Aber sowas von, sagen beseelte Krypto-Enthusiasten. Etwas Zurückhaltung ist nach wie vor nicht falsch, der Bitcoin pubertiert noch, aber er ist auf guten Wegen.
Dass der Bitcoin noch in der Adoleszenz seine tollkühnen Sprünge macht, hängt weniger mit der Kryptowährung selbst, mehr mit seinen Millionen von unschlüssigen oder nicht berechenbaren Eltern zusammen.
Letztes Wochenende hat der Bitcoin die Marke von 24'000 US-Dollar geknackt. Damit hat er seinen historischen Höchststand vom Dezember 2017 um 4'000 Dollar übertroffen.
Knackt der Bitcoin neue Rekordmarken, reagieren Medien und Blogs mit Nachrichten – aktuell wird von Schreiberinnen und Schreibern eine Flut von News publiziert. Die einen staunen und analysieren, andere warnen und ein beträchtlicher Teil der mitschreibenden Blogger prognostiziert, überwältigt von der eigenen Euphorie, weitere ungebremste Anstiege.
Wirklich erwachsen ist der Bitcoin noch nicht, aber immerhin, das Kleinkind-Stadium und die frühen Jugendjahre hat er längst hinter sich gelassen. Pubertäre Anwandlungen bleiben allerdings weiterhin möglich, aber der Bitcoin ist auf guten Wegen und hat alle Chancen, eher bald erwachsen zu werden. Bis zu dieser Reife wird die Münze, die keine ist, nicht alle Launen ablegen, bleibt für Überraschungen in alle Richtung gut und wird deshalb ihre Geschichte vorderhand noch selbst schreiben.
Was ist heute anders?
Gehypt war der Bitcoin 2017 schon, allerdings von einer sehr viel kleineren Gemeinde. Zudem wurde die Kryptowährung nicht nur gehypt, sondern auch argwöhnlisch beäugt, verhöhnt und sogar gehasst.
Die beträchtliche Zahl der vehementen Kritiker, welche mit Überzeugung, teilweise auch mit Gift und Galle, den früheren oder späteren, aber sicheren Tod des Bitcoin vorausgesagt hatten, sind leise bis still geworden. Übriggeblieben sind nur ganz wenige "Experten", welche nach wie vor glauben, der Bitcoin wäre gekommen, um zu sterben. Das wird er nicht, zumindest verhindert er seinen Tod bereits seit 11 Jahren – und das ziemlich erfolgreich, wie die Entwicklung der letzten Jahre zeigt.
Der momentane Höchststand ist mit dem eingestellten Rekord von 2017 nicht vergleichbar. Der Boden, auf dem der aktuelle Spitzenwert basiert, ist deutlich tragfähiger. Das heisst nicht, dass der Aufstieg ungebremst weitergehen wird. Der Bitcoin kann ohne Weiteres um einige tausend Dollar zurückgehen. Es heisst auch nicht, dass der von inzwischen zahlreichen Analysten prognostizierte Wert Ende 2021 bei 300'000 US-Dollar pro Bitcoin oder sogar höher liegen wird. Es heisst aber, dass realisitisch betrachtet sehr viel mehr in die Reichweite des Möglichen oder Erwartbaren rückt. Warum?
Die Unterstützung für den Bitcoin ist sehr viel breiter geworden
Aktuell und weiterhin zunehmend sind mehr institutionelle Investoren und auch Kleinanleger in Bitcoin und anderen Kryptowährungen investiert. Oft nicht als Daytrader, sondern mit einem langfristigen Horizont. Sie hodln (halten) Bitcoin, weil das Vertrauen in die Währung gewachsen ist, deshalb setzen sie auf eine langfristige Wertentwicklung von Kryptowährungen.
FinTechs waren immer schon im Geschäft als Serviceanbieter. Mehr und mehr traditionelle Banken haben sich inzwischen ebenfalls auf die eine oder andere Weise für Kryptos geöffnet oder werden das noch tun. Dieses Signal sowie die Wirkung als Multiplikatoren stärkt den Bitcoin.
Dazu kommt die Vielzahl der kleineren und grossen Verstärker, die mithelfen, die Position des Bitcoin zu etablieren. Jede Bank, die sich für Bitcoin öffnet, jedes Tech-Unternehmen, das Bitcoin portiert, wie zum Beispiel PayPal (bereits passiert) oder Spotify (überlegt noch) und weitere, hilft mit, dem Bitcoin die notwendige Position im Alltag zu verschaffen. Diese Position ist wichtig, um Kryptowährungen in der Betrachtung breiter anlegender Bevölkerungskreise den Status der Exoten-Währung zu nehmen.
Im Moment deutet alles darauf hin, dass der Bitcoin das Zeug dazu hat, den Weg in diesen wichtigen Alltag zu schaffen. Das war im Rekordjahr 2017 noch nicht der Fall, die Enthusiasten sind mehr oder weniger unter sich geblieben, heute schon, die Bewegung und Unterstützung ist ungleich breiter geworden.
