Diversität

Innerhalb von zwei Jahren: Frauenanteil in Führungsetagen hat sich verdoppelt

Eine Business-Frau aus der Führungsetage eines Konzerns
Bild: Westend61 | Getty Images

Diese Zunahme betrifft die grössten börsenkotierten Unternehmen der Schweiz – und: SMI-Unternehmen aus der Finanzbranche gehören zu den Vorreiterinnen.

Eine starke Hälfte der Weltbevölkerung besteht aus Frauen. Diese faktenbasierte Feststellung ist zugegebenermassen dermassen banal, dass sie keiner Erwähnung wert ist. Oder doch? Wenn, dann möglicherweise unter dem Gesichtspunkt, dass Frauen in hochentwickelten Industriegesellschaften und Wirtschaftsräumen über Jahrzehnte in führenden Positionen eklatant unterrepräsentiert waren. 

Haben sich die Anteile der Geschlechter in früheren Jahren tendenziell in zuweilen kleinen – aber immerhin wahrnehmbaren – Schritten ausgleichend verändert, nehmen Bewegungen, Dynamik und Tempo nun offenbar stark zu. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Analyse der internationalen Unternehmens- und Personalberatung Russell Reynolds Associates. Die Expertinnen und Analysten haben nachgezählt und einige erstaunliche Fakten zusammengetragen.

Was hat sich in den Führungsetagen der Schweizer Unternehmen verändert?

Die Frauen sind in den Führungsetagen der grössten börsenkotierten Unternehmen der Schweiz stark im Kommen. In den SMI-Firmen stieg der Frauenanteil im Jahr 2022 von 19 auf 24 Prozent. Das ist im Europa-Vergleich der grösste Zuwachs.

Innerhalb von zwei Jahren hat sich der Frauenanteil im obersten Management sogar von 13 auf 24 Prozent nahezu verdoppelt. Damit hat die Schweiz Deutschland und Dänemark überholt und rangiert nun hinter Spitzenreiter Grossbritannien mit einem Frauenanteil von 29 Prozent sowie Norwegen, Schweden, Finnland und Frankreich auf dem sechsten Platz.

Die "Executive Committee-Studie 2023" von Russell Reynolds Associates operiert mit brandaktuellen Zahlen: die Führungsgremien der 20 SMI- und 28 SMIM-Unternehmen wurden zum Stichtag 1. Januar 2023 analysiert. Bei den Firmen des SMIM, der die grössten Mid-Cap-Unternehmen des Schweizer Aktienmarktes umfasst, stieg 2022 der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen um 0.8 Prozentpunkte auf 14.7 Prozent.

Wo steht die Schweizer Finanzindustrie?

Gleich mehrere SMI-Unternehmen aus der Finanzbranche gehören mit ihrem Frauenanteil in der Führungsetage zu den absoluten Vorreiterinnen: die UBS steht mit 42 Prozent an der Spitze, gefolgt von der Partners Group mit 38 Prozent, der CS mit 36 Prozent und der Zurich mit 33 Prozent. Die Finanzbranche hat damit letztes Jahr auch massgeblich zum Anstieg des Frauenanteils insgesamt beigetragen.

Bei den SMIM-Unternehmen liegt die Software-Entwicklerin Temenos mit 40 Prozent an der Spitze vor Adecco und SIG Combibloc mit je 33 Prozent.

Cornelia Tänzler, Partnerin und Managing Director bei Russell Reynolds Associates, unterstreicht bei dieser Entwicklung die zentrale Rolle der verantwortlichen Gremien, sofern der Wille zur Veränderung vorhanden ist:

«In den Führungsetagen der börsenkotierten Unternehmen in der Schweiz nehmen Frauenanteil und Diversität weiter zu. Es ist sehr erfreulich, dass dieser Trend anhält. Und zeigt, dass die verantwortlichen Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen auch etwas bewegen können, wenn sie den Fokus darauflegen.»

Mehr als die Hälfte der Firmen erfüllt den gesetzlichen Geschlechterrichtwert

Der Geschlechterrichtwert ist seit Januar 2021 im Schweizer Aktienrecht verankert und sieht vor, dass grosse börsenkotierte Unternehmen mit Sitz in der Schweiz mehr Kaderstellen mit Frauen besetzen. Die definierten Richtwerte liegen bei 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 20 Prozent Frauen in der Geschäftsleitung. Sind diese Richtwerte innerhalb der Übergangsfristen ( 5 und 10 Jahre) nicht erfüllt, sind börsenkotierte Unternehmen in der Schweiz ab 2026 (Verwaltungsrat) respektive 2031 (Geschäftsleitung) verpflichtet, im Vergütungsbericht an die Aktionäre die Gründe anzugeben, weshalb die Richtwerte nicht eingehalten wurden, und Massnahmen zur Verbesserung darzulegen.

Die Analyse von Russell Reynolds Associates zeigt, dass 25 der 48 SMI- und SMIM-Firmen den gesetzlichen Geschlechterrichtwert von 20 Prozent in den Geschäftsleitungen erreichen – oder sogar übertreffen: 9 Unternehmen weisen einen Frauenanteil von über 30 Prozent auf. Nullnummern gibt's allerdings auch: 10 Unternehmen haben bisher noch keine Frau in der Geschäftsleitung.

Damit alle Firmen den gesetzlichen Geschlechterrichtwert von 20 Prozent erreichen, fehlen insgesamt noch 29 Frauen (SMI: 8 und SMIM: 21).

Die Analysten sehen verschiedene Gründe für den aktuellen Stand der Entwicklung: «Auf jeden Fall zeigt der gesetzliche Geschlechterrichtwert Wirkung», sagt Markus Hofer, Partner bei Russell Reynolds Associates. «Dabei sind die SMI-Firmen besonders gefordert, weil sie sich auf dem globalen Markt bewegen, weil die Investoren auf die Diversität achten und weil ihre angelsächsischen Mitbewerber diesbezüglich einen Schritt weiter sind.»

Insgesamt zählen die SMI- und SMIM-Firmen in ihren Geschäftsleitungen 71 Frauen. Davon ist nur eine CEO: Magdalena Martullo-Blocher der EMS-Gruppe. 7 Frauen fungieren als CFO, 20 haben Regions- oder Divisionsverantwortung. Die grosse Mehrheit der Managerinnen ist in zentralen Funktionen tätig, hauptsächlich im HR und im Legal.

Führungsetagen der Schweizer Top-Unternehmen: weiblicher und internationaler

Die Führungsetagen der Schweizer Top-Unternehmen werden nicht nur weiblicher, sondern auch internationaler. Und das auf hohem Niveau. Unter den 26 im vergangenen Jahr neu ernannten GL-Mitgliedern (10 Frauen, 16 Männer) haben nur zwei den Schweizer Pass. Es dominieren Bürgerinnen und Bürger aus den USA, Grossbritannien und Frankreich. Insgesamt beträgt der Ausländeranteil in den SMI-Konzernleitungen 73 Prozent (SMIM-Unternehmen: 55.4 Prozent).

Ein Vergleich zwischen der Schweiz und und Deutschland zeigt einen grossen Unterschied: der Anteil der ausländischen Manager in den deutschen DAX40-Konzernen macht lediglich 37.5 Prozent aus.

Ein soziologisches Phänomen als Katalysator?

Möglicherweise beschleunigt sich die laufende Entwicklung zusätzlich durch ein interessantes Phänomen: "Männer verlassen Berufe mit wachsendem Frauenanteil". Diese Erkenntnis ist kein Witz, sondern das Resultat einer aktuellen Forschungsarbeit der Universität Zürich. Das Ergebnis einer empirischen Überprüfung von Verhaltensweisen "zeigt deutlich, dass Männer mit geringerer Wahrscheinlichkeit in Berufen bleiben, in die mehr Frauen wechseln"

Lässt sich dieses Verhaltensmuster in Berufen auf Führungsetagen übertragen? Falls ja, würde ein zunehmender Frauenanteil und die damit verbundenen Fluchtreflexe der Männer dazu beitragen, das Verhältnis der Geschlechter in Spitzenpositionen noch beschleunigter zu harmonisieren. Skeptiker finden hier eine Zusammenfassung der bemerkenswerten Erkenntnissse der Universität Zürich.