FinTech-Regulierung

Schaffung von Rechtssicherheit im FinTech-Bereich vertagt

Mann auf Rasen von Tennisball erschlagen
Bild: diane39 | Getty Images

Volle Kraft voraus mit der neuen FinTech- und Sandbox-Lizenz – oder k. o. durch Unklarheiten? Dr. Cornelia Stengel und Thomas Weber mit News und Fakten zum Thema.

Am 26. Juni 2019 veröffentlichte die FINMA das teilrevidierte Rundschreiben 2008/3 "Publikumseinlagen bei Nichtbanken", welches am 1. Juli 2019 in Kraft getreten ist. Für die Klärung von Auslegungsfragen verweist sie auf zukünftige Aufsichts- und Gerichtspaxis.

Das Parlament hat eine neue Bewilligungskategorie für Fintech-Unternehmen geschaffen. Zudem hat der Bundesrat die Bestimmungen zur sogenannten Sandbox angepasst (vgl. Blogpost vom 3. Dezember 2018). Sandbox und Fintech-Bewilligung sind zwei der drei Säulen der Fintech-Vorlage, welche der Bundesrat im November 2016 vorgestellt hatte (vgl. dazu insbesondere die Blogposts vom 24. Juni 2018 und vom 14. August 2017) und beide erlauben unter bestimmten Voraussetzungen die Entgegennahme von Publikumseinlagen trotz fehlender Bankbewilligung.

Schwierige Abgrenzung

Es war von Anfang an klar, dass die Abgrenzung der Tätigkeiten, welche im Rahmen von Sandbox und Fintech-Bewilligung erlaubt sein sollten, von jenen Tätigkeiten, welche weiterhin den voll regulierten Banken vorbehalten sein sollten, nicht einfach werden würde. 

Die Idee, wo diese Trennlinie zwischen Banken und Nicht-Banken verlaufen sollte, wurde im Rohstoff vom 2. November 2016 (S. 3) vorgestellt:

Die neuen Regeln sollten für Unternehmen gelten, die «…sich auf das Passivgeschäft (Entgegennahme von Publikumseinlagen) beschränken und somit kein Aktivgeschäft mit Fristentransformation betreiben…».

Im erläuternden Bericht zur Vernehmlassungsvorlage vom 1. Februar 2017 (S. 20) wurde die entsprechende Absicht des Gesetzgebers folgendermassen beschrieben:

«Bei vielen Fintech-Geschäftsmodellen fehlt es mangels einer Wiederanlage von entgegengenommenen Geldern an der für Banken typischen Fristentransformation und den damit einhergehenden Risiken (insbes. Liquiditäts- und Zinsrisiken). Sie bewegen sich ausserhalb der Kerntätigkeiten, die für das Bankgeschäft charakteristisch sind.» 

In der Bankenverordnung (für die Sandbox) und im Bankgesetz (für die Fintech-Bewilligung) wurde diese Idee in der Folge mit der Wendung: «weder anlegen noch verzinsen» ausgedrückt.

Im Gesetz ist diese Formulierung unverändert geblieben. Die Verordnung wurde jedoch mit Wirkung auf den 1. April 2019 (vermeintlich) präzisiert, um die Absicht des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers präziser auszudrücken. In der Verordnung steht nun der Ausdruck: «kein Zinsdifferenzgeschäft»

Das Eidgenössische Finanzdepartement EFD hat dabei in den Erläuterungen zur Revision der Bankenverordnung vom 30. November 2018 (S. 4 f.) festgehalten, dass das Verbot des Zinsdifferenzgeschäfts im Zusammenhang mit der Fintech-Regulierung so zu verstehen ist, dass nicht gleichzeitig das Passiv- und das Aktivgeschäft betrieben werden dürfe. Unter dem Aktivgeschäft sei dabei die «Vergabe von Krediten unter Verwendung der Einlagen» zu verstehen.

Das EFD präzisiert seine Auslegung bzw. Definition des Zinsdifferenzgeschäfts weiter wie folgt:

"Es kann so umschrieben werden, dass Banken Einlagen im Rahmen des Passivgeschäfts entgegennehmen und damit im Rahmen des Aktivgeschäfts einer unbestimmten Anzahl von Personen und Unternehmen, die nicht mit der Bank verbunden sind, auf eigene Rechnung Kredite und Darlehen gewähren. […]", wobei auch auf eine entsprechende Lehrmeinung hingewiesen wird.