Deshalb ist der Höchststand von 2017 nicht vergleichbar mit der erreichten 24'000 US-Dollar-Marke von letztem Wochenende. Daran wird sich auch nichts ändern, sollte der Bitcoin wieder einige Tausender zurückgehen. Wie gesagt, Pubertierende sind nicht berechenbar – aber das wird schon mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter.
Pragmatische Betrachtungen zum Bitcoin (Auszug aus unserem Artikel vom 14. Mai 2020)
Aus aktuellem Anlass heute deshalb keine technische Betrachtung und auch keine kluge Analyse mit unterstützenden Zahlen und Fakten. Im Folgenden schlicht einige Beobachtungen, welche den Unterschied zwischen einem Phänomen für Nerds und Spezialisten (früher) und einer erkennbaren Breitenbewegung (aktuell auf dem Weg) ausmachen. Diese Beobachtungen zeigen, was der Bitcoin bereits geschafft hat und weshalb die Kryptowährung heute an einem ganz anderen Punkt steht, als noch von ein paar Jahren.
Die Bitcoin-Menge ist limitiert
Sind 21 Millionen Bitcoins geschöpft und auf dem Markt, ist Schluss. Die durch die Halvings langsamer wachsende "Geld"-Menge wird ihren Endpunkt 2040 erreicht haben, danach gibt's keine neuen Bitcoins mehr. Die bestehenden jedoch bleiben da. Im Gegensatz zu Fiatgeld und traditionellen Währungen, deren Menge durch die Zentralbanken jederzeit beliebig verändert werden kann (und auch verändert wird), kann die Zahl der Bitcoins im Umlauf nach 2040 weder vergrössert noch künstlich aufgeblasen werden.
Das beeinflusst den Wert des Bitcoin. So wie Gold nicht endlos geschürft werden kann, was Gold zum "sicheren Hafen" macht, so verhält es sich auch mit dem Bitcoin. Im Gegensatz zu Gold allerdings sogar deutlich konsequenter. Neue Goldvorkommen werden noch gefördert werden können, wenn der Bitcoin sich schon längst mit limitierten 21 Millionen Einheiten bescheidet. Heute steht der Bitcoin bei gut 18 Millionen Einheiten, das heisst 85 Prozent der Gesamtmenge an Bitcoins ist bereits im Umlauf – in den nächsten Jahren werden also nur noch rund 3 Millionen neue Einheiten dazukommen.
Von der Exoten-Währung zum akzeptierten Asset
Pochte das "Experiment Bitcoin" vor Jahren vergeblich an die Türen von traditionellen Banken, sind heute die meisten oder zumindest zahlreiche klassische Banken mit im Bitcoin-Boot – auf die eine oder andere Weise. Ob Bitcoin und Kryptowährungen direkt gekauft und gehalten werden können oder ob verschiedene Anlage-Instrumente angeboten werden, spielt erstmal keine Rolle. Wichtig ist, eine Bank ohne Bitcoin- oder Krypto-Assets hinterlässt enttäuschte Kunden, welche Zugang haben wollen. Deshalb ist der Bitcoin auch für klassische Banken zum Thema geworden.
Anleger und Investoren
Wurde Bitcoin vor einigen Jahren noch als digitales Abenteuer betrachtet, das gerade noch als Spielplatz für Spinner und Hasardeure tauglich ist, sind heute Privatanleger, Family Offices und Institutionelle mit im Spiel. Aufgrund der (auch heute noch) hohen Volatiltität vor einiger Zeit noch primär als handelbares Kurzfrist-Instrument betrachtet, um schnell hohe Gewinne oder hohe Verluste einzufahren, ist der Fokus heute zunehmend auf längerfristige Anlagen ausgerichtet. Dem Bitcoin und einigen anderen Kryptowährungen traut man inzwischen zu, dass sie mittelfristig Kurse und Werte erreichen, die für Überraschungen sorgen können.
Die Prognostiker
Die Kursprognosen im "normalen" Bereich reichen von Null bis 20'000 US-Dollar pro Bitcoin in den nächsten Jahren. Euphorische Marktteilnehmer sehen eine Spanne zwischen 50'000 und 500'000 Dollar als durchaus realistisch. Die Winklevoss-Brüder haben kürzlich aufgrund der aktuellen Devisen- und Inflations-Gemengelage einen Kurs von 600'000 Dollar als möglich bezeichnet. Andere Euphoriker (zum Teil auch knallharte Rechner) toppen diese Prognose, allerdings mit einem längeren Zeithorizont.
Ob der Kurs in einigen Jahren bei Null oder bei 600'000 Dollar liegen wird, steht in den Sternen und ist in unserer pragmatischen Betrachtung ohne Glaskugel nicht der Punkt. Wichtig ist, dass durch diese und weitere publizierte Prognosen die Fantasien beflügelt werden. Beflügelte Fantasien motivieren weitere Investoren, über den Bitcoin nachzudenken. Die wachsende Zahl von Investoren schafft Vertrauen, allerdings noch auf sehr dünnem Eis. Sollte sich eine der realistischen Prognosen erfüllen, wird das Eis dicker. Und dickeres Eis macht den Bitcoin tatsächlich stärker im Markt, zieht neue Investoren an und baut das noch fragile Vertrauen weiter aus.
Jede Währung, ob digital oder traditionell, lebt letzenendes vom Vertrauen. Gelingt es dem Bitcoin, den fehlenden Staat oder besser die fehlende Zentralbank im Hintergrund durch andere vertrauensbildende Faktoren zu ersetzen, wird sich eine Währung etablieren, die gewaltig an Stärke gewinnen kann. Gelingt das nicht, war Bitcoin ein spannendes Experiment, das Wege zu anderen Experimenten öffnet.
Das mediale Umfeld
Vor einigen Jahren noch in einer Mischung aus interessiert und argwöhnisch beäugt, gehört die Berichterstattung über Bitcoin und Kryptos heute zum Alltag der Medien. Der Bitcoin wird seit einiger Zeit von zahlreichen Medien auch auf der täglichen Übersichts-Liste der wichtigsten Assets geführt, neben Indices, Fiat-Währungen, Öl und Gold.
Dieser Umgang zeigt die Entwicklung und den Unterschied zwischen 2009 und heute. Der Bitcoin ist zum selbstverständlichen Asset geworden – noch etwas exotischer als andere, aber eben dennoch bereits gewohnt und selbstverständlich.
Der Siegeszug in die Breite
Diese mediale Breite hat auch zu einer Breitenentwicklung beim Publikum geführt. War der Bitcoin vor einigen Jahren das Spekulations-Objekt von Wenigen, ist der Bitcoin heute bereits die alternative Anlage von Vielen. Stark dazu beigetragen haben Banken wie Swissquote in der Schweiz, die Börse Stuttgart mit der Krypto-App Bison oder auch FinTechs und Neo-Banken wie Revolut, um nur einige Beispiele zu nennen.
Sie alle haben dafür gesorgt, dass Bitcoin und andere Kryptos von ganz normalen Menschen sehr einfach gekauft, gehalten und verkauft werden können. Ohne grosse Hürden und ohne Rätsel um verschiedene Arten von Wallets oder Private Keys lösen zu müssen, welche Normalbürger sehr schnell überfordern. Die verschiedenen Apps mit konsequenter Ausrichtung auf komfortabel, schnell, einfach und sicher haben den Bitcoin und Kryptowährungen zum Thema für breite Bevölkerungsgruppen gemacht. Diese Entwicklung hat bereits eine gewisse Breite erreicht, welche sich eher schnell noch deutlich vergrössern wird.
Im Fokus der Zentralbanken
Nicht der Bitcoin im Besonderen, aber Kryptowährungen generell haben bei Politik und Zentralbanken neue Überlegungen angestossen, die vor 2009 kein Thema waren. Abgeleitet von Kryptowährungen denken Zentralbanken über nationale digitale Währungen nach und experimentieren gedanklich oder real mit CBDCs (Central Bank Digital Currency). Sehr stark zusätzlich auch inspiriert, um nicht zu sagen aufgescheucht, durch das Libra-Projekt.
Auch diese Aktivitäten, welche in Medien beobachtet und kommentiert werden, befeuern den Bitcoin. CBDSs sind keine Kryptowährungen im klassischen Sinne, aber die blosse Verwandschaft wirft eben auch einen hellen Schein auf den Bitcoin und verschafft ihm zusätzliche Aufmerksamkeit.
Die vehementesten Kritiker sind leise bis still geworden
Medien, Blogs und Social Medias waren lange Zeit voll mit Artikeln von vehementen Krypto-Gegnern, welche in Ton und Tenor zwischen warnen, verteufeln oder heftig verdammen angesiedelt waren. Unabhängig vom Temperament waren sich alle diese zahlreichen Schreiber in einem Punkt einig: die Idee und das Konstrukt des Bitcoin kann und wird nicht überleben, der baldige Tod steht bevor. Die Frage war nur: langsames Sterben oder Exitus mit Knall, Getöse und einem Heer von Verlierern.
Um diese Fraktion, sie war gross und sehr hörbar, ist es erstaunlich ruhig geworden. Wie ruhig? Das Branchenportal Kryptoszene hat kürzlich rapportiert, dass die Anzahl der Berichte über das baldige Sterben der Digitalwährung Bitcoin sich um "98 Prozent" verringert hätten. Ob die schweigenden Autoren inzwischen zu Bitcoin-Investoren geworden sind oder in Anbetracht der gesamten Krypto-Entwicklung schlicht kapituliert haben, wusste die Kryptoszene nicht zu berichten.
Fakt jedoch bleibt: Das Ausbleiben des Abgesangs und der oftmals hämischen Artikel über den kurz bevorstehenden Tod von Kryptowährungen hat medialen Raum geschaffen, der mit sachlichen und informativen Stories zu Bitcoin und Kryptos gefüllt wird. Mit Geschichten und Details zur erstaunlichen Entwicklung, ohne Begleiterscheinungen wie Volatilität, Risiken und andere Faktoren auszublenden.