Die Schweiz ist für digitale Versicherer aus dem Ausland ein interessanter Markt. Im Vergleich zu anderen Ländern in der Grösse zwar überschauber, aber die Schweizer Versicherungskunden sind bisher weder durch auffällig tiefe Prämien noch durch eine Vielzahl innovativer Angebote besonders verwöhnt.
Unbespieltes Terrain für InsurTechs
Die Revolution wird heute und morgen noch nicht von etablierten Versicherern kommen, weil diese wenig Lust verspüren, ihre einträglichen Geschäftsfelder selbst zu kannibalisieren. Ein Beispiel dafür ist die Baloise, welche ihr InsurTech Friday mit einer flexiblen Autoversicherung in Deutschland wachsen lässt, das smarte Friday-Angebot aber von der Schweiz fernhält. Mitte 2019 hat die Postfinance mit einer digitalen Autoversicherung die Lücke besetzt, welche durch die Kannibalisierungs-Ängste der Versicherer offen bleibt.
Diese Türen stehen weiterhin offen, ziemlich weit sogar. Chancen haben deshalb vor allem junge, unabhängige und innovative InsurTechs, die Kunden mit neuen Versicherungsmodellen überraschen und das bisher wenig beackerte Neuland erobern.
Traditionelle und etablierte Versicherer werden bei dieser Beackerung auch mitmischen – allerdings erst dann, wenn der Druck von InsurTechs schmerzhaft gross geworden ist. Im Moment ist das noch nicht der Fall. Sichtbare Zeichen dürften unter anderem dann gesetzt werden, sobald die Baloise ihr ziemlich geniales und kundenfreundliches Versicherungsmodell von Friday auch in der Schweiz anbietet.
One startet in der Schweiz mit einer Autoversicherung
Der nach eigenen Angaben "erfolgreichste Digitalversicherer" in Europa spart nicht mit Superlativen und lanciert die "schnellste Motorfahrzeug-Versicherung" auf dem Schweizer Markt. Nach der Eroberung des deutschten Markts, so informiert One, will das papierlose und vollautomatisierte Versicherungsunternehmen nun den Schweizer Markt ins Visier nehmen. Nach eigenen Aussagen verkauft One in Deutschland 500 Mal mehr Versicherungen als die bekannte Lemonade Insurance Company aus den USA – welche Zahlen zu diesem forschen Vergleich herangezogen worden sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Das InsurTech Lemonade feiert in den USA seit vier Jahren Erfolge und ist seit Anfang 2020 auch in Deutschland aktiv, wir haben berichtet.
Die Versicherungsplattform One ist in der Schweiz mit ihrem Angebot zunächst allerdings nur indirekt und ausschliesslich über die Berater der Schwestergesellschaften Wefox und Sam Versicherungen erhältlich.
Das InsurTech beschreibt sein Angebot der Motorfahrzeug-Versicherung für die Schweiz mit folgenden Worten:
"Nutzer können in Echtzeit Versicherungen abschliessen, Änderungen vornehmen und Schäden melden. 60 Prozent der Schäden werden sofort bezahlt. Die Response-Zeit von unter 100 Millisekunden zeichnet One als die schnellste Versicherung auf dem Markt aus. Innert drei Minuten und mit nur sechs Fragen ermöglicht One den Abschluss einer Autoversicherung und ist somit die schnellste Versicherung der Schweiz. Die Kunden profitieren von digitalen Prozessen und fallabschliessenden Antworten in Echtzeit. Die Vermittler mögen die schnellen Abschlussstrecken und die Verfügbarkeit rund um die Uhr."
Wir glauben uns zu erinnern, dass direkt online abschliessbare Versicherungen unter Auslassung von Beratungsgesprächen noch schneller funktionieren, der direkte Vergleichstest steht jedoch erst bevor. CEO Oliver Lang zur Idee der Motorfahrzeug-Versicherung:
Wir haben das Produkt aus Sicht der Kunden und der Berater entwickelt. Diesen ermöglichen wir innert kürzester Zeit einen Abschluss. Genau dieses Produkt lancieren wir nun auch auf dem Schweizer Markt.
