Ursprünglich erfunden und entwickelt von Postfinance, ist die Trägerschaft von Twint seit der Fusion von Paymit und Twint (2016) breiter aufgestellt. Heute ist Twint die App und die mobile Bezahllösung der Schweizer Banken.
Diese Allianz ist mit ein Grund, weshalb sich Lösungen wie Apple Pay (im Markt seit Juli 2016), Samsung Pay (seit Mai 2017) oder auch Google Pay (aktuell noch nicht im Schweizer Markt) in der Schweiz schwertun, mehr als ein halbes Bein auf den Boden zu bekommen. Die Lösungen der Big Techs werden bisher von der Mehrzahl der Schweizer Banken nicht unterstützt.
Mit Worldline zur Internationalisierung?
Neben den grössten Schweizer Banken ist SIX mit im Boot von Twint. Seit dem Verkauf der SIX Payment Services an die französische Worldline und mit der strategischen Partnerschaft der beiden Unternehmen, sind auch die Franzosen mit einem beachtlichen Anteil von 20 Prozent an Twint beteiligt. Diese überraschend hohe Beteiligung von Worldline könnte für Twint ein Schritt in Richtung einer Internationalisierung bedeuten. Ein wichtiger Schritt, weil eine App, die nur in der Schweiz eingesetzt werden kann, wenn überhaupt und auf Dauer, bestenfalls die zweite Geige spielen wird.
Der SIX-Deal und die Worldline-Beteiligung stehen aktuell noch unter dem Vorbehalt, dass die als verbindlich bezeichnete Vereinbarung zwischen SIX und Worldline vom 15. Mai 2018 als Transaktion wie geplant bis Ende Jahr abgeschlossen wird.
Nach einem Bericht des Wirtschaftsjournalisten Lukas Hässig im Branchenportal Inside Paradeplatz soll das Closing des Verkaufs aufgrund von neuen Uneinigkeiten zum im Mai 2018 vereinbarten Preis (2,75 Milliarden Franken) bereits mehrfach verschoben worden sein. Dies soll nach Angaben von SIX allerdings keine Auswirkungen auf die finale Abwicklung der Transaktion haben. Die von Inside Paradeplatz in Frageform platzierte Vermutung: "Lassen Franzosen Deal platzen?", wird im selben Artikel von einem SIX-Sprecher dementiert, der Deal soll definitiv im 4. Quartal 2018 über die Bühne gehen.
Wo steht Twint heute?
Unabhängig von der alten oder neuen Trägerschaft hat Twint Anfang November ein Update zum aktuellen Stand und zu weiteren Entwicklungen geliefert. Das Wesentliche im Überblick.
Twint in Zahlen
Vergleichbare Zahlen und Fakten zu Nutzern und Transaktionen liefert Twint nur in unregelmässigen Abständen. Wurde im November 2017 die 500'000ste Kundin gefeiert und hatten wir im Juni 2018 aufgrund von Twint-Angaben noch 930'000 Nutzer notiert, kommt die aktuelle Zahl von "mittlerweile über einer Million Nutzerinnen und Nutzer" fast in einem Nebensatz. Twint macht keine Angaben, ob sich die geknackte Millionenmarke auf Registrierungen bezieht oder tatsächlich auf aktive Nutzer.
Und eine Zahl dazu: Mit neuen Partnern und Vereinbarungen wird die Zahl der Twint-Akzeptanzstellen mit inzwischen 75'000 angegeben.
Twint in der Migros
Seit dem Ja-Wort der Migros zu Twint im Januar 2018, kann Twint seit März 2018 in der Migros App eingesetzt werden. Aktuell kommuniziert Twint die Neuerungen im Zusammenhang mit der Migros-Kooperation, welche seit 1. November 2018 greifen:
Per 1. November kann in über 800 Migros Filialen und über 10'000 Kassen zusätzlich via QR-Code am Zahlterminal mit Twint bezahlt werden. Damit erweitert Migros den Einsatz der Mobile Payment-Lösung Twint. Neben den Supermärkten der Migros (inkl. VOI und Migros Partnern) wurde die Bezahllösung auch in den Fachmärkten Melectronics, SportXX, Do it + Garden, Micasa, Bikeworld und Interio (nur via M-App) an der Kasse und online integriert.