Das EFD schliesst seine diesbezüglichen Ausführungen mit dem Satz: "Entsprechend soll auch nur von den Erleichterungen in der Sandbox profitieren dürfen, wer kein Zinsdifferenzgeschäft im hier beschriebenen Sinne betreibt" (vgl. Erläuterungen zur Revision der Bankenverordnung vom 30. November 2018,S. 11 f.).

Der Ersatz des "Anlage- und Verzinsungsverbots" mit dem Verbot, das "Zinsdifferenzgeschäft" zu betreiben, hätte die Auslegungsfrage also lediglich klarstellen sollen. Ein materieller Unterschied zwischen der Sandbox gemäss nArt. 6 Abs. 2 lit. b BankV und der Fintech-Bewilligung nach Art. 1b Abs. 1 lit. b BankG sollte in diesem Punkt aber nicht gemacht werden. Denn immerhin verfolgt der Gesetz- und Verordnungsgeber das Ziel, dass Unternehmen ein Geschäftsmodell in der Sandbox erproben können, das später allenfalls einer Fintech-Bewilligung bedarf (vgl. bereits den erläuternden Bericht zur Vernehmlassungsvorlage vom 1. Februar 2017, S. 36 f.).

Schaffung von Rechtssicherheit vertagt

Nun hätte mit der Revision des Rundschreibens 2008/3 "Publikumseinlagen bei Nichtbanken" die Chance bestanden, das Ziel des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers zur Fintech-Regulierung zu unterstützen und für die Unternehmen Rechtssicherheit zu schaffen, indem auch die FINMA die Formulierungen in Gesetz und Verordnung entsprechend ausgelegt hätte.

Die FINMA bestätigte in ihrem Anhörungsbericht zwar, dass der Begriff des Zinsdifferenzgeschäfts generell und im vorliegenden Kontext der Sandbox-Ausnahme unterschiedlich verstanden werden könne und insofern auslegungsbedürftig sei. Nach ihrem generellen Verständnis des Fachbegriffs «Zinsdifferenzgeschäft» liege ein solches insbesondere dann vor, wenn bei der Anlage der entgegengenommenen verzinsten Einlagen ein bestimmter oder bestimmbarer Zins vereinbart werde. Eine Klarstellung im einschlägigen Rundschreiben, ob sie im Rahmen ihrer Aufsicht im Fintech-Bereich diese eigene Auslegung oder jene des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers anwenden werde, unterliess die FINMA aber mit dem Hinweis darauf, dass ihr dafür der Spielraum abgesprochen werde. Der Begriff könne «auf dem Weg der Aufsichts- resp. allenfalls Gerichtspraxis einer Klärung zugeführt werden».

Zusammenfassend ergeben die möglichen Auslegungen des Gesetzes- und Verordnungstextes folgendes Bild:

Ein Klick auf die Grafik öffnet eine lesbare vergrösserte Ansicht. Die vierseitige Übersicht mit aktiven Links kann als PDF hier runtergeladen werden (Quelle: Dr. Cornelia Stengel & Thomas Weber).

Würden Aufsicht und Gerichte in Zukunft bei der Beurteilung von Fintech-Geschäftsmodellen der weiten Auslegung folgen, dürften im Rahmen der Sandbox die entgegengenommenen Gelder zwar verzinst, dafür aber nur in unsichere Anlagen wie beispielsweise Kryptowährungen investiert, statt beispielsweise auf zinstragenden Bankkonten gehalten werden, weil kein bestimmter oder bestimmbarer Zins vereinbart werden dürfte.

Zudem hätte eine solche Auslegung zur Konsequenz, dass Fintech-Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell in der Sandbox getestet haben und so erfolgreich waren, dass die Einlagen den Schwellenwert von CHF 1 Mio. überschreiten, ab dem Zeitpunkt der Gesuchseinreichung für die danach nötige Fintech-Bewilligung ihr Geschäftsmodell ändern müssten, weil im Rahmen der Fintech-Bewilligung das «Anlage- und Verzinsungsverbot» gilt, welches anders ausgelegt wird.

