Die Mitteilung an die Medien liest sich nicht unbedingt spektakulär: Neu stellt die Solaris Bank als lizenzierte Händlerbank (Acquirer) Alipay ihre Infrastruktur zur Verfügung.
Solaris ist keine "normale" Bank, vielmehr eine FinTech-Anbieterin mit Vollbanklizenz, welche eine API-basierte Banking-as-a-Service-Plattform betreibt. Im Kern bietet die Solaris Bank ihren Kunden ein komplettes Banking-Ökosystem und Technologie, die von FinTechs, Digital-Unternehmen, Banken und Corporates genutzt werden kann. Modular und deshalb à la Carte nutzbar.
Durch den Deal zwischen der Solaris Bank und Alipay soll der Anbieter des chinesischen Lifestyle Tools, das selbstverständlich auch mobil bezahlen kann, sein Netzwerk von Akzeptanzstellen in Europa zusätzlich erweitern können.
Das wird Alipay zweifellos tun, das bereits dicht gewobene Netz in immer mehr europäischen Ländern wird dadurch noch etwas schneller noch dichter. Was bedeutet das für europäische Anbieter von mobilen Zahlungs-Lösungen?
Das alles für 12,7 Millionen chinesische Touristen?
Im Moment schon. Zum einen, weil sich Reisende aus China den Alipay-Komfort von Zuhause gewohnt sind und diese vielseitigen Leistungen auch in Europa nicht missen möchten. Und zum anderen, weil die Teststrecke Europa in Zahlen quantifiziert werden kann, die sich sehr eindrücklich präsentieren:
Jährlich steigt die Zahl chinesischer Touristen im Ausland. Mit über 130 Millionen Reisenden machen sie den grössten Anteil aller Touristen weltweit aus. Allein im Jahr 2017 reisten 12,7 Millionen chinesische Touristen nach Europa. Gleichzeitig gaben chinesische Reisende weltweit im Urlaub am meisten aus: Mit einer Wachstumsrate von rund 5,4 Prozent erreichten die Gesamtausgaben 2017 rund 220 Milliarden Euro.
Aufgrund dieser Zahlen meint Roland Folz, CEO der Solaris Bank:
Mit Alipay gewinnen wir eine der wichtigsten internationalen Zahlungsplattformen als Partner für die Solaris Bank, diese Zusammenarbeit birgt ein enormes Potenzial für alle Beteiligten
In Europa leben Europäer: 500 Millionen versus 12,7 Millionen
Stimmt, das Potenzial ist enorm. Und das Potenzial ist noch ungleich grösser, wenn man einen Augenblick über den (schon riesigen) Tellerrand der 12,7 Millionen chinesischen Reisenden hinausdenkt.
In Europa wohnen ja Europäer. Viele. Über 500 Millionen. Die sind immer da und die sind auch immer am Konsumieren, Einkaufen und Bezahlen. Die 12,7 Millionen Chinesen sind nur zwei, drei Wochen in Europa, dann reisen sie wieder nach Hause. Die Europäer aber, die bleiben. Weshalb also sollte denen vorenthalten werden, was chinesische Reisende schätzen und nutzen? Eben.
Dazu kommt, dass es bisher kein europäischer oder amerikanischer Anbieter geschafft hat, eine Mobile Payment-Lösung auf die Beine zu stellen, die in Umfang, Funktionen und Leistungen Alipay das Wasser reichen könnte. Komfort und Ökosystem-Vernetzung können einige, Lifestyle Tool mit wirklich service- und bedürfnisoriertiertem Leistungsspektrum, dann eher exklusiv die chinesischen Anbieter.
Das weiss auch Alipay. Die europäischen zukünftigen Kunden wissen das noch nicht. Sagt man's ihnen und vor allem, demonstriert und beweist man's ihnen, dürften sie eher schnell schwach werden.
Die kurze Leine und der fragmentierte Flickenteppich könnten sich rächen
Dass sich Mobile Payment in Europa (nordische Länder mal ausgenommen) bisher nicht wirklich durchsetzen konnte, hat Gründe. Europäische Anbieter und Banken haben ihre Kunden an der kurzen Leine gehalten und ihnen Tools vorgesetzt, die im Kern dasselbe können wie eine Kredit- oder eine Debitkarte: Bezahlen. Viel mehr nicht. Und das nicht mal überall und universell.
Ausnahmen gibt's auch, wenige, aber die meisten Anbieter hantieren mit Lösungen, die keine starken Gründe liefern, beim Bezahlen von der gewohnten Karte abzurücken und aufs Smartphone zu wechseln. Warum auch? Zumal Gewohnheiten ohnehin schwer zu durchbrechen sind.
Also hat sich der euopäische Markt darauf beschränkt, Studien in Auftrag zu geben, diese Studien zu interpretieren, jede Zunahme in Promille-Dimensionen zu feiern und zu hoffen: Kommt schon, das mit der Mobile Payment-Revolution, die Kunden brauchen eben Zeit, aus zu vielen Apps diejenige auszuwählen, welche nicht befriedigt, aber vielleicht am wenigsten enttäuscht.
Europa darf sich fürchten und Europa darf sich freuen
Etwas pauschal betrachtet hat es Europa fertiggebracht, proprietäre Tools und Lösungen zuhauf auf den Markt zu werfen, die alle ein bisschen dasselbe können, letztenendes aber in Komfort und Funktionsumfang immer in der Nähe ihrer eigenen, nicht unglaublich ambitionierten, Startpflöcke steckengeblieben sind.
Durch dieses Inseldenken mit breit praktizierter Selbstbeschränkung sind die Tore für Big Techs und vor allem auch für chinesische Anbieter sehr weit offen geblieben. Europa darf sich fürchten und Europa darf sich freuen – je nachdem, ob man gerade an die Anbieter oder an die Kunden denkt.
Übertriebene Befürchtungen? Kommt doch alles ganz anders?
Weil vieles möglich bleibt, kurze Atempause und Schluss mit Projektionen, Vermutungen und Visionen. Die chinesischen Anbieter agieren offensiv und kommunizieren defensiv. Die temporären Fakten: Im Fokus stehen chinesische Touristen, daran hat sich nichts geändert. Na dann, das beruhigt.
Bereits wiederholt wurde in der Vergangenheit von Alipay zu Protokoll gegeben, dass (aktuell) keine konkreten Pläne bestehen würden, Alipay für weitere Zielgruppen in Europa zu öffnen. Diese Botschaft hat früher schon Wirkung gezeigt, auch dieses Mal dürfte die Beruhigungs-Pille die Kraft haben, übertriebener Hektik auf europäischer Anbieterseite entgegenzuwirken. Und diese Pille wird gewohnt freundlich verabreicht.
Alipay übt sich weiterhin in Zurückhaltung
Die Zurückhaltung meint nicht die Markterweiterung, da gibt Alipay Gas, nur die Kommunikation. So bleibt vorderhand auch Xiaoqiong Hu, Alipays Head of Business Development, DACH, im Moment mit einem freundlichen Lächeln bei der Variante mit den chinesischen Touristen und sagt: