Wie Künstliche Intelligenz den Online-Betrug bekämpft

Junge Frau am Laptop beim Bestellen in einem Online-Shop
Bild: Unzer

Im Onlinehandel steigt die Zahl der Delikte rasant an. Künstliche Intelligenz (KI) kann helfen, Betrugsfälle zu erkennen und zu reduzieren.

Jeden Tag werden in deutschen Geschäften Waren im Wert von über 11 Millionen Euro gestohlen. Doch nicht nur der stationäre Handel ist betroffen – auch online steigt die Zahl der Delikte rasant an. Künstliche Intelligenz (KI) kann helfen, Betrugsfälle zu erkennen und zu reduzieren.

Seit Jahrzehnten geht der Handel gezielt gegen Ladendiebstahl vor. Laut einer aktuellen Studie verlieren Einzelhändler jedes Jahr etwa 4.1 Milliarden Euro durch Diebstahl (Quelle: EHI). Keine Bagatelle, doch gemessen am Nettoumsatz von 563.6 Milliarden Euro im Jahr 2023 (Quelle: HDE) liegt der Anteil im Promillebereich.

Verglichen damit lauert im Onlinehandel eine deutlich grössere Gefahr für Einkommenseinbussen. Das amerikanische Marktforschungsunternehmen Juniper Research schätzt die Gesamtkosten des E-Commerce-Betrugs für Händler im Jahr 2023 auf rund 48 Milliarden US-Dollar. Genaue Zahlen für Deutschland liegen nicht vor, doch Schätzungen gehen davon aus, dass E-Commerce-Unternehmen jährlich etwa drei Prozent ihres Umsatzes durch Betrug verlieren (Quelle: Cybersource).

Wie KI den Trend brechen kann

Die Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz könnten diesen Trend nun stoppen. KI-basierte Betrugserkennungssysteme verarbeiten enorme Datenmengen und bewerten in Millisekunden hunderte Merkmale einer Transaktion, um die Betrugswahrscheinlichkeit zu ermitteln. Dabei bleibt der Kaufprozess für den Kunden unbemerkt. Trotz der Echtzeitprüfung ist die Fehlerquote dieser Systeme bereits heute minimal.

Dabei geht es nicht nur um einzelne Transaktionen, sondern auch um ungewöhnliches Verhalten von Nutzern über einen gewissen Zeitraum hinweg. Zu welchen Uhrzeiten kaufen sie? Von welchen Orten greifen sie auf die Webseite zu? Welche Zahlungsmethoden nutzen sie? Vergleichbar mit Kaufhausdetektiven, die bereits seit Jahrzehnten in Ladengeschäften im Einsatz sind, müssen Händler auch im E-Commerce darauf achten, wie sich Kunden im Netz "bewegen".

Verhaltensbasierte Biometrie als Zukunft

Selbst Identitätsdiebstahl lässt sich auf diese Weise aufdecken: KI erkennt relevante Abweichungen im Kundenverhalten und entwickelt in Kombination mit weiteren Datenpunkten wie Kaufhistorie und Transaktionsmetadaten präzise Risikoindikatoren dafür, ob eine Transaktion wahrscheinlich zu einer Rückbuchung führt oder nicht. 

Eine vielversprechende Entwicklung ist in diesem Zuge die verhaltensbasierte Biometrie. Diese macht sich die Tatsache zunutze, dass die tastendruckbasierte Tippweise einer Person so individuell wie ein Fingerabdruck ist. Anders als bei der klassischen Biometrie, die auf physischen Merkmalen wie Gesicht oder Fingerabdruck basiert, werden hier also Verhaltensmuster analysiert. Dazu zählen je nach Gerät beispielsweise die Tippgeschwindigkeit, der Tastendruck, die Ausrichtung und Bewegung des Smartphones oder welche Tastaturbereiche genutzt werden. Diese Daten können helfen, die Identität eines Nutzers sicher zu verifizieren und Betrug vorzubeugen.

KI macht Zahlungen sicherer und fairer

Zahlungsdienstleister setzen diese KI-Verfahren bereits erfolgreich ein. Auch bei Unzer nutzen wir selbst entwickelte KI-basierte Modelle, um ungewöhnliches Verhalten frühzeitig zu identifizieren. Unsere interne Risikoplattform ist bereits KI-gesteuert, da sie mit einer KI-Risiko-Engine ausgestattet ist, die betrügerische Zahlungen im Buy Now Pay Later (BNPL)-Segment erkennen kann. Allein im Jahr 2024 wurden mehr als 30'000 Zahlungen im Wert von mehr als 10 Millionen Euro von unserer KI für BNPL blockiert. Künftig wollen wir die KI in der Risikobewertung für andere Zahlungsmethoden wie Kreditkarte und SEPA-Lastschrift ausweiten.

KI macht Zahlungen jedoch nicht nur sicherer, sondern auch fairer. Der Grund: Im Gegensatz zu 
​traditionellen Methoden der Betrugserkennung basieren KI-gestützte Risk Engines nicht auf starren Regeln, sondern lernen aus vorangegangenen Transaktionen. 

Drei Beispiele verdeutlichen dies: Eine Kreditkarte von einer nigerianischen Bank ist bei einem deutschen Händler vielleicht selten, muss aber nicht auf einen Betrug hindeuten. Eine Person, die nachts um zwei Uhr Turnschuhe bestellt, arbeitet vielleicht im Schichtbetrieb, kommt von einer Party zurück oder hat einfach Schlafstörungen. Und eine Person, die in einer berüchtigten Gegend wohnt, kann dennoch kreditwürdig sein. 

KI kann hier in aller Regel differenzierter vorgehen als regelbasierte Methoden, die im Zweifel lieber eine Transaktion zu viel verhindern als eine zu wenig.

Händler müssen ihr eigenes Risiko verstehen

Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass man Betrug nie ganz verhindern können wird. Besonders schwer zu erkennen ist der sogenannte "freundliche Betrug". Dieser liegt vor, wenn Kunden eine legitime Transaktion anfechten und behaupten, sie hätten den Kauf nicht autorisiert, das Produkt nicht erhalten oder es entspräche nicht der Beschreibung. In diese Kategorie fällt beispielsweise ein Kind, das die Kreditkarte der Eltern benutzt, ohne dass diese es mitbekommen. Aber auch Personen, die eine Rückerstattung verlangen, obwohl sie die Ware fristgerecht bekommen haben.

​Wichtig ist daher, dass Händler ihr Risiko kennen und auch den E-Commerce so durchdenken wie das Präsenzgeschäft. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz kann helfen, Betrug frühzeitig zu erkennen und zu reduzieren. Auch wenn Betrug nie vollständig verhindert werden kann, ist die Integration von KI ein entscheidender Schritt in Richtung eines sichereren Onlinehandels.

Der Autor: Jacob von Ingelheim

Jacob von Ingelheim, Chief Risk and Transformation Officer (CRTO) bei Unzer

Jacob von Ingelheim ist Chief Risk and Transformation Officer (CRTO) bei Unzer, einem FinTech für Zahlungs- und Softwarelösungen.

Mit seiner umfangreichen Erfahrung gestaltet er massgeblich die laufenden Integrations- und Transformationsprozesse, nachdem Unzer innerhalb weniger Jahre mehrere Unternehmen gekauft hat. Zudem verantwortet er das Risikomanagement. Vor Unzer war Jacob in Führungspositionen bei BillPay, Sofort und Klarna tätig, wo er wertvolle Einblicke in die Zahlungsindustrie gewann.