Der kostenlose US-amerikanische Broker Robinhood feiert seit sieben Jahren Erfolge, gerät jedoch in letzter Zeit vermehrt mit "Trader-Schicksalen" in die Schlagzeilen. Deshalb stellen sich neue Fragen:
Sind Handelsplattformen wie zum Beispiel Robinhood oder Revolut spannende Alternativen für Kleinanleger in Negativ-Zins-Zeiten? Oder sind das Zocker-Portale für Labile und schlicht Plattformen des Teufels mit (zu) hohem Verführungs-Potenzial?
Diese neuen Fragen beschäftigen in diesen Tagen Medien, Kommissionen und auch eine neue Generation von Anlegern, welche den Aktienhandel für sich entdeckt haben. Die Massen dieser Neuanleger, welche in Zeiten von Corona an den Börsen mitspielen, dürften den teilweise irrational anmutenden Hype der letzten Wochen an den Börsen mitbeeinflussen.
Die Corona-Krise als Katalysator für Trading-Plattformen
Die US-amerikanische Broker-Plattform Robinhood war schon vor der Corona-Krise erfolgeich. Zumal der Aktienhandel zum Nulltarif (keine Kommissionen) neue und vor allem junge Gruppen motiviert hat, Börsengeschäfte zu tätigen. Der Lockdown hat jedoch für zusätzlichen Auftrieb gesorgt und neue Anleger in Scharen angezogen – Robinhood konnte allein im laufenden Jahr 3 Millionen neue Accounts eröffnen, aktuell nutzen rund 13 Millionen Anleger die App.
Die Nutzerzahlen werden tendenziell weiterhin steigen. Neben den neuen Plattformen profitieren auch etablierte Handelsplattformen von dieser Entwicklung – in zahlreichen Ländern, auch in der Schweiz.
Mit zum Erfolg von Robinhood gehört, dass das Traden intuitiv funktioniert und gerade Neueinsteigern sehr einfach gemacht wird. Interessanterweise wird jetzt genau dieses Einfache und Unkomplizierte, also der Komfort der neuen FinTech-Plattformen, von einzelnen Nutzern an den Pranger gestellt. Wir zitieren einen Fall, den die New York Times thematisiert hat und der von unseren Kollegen vom Finanzportal Finanzen.net letzte Woche aufgegriffen worden ist.
Ein Amateur-Trader will gegen Robinhood vorgehen und beklagt seine Geschichte, die sich in groben Zügen so liest: Richard Dobatse will an der Börse aktiv werden. Dobatse nimmt einen Kredit in Höhe von 15'000 US-Dollar und später zwei Eigenheimkredite in Höhe von 30'000 US-Dollar auf, um frühe Verluste auszugleichen. Zunächst sei seine Trader-Karriere von Erfolg gekrönt gewesen, so Dobatse, er habe seinen Kontostand auf rund eine Million US-Dollar steigern können. Doch in den folgenden Monaten kam der Absturz: Er verlor fast den gesamten Betrag, heute hat er noch 6'956 US-Dollar auf seinem Trading-Konto, sagte der Robinhood-Nutzer der New York Times.
Der ursprünglich begeisterte Amateur-Trader kritisiert Robinhood scharf und sagt: "Sie machen es Menschen so leicht, die nichts über Aktien wissen. Dann gehen die dorthin und beginnen, Geld zu verlieren".
Wer ist schuld am Desaster?
Wir vermuten mal, dass der Amateur-Trader nichts zu reklamieren hatte, als er es (mit viel Glück) schaffte, seinen Kontostand auf rund eine Million Dollar zu hieven. Wir vermuten weiter, dass er seine gewonnene Million hätte mitnehmen und das Spiel an der Börse hätte stoppen können. Das hat er jedoch nicht gemacht, die Gier war offenbar stärker, nach der ersten Million könnten schliesslich weitere folgen. Mit einer App, die "es Menschen so leicht macht, die nichts über Aktien wissen". Die Schuld an seinen Verlusten, von einer Million US-Dollar zurück auf einige Tausender ortet er beim Betreiber der Plattform, also bei Robinhood.
Liegen wir mit unseren Vermutungen richtig, teilt sich die Verantwortung in der Betrachtung des Jung-Traders nach einem einfachen Schlüssel auf: Für Gewinne ist der Anleger verantwortlich, bei Verlusten trägt der Plattformbetreiber die Schuld.