SBB ziehen 2019 nach
Ab 5. Januar 2019 können auch die täglich über 1,26 Millionen Kundinnen und Kunden der SBB mit Twint bezahlen. Anfänglich steht den Fahrgästen dieser Service auf SBB Mobile und SBB.ch zur Verfügung. Die Billettautomaten und Reisezentren sollen bis Mitte 2019 folgen.
Nespresso und mehr
Bis Ende 2018 kommt auch Nespresso mit an Bord, im Online Shop und in den Nespresso-Boutiquen kann über Twint bezahlt werden.
Zudem sind in den letzten Monaten weitere Anbieter mit dabei, nach Angaben von Twint zum Beispiel: Ochsner Sport, Sprüngli, Fleurop, DeinDeal/My-Store, Terre des hommes, Tamedia und Chicorée.
Markus Kilb, CEO von Twint, freut sich über die Entwicklung und meint:
Zusammen mit diesen starken Playern der Schweizer Wirtschaft schaffen wir für unsere Nutzerinnen und Nutzer neue Möglichkeiten, die Vorteile von Twint noch stärker in ihren Alltag zu integrieren
Wird Postfinance zur Twint-Konkurrentin?
Nach einem Bericht von Redaktor Michael Helm in der Handelszeitung: Ja. Helm bezieht sich auf ein Gespräch am Rande einer Fachtagung mit Lead Innovator David Kauer von Postfinance. Demnach soll kommendes Jahr die Postfinance App wegweisend aufgerüstet werden.
Kunden sollen nächstes Jahr alle ihre Karten, Debit- und Kreditkarten, in die App laden und damit in sämtlichen Läden bezahlen können, die kontatklose Karten akzeptieren. International und weltweit. Ander als bei Twint, so David Kauer gegenüber der Handelszeitung, sei für Kunden ein simples Handling übers Smartphone nach der Rezeptur von Apple Pay vorgesehen. Kontaktlos eben, Bestätigung der Transaktion über Fingerprint, fertig. Und: Kunden sollen in der App selber festlegen können, welche Karte beim Bezahlen jeweils automatisch zum Einsatz kommt.
Zudem, ebenfalls ein interessantes Feature, soll es möglich sein, physische Karten (Plastic) und die elektronische Ausgabe in der App (Smartphone) separat zu sperren. Damit könnte beim Verlust einer physischen Karte, welche gesperrt wird, die elektronische Version in der App weiterhin genutzt werden. So geplant und vorgesehen für Android Smartphones – Apple blockt in den iPhones für Drittanbieter aktuell noch die NFC-Funktion, die für kontaktlose Zahlungen eingesetzt werden soll.
Interessante Pläne von Postfinance und spannende Features für die App nach Aussagen von David Kauer gegenüber der Handelszeitung – und damit eine sehr direkte Konkurrenz zu Twint.
Positionierung Twint: Internationale Bezahl-App oder Folklore-Variante?
Twint wird eher bald Farbe bekennen müssen. Mobile Payment kann nicht als Insellösung für die Schweiz betrachtet werden. Die erste Wahl für Kunden wird immer eine Lösung sein, die so komfortabel und einfach wie Apple Pay funktioniert und überall dort eingesetzt werden kann, wo der Kunde heute ist und morgen sein wird – in der Schweiz, in den Ausland-Ferien und auf der Reise irgendwo.
Eine reine Schweizer Lösung hat allerdings Chancen als Zweitprodukt, wenn sie unglaublich viel Schweizerisches kann und ausgeprägt Schweiz-typisches bietet. Dann wird das Fallbeil an der Schweizer Grenze möglicherweise akzeptiert, die Lösung positioniert sich damit jedoch bewusst und vorsätzlich als behütete und gepflegte Folklore-Variante einer Bezahl-App mit selbstgesteckten Grenzen.
Vermutererweise ist auch Twint auf dem Weg der notwendigen Internationalisierung. Die hohe Beteiligung von Worldline an Twint unterstreicht diese Vermutung. Wird das Engagement von Worldline durch aktuelle Nachverhandlungen mit SIX nicht infrage gestellt, taucht mit den neuen Plänen von Postfinance allerdings ein zusätzliches Friktions-Element auf, das nicht unbedingt für gute Stimmung bei der Twint-Allianz sorgen dürfte.