Mit dem Hinweis der FINMA auf den Weg der Aufsichts- und Gerichtspraxis wird die Schaffung von Rechtssicherheit im Fintech-Bereich vertagt bzw. der Ball wieder dem Gesetz- und Verordnungsgeber zugespielt. Denn eines ist klar: Rechtsunsicherheit ist eine der grössten Hürden für Innovation – gerade die Abschaffung solcher Hürden war das erklärte Ziel der Fintech-Regulierung der Schweiz.

Info: Sandbox und Fintech-Bewilligung

In der Sandbox dürfen Unternehmen Publikumseinlagen von gesamthaft höchstens CHF 1 Mio. entgegennehmen. Dies unter den Voraussetzungen, dass sie die Publikumseinlagen weder anlegen noch verzinsen (Formulierung bis 31. März 2019) bzw. mit diesen Publikumseinlagen kein Zinsdifferenzgeschäft betreiben (Formulierung seit 1. April 2019) und unter der Voraussetzung, dass sie die Einleger darüber informieren, dass sie nicht durch die FINMA beaufsichtigt und die Einlagen nicht von der Einlagensicherung erfasst werden.

Mit einer Fintech-Bewilligung dürfen Unternehmen gewerbsmässig Publikumseinlagen von bis zu CHF 100 Mio. entgegennehmen oder sich öffentlich dafür empfehlen, soweit sie diese Publikumseinlagen weder anlegen noch verzinsen.

Die Gastautorin: Prof. Dr. Cornelia Stengel

Prof. Dr. Cornelia Stengel ist Juristin und Co-Director von Swiss FinTech Innovations (SFTI). Als Rechtsanwältin und Partnerin bei der Kanzlei Kellerhals Carrard Zürich gehören zu ihren bevorzugten Tätigkeitsgebieten das Finanzdienstleistungs-, Finanzmarkt- und Datenschutzrecht.

Ihre besonderen Schwerpunkte: Rechtliche Analyse neuer Produkte, Systeme und Technologien auf dem Finanzmarkt (FinTech), deren vertragsrechtliche Ausgestaltung, Prüfung und Umsetzung von regulatorischen Vorgaben sowie der Aufbau von entsprechenden unternehmensinternen Prozessen.

Cornelia Stengel wirkt an vorderster Front bei der Entwicklung neuer Finanzdienstleistungen mit, insbesondere bei der rechtlichen Ausgestaltung verschiedener elektronischer Zahlungssysteme – sie publiziert auch in diesem Bereich.

Als Co-Director SFTI (Swiss FinTech Innovations), Gastprofessorin und Leiterin FinTank am Insitut für Finanzmanagement FHNW, Geschäftsführerin des Schweizerischen Leasingverbandes (SLV) und als Mitglied der Arbeitsgruppen Datenschutz und Datenpolitik der Economiesuisse, ist Cornelia Stengel zudem auch engagiert im Rahmen von Gesetzgebungsprojekten.

Der Gastautor: Thomas Weber

Thomas Weber ist Advisor Payments & FinTech bei der Kanzlei Kellerhals Carrard. Er beschäftigt sich insbesondere mit den ökonomischen Modellen rund um Zahlungssysteme im Mehrparteien-Modell, den technischen Abläufen von Transaktionen, lizenztechnischen Fragestellungen und Risikomanagement.

Die interdisziplinäre Zusammensetzung des FinTech Teams der Kanzlei erlaubt eine gesamtheitliche Betrachtung und Beantwortung der Fragen, welche sich im Zusammenhang mit Zahlungssystemen, neuen technologischen Entwicklungen und Lösungen sowie neuen Geschäftsmodellen stellen können.

Vor seiner Zeit bei Kellerhals Carrard arbeitete Thomas für ein internationales Zahlungsnetzwerk (Scheme) als Divisional Lead Franchise sowie für einen Schweizer Zahlungsdienstleister in den Bereichen Lizenzcompliance, digitale Transformation, Risikomanagement und Betrugsprävention.