Der Moment, in dem ich zu FinTech gekommen bin, ist mir noch in guter Erinnerung: Ein Kollege textete mir, nachdem er von meinen neuen Plänen erfahren hatte: "You’re Fintech now, dude". Ich googlete zur Sicherheit nochmals nach. Ok, dann nennt sich das halt FinTech. Was da als etwas Neues verkauft wurde, war aus meiner Aussen-Sicht doch etwas völlig Natürliches. Alles wird Tech, was soll daran speziell sein.
Vor dem Sturm
Rasch realisierte ich dann, dass FinTech wohl mit der Selbstwahrnehmung der Branche zu tun hatte. Tech und was man damit in Bezug auf neue Businessmodelle machen kann, war für viele in der Finanzbranche tatsächlich neu und bahnbrechend. Selbst heute staune ich manchmal, wie doch recht distanziert man immer noch bezüglich neuer Chancen und Möglichkeiten ist.
Und, als Outsider, habe ich auch schnell realisiert, dass der grosse Umbruch dieser Branche erst bevorsteht. In den vergangenen 24 Monaten durfte ich mich mit vielen Vertretern der Finanzbranche austauschen und ich bin zur Erkenntnis gelangt, dass vielerorts das Bewusstsein für den Ernst der Lage deutlich fehlt. Das mag daran liegen, dass die Ertragslage bei vielen Instituten nach wie vor relativ gut ist. Die meisten Menschen reagieren ja bekanntlich erst, wenn bereits erhebliche Schmerzen da sind.
Der Ernst der Lage ist rasch umrissen: ein Zinsniveau, das niemals wieder zurückfinden wird auf ein Level, auf das man ein anständiges Business aufbauen könnte, eine rapide sinkende Zahlungsbereitschaft für Commodity/Banking-Dienstleistungen, Märkte die immer volatiler werden und der Markteintritt von neuen Playern, die sich nicht mehr nach alten Mustern kategorisieren lassen.
Die üblichen Verdächtigen
Als ich vor längerem mit jemandem von einer deutschen Bank über die Herausforderungen der Finanzbranche sprach, hat mir mein Gesprächspartner ungefragt erzählt, dass er "keine Angst vor Revolut und was auch immer habe". Auf meine Frage, ob er denn Angst vor Apple und Amazon hätte, sieht er mich ratlos an: "Was sollen den Apple oder Amazon machen?". – Ich denke jedoch, dass bereits vor zwölf Monaten absehbar war, dass diese beiden Player in die Finanzindustrie kommen werden. Warum das nicht schneller vorwärtsgeht, hat wohl einen perfiden Grund: diese neuen Anbieter liegen auf der Lauer und warten, bis verschiedene Bedingungen geschaffen sind, um das Feld zu übernehmen.
Eine der Bedingungen ist wohl, dass die Krypto-Technologie entsprechend weiter etabliert sein muss. Eine weiterer Punkt ist, dass die Finanzbranche per se weiter geschwächt sein muss, um einen möglichst einfachen Einstieg zu ermöglichen. Denn im Moment sind Apple und Amazon noch immer wesentlich von den Banken abhängig. Aber man darf sich nichts vormachen, wir werden Amazon und Apple schon sehr bald als relevante Player sehen. Müsste ich wetten, würde ich von 24 Monaten sprechen.
Und natürlich wird das Angebot im Vergleich zu heutigen Angeboten der etablierten Player erstmal unwesentlich sein. Die Gefahr liegt darin, genau das zu unterschätzen, auf Marktanteile, anstatt auf Wachstumsraten zu achten und nicht schnell genug zu reagieren. Wir kennen das aus anderen Branchen.
Open Finance ist die Zukunft
Ich bin als Kind des Open Source der Überzeugung, dass immer dann grossartige Dinge entstehen, wenn man möglichst offen miteinander arbeitet. Wenn man sozusagen in Coopetition zueinandersteht. Zwar ist die Bereitschaft, gerade von Banken, mittlerweile sehr gross, mit FinTechs zusammen zu arbeiten, aber die Aufwände dafür sind für beide Seiten immer noch gigantisch. Das macht alles träge, teuer und sorgt im Endeffekt dafür, dass die gemeinsamen Lösungen sehr oft so ein wenig "lauwarm" sind für den Endkunden.
Es wird ganz oft einfach auch viel zu viel geredet, zu wenig entschieden und darum auch zu wenig gemacht. Das soll jetzt bitte auch nicht als genereller Vorwurf an die Banken verstanden werden – ich verstehe die Bedenken und Risiken aus Banken-Sicht gut. Allein, das bringt halt niemanden weiter.
Ich denke, was fehlt ist die Basisinfrastruktur, um genau diese einfache Zusammenarbeit zu ermöglichen. Das ist zum einen auf einer technischen Ebene relevant. Aber eben nicht nur; auch in der Dimension Legal & Compliance und im Business sollte es Standard-Use-Cases geben, welche eine einfache Zusammenarbeit ermöglichen. Eine solche Basisinfrastruktur wäre als digitaler Marktplatz für alle Akteure zu sehen. Damit können sämtliche Player viel schneller und günstiger bessere Use-Cases für ihre Kunden bauen. Es tönt paradox, ist aber nur logisch: erst durch die offene Zusammenarbeit wird es für die bewährten Player möglich, in die Zukunft zu gehen.
In gewissem Sinne ist die Veränderung vergleichbar mit jener im Software-Bereich. Vor 20 Jahren wollten die grossen Software-Hersteller mit Lock-in-Effekten und einer "Winner-takes-it-all"-Mentalität ihre Gebiete abstecken. Das hat aber mit dem Aufkommen von Open Source immer schlechter funktioniert und dazu geführt, dass alle grossen Player auf Open Source gesetzt haben. Ich behaupte, es ist dieser offenen Kultur geschuldet, dass die meisten jener Player noch immer eine relevante Stellung im Markt haben.
Daneben ist ein regelrechter Jungle von kleineren Anbietern entstanden, von welchen viele in verschiedenen Dimensionen verknüpft werden können. Man kann sich heute vergleichsweise schnell und einfach ein Set aus verschiedenen Applikationen zusammenstellen und verbinden. Warum sollte das im Bereich Finance nicht möglich sein?
Ich denke, diese Art von offener Zusammenarbeit – Open Finance – ist zukunftsweisend und ein Modell, das sich FinTech-Startups und Banken gleichermassen auf die Fahnen schreiben sollten. Natürlich braucht das für Banken viel mehr Mut als für FinTech-Startups. Die Alternative jedoch, sich abzukapseln und einzumauern, führt wohl direkt ins Verderben.