Beeindruckend Unterschiede zwischen den Ländern
Interessant ist die Auswertung von Eurostat auch in Bezug auf die Länderunterschiede. Liegt der Gap über alle EU-Länder gesehen im Durchschnitt bei 16 Prozent, drückt Estland den Schnitt mit 25,6 Prozent kräftig nach oben. Mit zu den Gap-Spitzenländern gehören Tschechien mit 21,1 Prozent, Deutschland mit 21,0 Prozent und Grossbritannien mit 20,8 Prozent.
Am unteren Ende der Skala liegen Italien und Rumänien, da liegen die Verdienstunterschiede bei lediglich 5 und 3,5 Prozent. Abgesehen von strukturellen Unterschieden scheinen die Italiener und die Rumänen einem Rezept zu folgen, das nicht alle Staaten kennen.
Die Schweiz wird in der Grafik von Statista.com nicht separat ausgewiesen, ist jedoch von Eurostat mit erhoben worden und liegt bei 17 Prozent. Die Auswertung mit den Detailzahlen sämtlicher Länder gibt's hier.
Überraschende Einsicht: Verfälschte Resultate bei Befragungen in der Schweiz
Werden (bereinigte) Lohndifferenzen direkt über ausgewiesene Löhne bei Betrieben erhoben, kommen im Vergleich zu direkten Befragungen von Lohnempfängern offenbar andere Ergebnisse heraus. Der überrraschende Grund: Paare verfälschen Anteil von Frauen am gemeinsamen Einkommen.
Zu diesem Schluss kommt eine Studie des ZEW (Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) Mannheim und der Universität Basel. Die Autorinnen der Studie haben die Einkommensangaben bei einer Umfrage in der Schweiz mit den Daten der befragten Personen aus der amtlichen Statistik verglichen – mit dem Ergebnis:
Viele Befragte geben in der Umfrage an, dass die Frau gerade etwas weniger oder genauso viel verdient wie ihr Partner. Die Anzahl der Personen, die angeben, dass die Frau mehr verdient, ist deutlich kleiner. Die amtlichen Daten für die gleichen Personen zeigen allerdings, dass für Paare, bei denen die Frau in Wirklichkeit mehr verdient, die Angaben in Umfragen häufig vom wahren Einkommen abweichen.
Bei Befragungen wird der Einkommensanteil der Frau oftmals systematisch unter 50 Prozent gesetzt. Warum?
Der Grund: Geschlechternormen beeinflussen Einkommensangaben
In der Umfrage machen besonders jene Personen falsche Angaben, in deren Partnerschaft der Einkommensanteil der Frau über 50 Prozent liegt. Falsche Angaben machen sowohl Frauen als auch Männer und zwar sowohl mit Blick auf das eigene Einkommen als auch auf das Einkommen des Partners bzw. der Partnerin. Allerdings ist die Tendenz, das Einkommen des Mannes überhöht anzugeben, bei beiden Geschlechtern stärker ausgeprägt. Da hierbei der Einkommensanteil der Frau systematisch unter 50 Prozent gesetzt wird, deuten die Studienautorinnen dieses Antwortverhalten als Hinweis auf eine traditionelle gesellschaftliche Norm: der Mann gilt als Ernährer und Hauptverdiener.
"Unsere Daten zeigen, dass unter den Personen, die Falschangaben machen, der Anteil der Paare grösser ist, bei denen die Frau mehr verdient, obwohl der Mann höher oder gleich gebildet ist", sagt die Mitautorin der Studie, Dr. Michaela Slotwinski, Wissenschaftlerin im ZEW-Forschungsbereich Soziale Sicherung und Verteilung. "Das liegt möglicherweise daran, dass es die männliche Identität bedroht, einzugestehen, dass die Frau mehr verdient, obwohl sie nicht über mehr Bildung verfügt als der Mann. Entsprechendes gilt, wenn die Frau weniger oder gleich viele Stunden arbeitet und trotzdem ein höheres Einkommen erzielt. Diese Paare sind bei den Falschangaben ebenfalls häufiger vertreten.“
Umfragedaten lassen Lohnunterschied grösser wirken, als er in Wirklichkeit ist
Während man also basierend auf Umfragedaten schlussfolgern könnte, dass Frauen ihr Arbeitsangebot anpassen, um nicht mehr zu verdienen als ihr Partner, stellt sich heraus, dass dies gar nicht der Fall ist. Feststellen lässt sich allerdings, dass die Einkommensangaben ab einem Einkommensanteil der Frau von etwa 48 Prozent auf die Norm reagieren. Folglich könnten Umfragedaten mitunter weniger informativ hinsichtlich des Verhaltens der Individuen sein, als bisher angenommen.
Michaela Slotwinski zum Thema:
Diese Falschangaben führen zu einer systematischen Unterschätzung der Einkommen von Frauen und einer Überschätzung der Einkommen von Männern in Umfragedaten
"Das kann dazu führen", so Slotwinski weiter, "dass die verzerrten Umfrageergebnisse den geschlechtsspezifischen Lohnunterschied, den sogenannten Gender Wage Gap, grösser darstellen, als er in Wirklichkeit ist".
Die Studienautorinnen kommen zum Schluss, dass der tatsächliche geschlechtsspezifische Lohnunterschied basierend auf den betrachteten Umfragedaten um 9 bis 13 Prozent überschätzt wird. Und sie warnen davor, dass sich diese falschen Zahlen auf die Ausgestaltung politischer Massnahmen zur Bekämpfung des Gender Wage Gap auswirken könnten, welche sich auf diese Umfragen berufen.
Fazit und die Studie zum Runterladen
Überraschend und neu ist die Erkenntnis, dass direkt Betroffene und Lohnempfänger zu jenen Gruppen gehören können, welche Ergebnisse bewusst verfälschen. Damit zumindest die Basis der Zahlen stimmt, dürfte die Erfassung der effektiven Löhne in den Betrieben zu den zuverlässigeren Methoden zählen. Auch dann bleibt für Exponenten aus verschiedenen Lagern noch viel genutzter Spielraum, durch unterschiedliche Gewichtung von Faktoren oder durch fantasievolle Interpretationen, die Lohndifferenzen kleiner oder grösser erscheinen zu lassen.
Die Studie der Autorinnen Michaela Slotwinski und Anja Roth geht ins Detail und steht in englischer Sprache zur Verfügung. Das PDF kann kostenlos beim ZEW runtergeladen werden, über den Link gleich unten.