Die neue Generation der Anleger
Einige Überlegungen zu Verantwortung, Eigenverantwortung, Anlegen und Zocken. Anleger konnten schon vor Robinhood an der Börse Geld investieren, gewinnen oder verlieren – damals noch mit Kommisionen, was Verluste zusätzlich vergrössern kann. Mit Robinhood und anderen digitalen Plattform sind Börsengeschäfte jedoch tatsächlicher für breite Massen zugänglicher und sehr viel einfacher geworden. Darin für eigenverantwortliche Anleger einen Makel zu erkennen, fällt schwer.
Deshalb: Die App von Robinhood ist nur eine Plattform und schafft Zugang zum Aktienhandel. So wie andere Plattformen das auch tun. Nutzer, die auf diesen Plattformen unterwegs sind, unterscheiden sich sehr vereinfacht dargestellt in drei Gruppen:
Die erste Gruppe: Langfristige Anleger, welche vorsichtig und innerhalb der eigenen Möglichkeiten ihr Geld anlegen. Diese Gruppe übersteht auch einen Börsencrash und bleibt mit guten Aktien auf lange Sicht meistens auf der Gewinnerseite – diversifizierte Anlagen und ein langer Horizont minimieren die Risiken.
Die zweite Gruppe: Daytrader mit Erfahrung nehmen bewusst hohe Risiken in Kauf, um hohe Gewinne zu realisieren. Mit zum Know-how gehört, sich gegen zu hohe Risiken abzusichern. Investieren diese Daytrader in exotische Papiere oder in Derivate, erhöhen sich die Risiken und damit die Aussichten auf hohe Verluste oder hohe Gewinne. Wer weiss, was er tut und sich die Trades mit allen Konsequenzen wirklich leisten kann, hat ein spannendes Leben.
Die dritte Gruppe: Daytrader ohne jede Erfahrung, welche davon gehört haben, dass man an der Börse viel Geld verdienen kann. Angehörige dieser Gruppe gehören in der Regel von Anfang an zu den Verlierern. Nur schon deshalb, weil sie ausblenden, dass man beim Daytraden auch massiv Geld verlieren kann. Wer Kredite aufnimmt, um an der Börse den Durchbruch zu schaffen, spielt auf sehr dünnem Eis und wird früher oder später mit ziemlicher Sicherheit einbrechen – eher früher. Wer dazu noch und ohne jede Erfahrung auf gut Glück in Hebelprodukte investiert, kann genausogut in den Casinos von Las Vegas zocken. Eine mögliche kurzfristige Glückssträhne bestärkt den unbedarften Daytrader darin, mit den nächsten Trades sein eigenes finanzielles Grab zu schaufeln.
Die Moral von der Geschichte?
Vermuteterweise haben auch in der Schweiz während der Corona-Krise sehr viele bisher eher börsenabstinente Gruppen die Möglichkeiten von Handelsplattformen und Aktien-Investitionen für sich entdeckt. Grundsätzliche eine gute Entwicklung – für jene, die ihr Geld langfristig anlegen, mit den neuen Möglichkeiten umgehen können und keine Risiken eingehen, die sie nicht aus eigener Kraft stemmen können.
Gut möglich, dass nach dem nächsten Börsencrash, er wird kommen, die Gruppe der Verlierer und Verzweifelten hörbar und sichtbar wird. Und denkbar ist auch, dass diese Gruppe grösser ist, als man heute denkt. Das gilt für alle Länder, auch für die Schweiz.
Auch dann sind nicht die bösen Plattormen schuld am Desaster. Handelsplattformen sind lediglich Instrumente, die man innerhalb seiner eigenen Möglichkeiten nutzen darf – oder genau das auch lassen kann. Eine Mischung aus Unwissenheit und Gier steht jeweils Pate für den persönlichen Absturz. Gier ist wahrscheinlich nicht heilbar, Unwissenheit jedoch schon.
Börsenwissen als Pflichtfach
Möglicherweise ist es deshalb eine gute Idee, Basiswissen rund um Anlagen, Börsen, Gewinne und Verluste, Aktien, Derivate und mehr zum Pflichtstoff in sämtliche Schulen, in sämtlichen Aus- und Weiterbildungsstätten zu machen.
Das Zeitalter der Negativzinsen setzt sich fort und wird noch lange anhalten. Deshalb sollte man Menschen schon früh das notwendige Wissen mitgeben, wie sie ihr Geld anlegen können, ohne Kopf, Kragen und Existenz zu riskieren.
Zudem: Wissen und damit das Bewusstsein für die eigene Verantwortung kann zumindest ein Stück weit vor Gier und damit vor zu grosser Risikofreude schützen. Und damit auch vor der eigenen Unvorsichtigkeit und der um sich greifenden Vollkasko-Mentalität.