Die neue Rolle der Postfinance erhöht den Druck auf Twint
Postfinance prescht vor, wird mit ihrer eigenen App noch vor Twint international und agiert verstärkt in einer Doppelrolle. Einerseits als ursprüngliche Erfinderin von Twint und heutige Aktionärin der Twint AG, welche gemeinsam mit anderen Banken der App zu einer komfortablen und stabilen Flughöhe verhelfen soll. Auf der anderen Seite als Innovatorin und Anbieterin einer eigenen App, welche in Angebot und Funktionen ziemlich sicher noch massiv zulegen wird – über die bereits bekannten Ankündigungen hinaus.
Das erhöht den Druck auf Twint. Und die Frage stellt sich, ob das Postfinance-Herz in analoger Stärke für zwei Apps gleichzeitig schlagen kann. Eher nicht. Sicher kann eine Bank zwei Parallel-Produkte anbieten. Dabei wird es jedoch immer ein Haupt- und ein Nebenprodukt geben. Nur schon um die Frage beantworten zu können, welchem Produkt intern erdachte, neue und starke Funktions- und Feature-Ideen mitgegeben werden sollen. Teilen und damit auch entsprechende Entscheidungs- sowie Ausführungsprozesse in Kauf nehmen – oder Sololauf in eigener Verantwortung, um das eigene Produkt zu stärken?
Da kommt noch mehr
Mit der Beantwortung dieser Fragen ist die Geschichte allerdings noch nicht zu Ende erzählt, da kommt noch mehr. Neben anderen Schweizer Anbietern auch in Gestalt von Big Techs wie Apple Pay, Google Pay oder auch Alipay.
Schon klar, Alipay mit 20 europäischen Ländern auf der Expansions-Landkarte hält weiterhin hartnäckig an der Aussage fest, in Europa nichts zu planen und ausschliesslich chinesische Touristen bedienen zu wollen.
Apple Pay operiert momentan noch an der kurzen Leine, weil die Unterstützung der Schweizer Banken fehlt. Wie dieser fehlende Support unterlaufen werden kann, hat kürzlich Google Pay in Deutschland mit der Kooperation von PayPal und Mastercard demonstriert. Im Resultat auf einen Schlag Zugang zu über 20 Millionen PayPal-Nutzern in Deutschland.
Nicht zu unterschätzen sind die Player, die heute noch nicht allzu viel Lärm machen. Zum Beispiel Wechat Pay, längst in Europa angekommen und vorderhand ebenfalls primär am Geschäft mit chinesischen Touristen interessiert. Auch hier nur eine Frage der Zeit, wann und wie die europäische Bevölkerung in die expansive Strategie mit einbezogen werden soll.
Dass Bezahlfunktionen in Messenger- und Chat-Umgebungen viel Komfort versprechen, ist allgemein bekannt. Deshalb wird der Testmarkt für Whats App Payments nicht auf Grossregionen wie Indien beschränkt bleiben. Und weil Facebook hinter Whats App steht, werden neue Bezahl-Umgebungen auf Dauer kaum isoliert konzipiert, eher in grossen Messenger-Mustern gedacht.
Strategien und Alternativen
Die Schweiz ist ein interessanter, aber eben auch ein kleiner Markt, deshalb oft nicht ganz zuoberst auf der Liste der Expansions-Pläne von Big- und anderen Techs. Das verschafft Schweizer Anbietern Zeit und Raum für Entscheidungen und für das Etablieren ihrer Produkte. Einigkeit innerhalb der eigenen Reihen, klare Strategien und starke Lösungen können helfen, Terrain zu besetzen und die Eintrittshürden für neue Anbieter zu erhöhen.
Das funktioniert allerdings nur dann, wenn die eigenen Produkte für Nutzer in Sachen Komfort und Vielseitigkeit genauso gut oder besser funktionieren, als jene der Angreifer von aussen. Tun sie das nicht, bleibt nur die Positionierung als Zweitprodukt in der Folklore-Variante mit schweizerischer Ausprägung und starken Schweiz-typischen Leistungen. Diese Lücke wird von internationalen Anbietern weder gesehen noch besetzt.