Vertrieb über Vermittler
Diese Aussage von Oliver Lang legt auch gleich die Spur zur Positionierung von One. Das InsurTech fokussiert beim Verkauf nicht auf Direktkunden, sondern auf den Vertrieb durch Vermittler.
Der nach eigenen Angaben volldigitale Versicherer One in Liechtenstein ist eine Tochter der Wefox Gruppe und eine Schwester von Sam Versicherungen. Wefox sagt: "Kompliziert war gestern. So geht Versicherung heute." One wiederum sagt: "Ganz ohne Beratung geht's nicht. Aber der Rest läuft vollkommen digital."
Diese offensichtlich notwendige Beratung soll zum Start von One in der Schweiz denn auch über Wefox und Sam laufen, die Verwaltung der Policen oder die Schadenegulierung soll dann aber vollkommen digital ablaufen. Warum es für einen digitalen Versicherer ohne Beratung nicht geht, dürfte sich über die spezielle Rolle der Vermittler erklären. Zumal das InsurTech plant, im weiteren Ausbau das Produkt auch für andere Berater zu öffnen.
Berater, Vermittler und Broker im Zentrum
Das Liechtensteiner Startup will nach eigenen Aussagen seine Produkte nicht nur für Endkunden attraktiv gestalten, sondern bietet "die erste eigens für den Vermittlervertrieb entwickelte volldigitale Autoversicherung" an. One-CEO Oliver Lang zur Positionierung:
Wir bekennen uns als erster Digitalversicherer klar zu Vermittlern, die in Europa nach wie vor den Ton angeben und nutzen unsere technologische Vorreiterrolle, um den Vermittlern das Leben zu erleichtern
Diese vorgeschaltete Kurve, die auch für abschlusswillige Versicherungskunden über einen Berater mit Telefongespräch oder Videoberatung führt, ist für einen Anbieter von digitalen Versicherungen ziemlich ungewöhnlich. Kunden können nicht autonom online und digital ihre Versicherung abschliessen, auch dann nicht, wenn sie schon überzeugt sind, die Beratung ist Pflicht.
Aus der Sicht des InsurTechs sind die Vorteile von Distributionskanal und Multiplikatoren einleuchtend. Auch Vermittlern wird das Leben sicher erleichtert. Kunden, die online abschliessen möchten, stossen jedoch erstmal auf eine Hürde. Ob diese Hürde von Kunden als Beratungs-Vorteil oder als Bruch der digitalen Reise und damit als unnötiger Umweg gesehen wird, zeigt sich in der Schweiz in den nächsten Monaten.
Nachhaltigkeit als zusätzliches Argument
Das InsurTech One bezeichnet sich selbst als die "umweltfreundlichste Versicherung Europas" und verweist dabei auf die Kooperation mit Grün versichert. So wie bei Banken nachhaltige Anlagen, nachhaltige Karten und mehr im Fokus stehen, so scheint auch bei Versicherern das Thema der Nachhaltigkeit verstärkt in den Vordergrund zu rücken.
Ähnlich wie zum Beispiel die Nutzung von Debitkarten, lassen sich auch Versicherungen mit nachhaltigen Leistungen verbinden. Oliver Lang zum Thema:
Mit der Partnerschaft gleichen wir den persönlichen CO2-Fussabdruck des Kunden aus und pflanzen für jeden abgeschlossenen Vertrag einen Baum
Bei der Autoversicherung soll es nicht bleiben
Zum Start hat One ausschliesslich die Motorfahrzeug-Versicherung im Angebot – dabei soll es allerdings nicht bleiben. Bereits geplant und für 2021 auch angekündigt sind Privathaftpflicht-, Hausrat- und Tierhalterversicherungen.