im Kern sind, neben mehreren denkbaren Zwischenstufen in Grautönen, zwei in Schwarz oder Weiss gehaltene Modelle möglich:
Szenario A: Interessante Ankündigung mit Auswirkungen in mehreren Bereichen
Die CS nimmt einen "hohen dreistelligen Millionenbetrag" in die Hand und baut in den nächsten drei Jahren in mehreren Bereichen eher massiv aus. Dabei will die Bank digital optimieren und mit erweiterten Angeboten verstärkt bei jungen Zielgruppen punkten, um mit neuen Leistungen den digitalen Herausforderern, Challenger-Banken und Big Techs entgegenzutreten.
Szenario B: Brisantes Projekt mit Sprengkraft und die Neuerfindung der digitalen Bank
Die CS hält sich nicht mit digitalem Optimieren auf, sie nutzt den hohen "dreistelligen Millionenbetrag" unter der Führung des IT-Spezialisten Mario Crameri, um auf der grünen Wiese eine völlig neue digitale Bank auf die Beine zu stellen. Neue Geschäftsmodelle, neu gedachtes Kernbankensystem für die Digitalbank und mehr inklusive. Im Klartext: Die CS beantwortet die wachsende Zahl der Herausforderer und Challenger-Banken wie Revolut, N26, Yapeal, Neon, Monzo, Atom, Starling und andere mit einer eigenen digitalen Challenger-Bank.
Ob das Szenario A oder B am Schluss des neuen Schwungs der CS Gestalt annimmt, wird man sehen. Nicht erst am Schluss und nach drei Jahren, beide Szenarien machen Geräusche und hinterlassen bereits bei der Entstehung konkrete Spuren. Das Szenario B produziert allerdings deutlich mehr Lärm und wird mit zahlreichen Begleiterscheinungen schneller sichbar.
Wie hoch ist ein "hoher dreistelliger Millionenbetrag"?
Banken neigen bei der Nennung von Investitions-Grössenordnungen eher zur Zurückhaltung. Wird ein dreistelliger Millionenbetrag von der CS selbst als hoch bezeichnet, ist er wahrscheinlich deutlich von einer halben Milliarde entfernt, er könnte folglich auch knapp unterhalb einer Milliarde liegen. Dazu kommt, in der aktuellen Phase sind die kalkulierten und budgetierten Planungs-Grössenordnungen im Gespräch – Überraschungen, Notwendigkeiten und spätere Nachtragsbudgets sind noch nicht eingeschlossen.
So oder so, mit einem Betrag in der Region von einer knappen Milliarde Schweizer Franken lässt sich sehr viel neue digitale Bank denken, konzipieren und bauen. Mit allem, was dazugehört.
Was sagt der CEO zu den neuen Plänen?
Das Statement von Thomas Gottstein, CEO der Swiss Universal Bank und der Credit Suisse (Schweiz), weist eher in Richtung von Szenario B:
«Die neue Geschäftseinheit ist unsere Antwort auf das in den letzten Jahren deutlich veränderte Marktumfeld. Den Status Quo beizubehalten war keine Option. Dies auch in der Überzeugung, dass künftig nicht das grösste Filialnetz, sondern das beste digitale Angebot bei gleichzeitiger Verfügbarkeit von zeit- und standortunabhängiger Beratung sowie der besten Servicequalität über den langfristigen Erfolg entscheidet. Mit Mario Crameri konnten wir einen absoluten Profi mit einem breiten beruflichen Hintergrund für die Leitung der neuen, stark digital geprägten Geschäftseinheit gewinnen.»
Neue Bewegung in der Finanzbranche
Ob Szenario A oder B, die Pläne der Credit Suisse bringen sehr viel zusätzliche Bewegung in die Finanzbranche. Natürlich für die CS selbst, vor allem jedoch auch für andere Banken, die verstärkt unter Zugzwang geraten. Die neue Bewegung trifft auch Unternehmen innerhalb der FinTech- und Startup-Szene. Mit der CS ist ein Schwergewicht unterwegs, das von allen Seiten betrachtet als Konkurrent oder auch als Partner gesehen werden kann. Letzteres, weil die CS nicht alles aus eigener Kraft stemmen wird, Teile von Know-how, Innovation oder auch Technologie werden eingekauft. Dies könnte sich vor allem für FinTechs und innovative Startups positiv auswirken.
Im Falle der Vision einer neuen Bank, konzipiert und erbaut auf der grünen Wiese, wäre anzumerken, dass es unglaublich lange gedauert hat, bis sich eine der grossen Banken dazu bekennt, selbst eine Challenger-Bank in den Markt zu stellen. Um damit der massiv zunehmenden Disruption von aussen mit dem Mut zu begegnen, die Disruption von innen in Gang zu setzen.
Greift "nur" das Szenario A, werden die damit verbundenen Projekte ebenfalls neue und kreative Unruhe schaffen. Sicher mit etwas weniger Lärm und weniger tiefen Spuren, neue Bewegung jedoch ist so gut wie sicher.
Die theoretische Frage, ob eine traditionelle Grossbank mit ihrer über Jahrzehnte gewachsenen DNA in der Lage ist, wie ein Startup zu denken und wie eine Challenger-Bank zu funktionieren, braucht nicht gestellt zu werden. Weil die Antworten zur nicht gestellten Frage in der Praxis und im Markt sichtbar werden. Bald schon. Und laufend innerhalb der nächsten Jahre.