Digitale Geschäftsmodelle und Führungskultur: Impressionen und Gedanken vom "Labor Führung" der SKO – aufgezeichnet und gedacht von Patrick Comboeuf.
“Digitalisierung ist für etablierte Finanzinstitute nicht nur in technischer Hinsicht eine Herausforderung. Vielmehr verlangt diese Meta-Transformation von ihnen auch, ihre Positionierung zu überdenken sowie ihre Führungs- und Arbeitskultur anzupassen.”
Mit dieser grob umrissenen Positionierung hat die Schweizer Kader Organisation SKO ins hippe Launchlabs im Basler Gundeliquartier eingeladen. Der Anlass fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe “125 Jahre SKO” statt.
In einer Welt, in der man – also auch der geneigte Leser von MoneyToday.ch – seine Agenda täglich mit mehreren Summits, Meetups oder anderen Anlässen mit Tech- oder Digitalbezug blockieren könnte, interessiert vordergründig immer die Kernfrage:
Eventinflation vs. was bleibt haften?
Oder anders formuliert: wie wird dieses "Labor Führung" in der Retrospektive in ein paar Wochen wohl beurteilt?
Nun, allein mit dem "all female" Line-up verdienten sich die Organisatoren ein Kudos, durchaus auch mit etwas Rosenblüten obendrauf. Die Keynote Speakerin Valérie Vuillerat, Associate Director of Studies des Lehrgangs “Chief Digital Officer HF” am SIB und Gründerin der Hiversity GmbH sowie die beiden weiteren Panelgäste Sandra Lienhart, CEO der Bank Cler und Desirée Mettraux, CEO des (Corporate) Fintech Startups Creadi AG erörterten die durchaus spannenden Thesen mit sehr persönlichen Geschichten.
Die unprätentiöse und kompetente Moderation von Sunnie J. Groeneveld, Unternehmerin (Inspire 925) und ehemalige Geschäftsführerin der Standortinitiative Digital Switzerland, trug mit dazu bei, dass im Dialog mit den gut hundert Gästen eine anregende Atmosphäre mit ebenso angeregten Diskussionen entstand.
Customer Experience – Illusion vs. Wirklichkeit
Nur wenn es gelingt, sich als Unternehmen zurückzunehmen und ganz auf das (lösungsunabhängige) Kundenproblem einzulassen, entstehen Produkte und Dienste, welche die Zielgruppen überzeugen, mitunter sogar begeistern. Geschäftsmodelle orchestrieren, Ecosysteme bauen und Technologien beherrschen – das alles kann man lernen, kaufen und zur Not auch von einem erfolgreicheren Mitbewerber kopieren.
Das digitale ‘Was’ ist austauschbar – nur das ‘Wie’ unterscheidet Gewinner von Mitläufern
Neben Werten, die im Brand des Unternehmens erkannt werden, braucht es dazu intern in allererster Linie eine Kultur, die auf Vertrauen basiert. Vertrauen ist der lebensnotwendige Sauerstoff für jede agile Organisation. Der eine oder andere (männliche) Mitfünfziger im Raum fühlte sich etwas ertappt, als Valérie Vuillerat diese Kultur definierte:
Culture is what happens, when the manager leaves the room. Doing what’s right in the absence of authority.
Damit waren die Themen für die beiden nachfolgenden Podiumsgäste geradezu perfekt vorgespurt. Sandra Lienhart, CEO der Bank Cler, umriss überzeugend, wie ihr Institut gewillt ist, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um ihren Kunden das Leben einfacher zu machen.
Ihr Ziel: Alles bequem online erledigen zu können, ohne dabei auf die Möglichkeit persönlicher Beratung verzichten zu müssen. Dabei gäbe es durchaus auch Überlegungen, mit der Blockchain in die nächste grosse Geländekammer vorzudringen.
Blockchain wird bleiben, Spekulation mit Kryptowährungen sind aber kein Geschäftsmodell für Bank Cler
Klarheit und Einfachheit – auch Creadi, das zweite Unternehmen auf der Bühne, hat ähnliche Ziele. Doch während die Bank Cler auf eine 90-jährige Geschichte zurückblickt, ist Creadi erst seit gut einem Jahr als unabhängiges Innovationslab der PAX Holding auf dem Markt ist. Mit dem umfassenden Projekt wurde Désirée Mettraux als CEO beauftragt. Als ehemalige Versicherungsmanagerin bringt sie Domänenexpertise, als Mitgründerin von MyCamper aber auch Elemente aus der Startup-Szene in diese Rolle mit ein.
User Feedbacks vs. die Meinung vom Productowner
Ein wichtiger Paradigmenwechsel vollzieht sich zweifellos im User-centered Design-Ansatz, den Creadi konsequent verfolgt. Aufgrund der Ergebnisse von ausgedehnten User-Tests wurde so beispielsweise die Marke Simpego zur Plattform für smarte Versicherungen weiterentwickelt. Dort lassen sich nun flexible Versicherungspakete online zusammenstellen. Aus den Befragungen und präsentierten Prototypen ergab sich nämlich, dass viele User Versicherungen wünschen, die individualisierbar sind und ohne feste Laufzeiten funktionieren.
Dass dies mitunter nicht dem Gusto der Produktmanager aus dem Konzern entspricht, versteht sich von selbst. Genau das mache jedoch auch den Reiz einer solchen Aufgabe aus. Im überschaubaren Startup-Team wird möglich, was bei grossen Firmen mit schwerfälligen Prozessen kaum realisierbar ist. Im kleinen, agilen Team lassen sich neue Ideen schnell umsetzen und auf ihre Tauglichkeit prüfen. So trägt die Creadi AG ihren Teil dazu bei, die alteingesessene Versicherungsbranche zu aktualisieren, zu modernisieren und deren Digitalisierung voranzutreiben.
Ein Corporate Startup wie Creadi zu lancieren, sei immer auch ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Wenn Erfolg jedoch nicht nur monetäre Aspekte umfasst, lohne sich das aber auf jeden Fall, so Desirée Mettraux zusammenfassend.
"You are NOT the customer" und eine konkrete Handlungsempfehlung
Bei allen Podiumsgästen und der Moderatorin herrschte Einigkeit darüber, dass Umdenken am Anfang jeder Änderung des Handelns steht. Und weil “You are NOT the customer” mehr sein sollte, als ein launig vorgetragenes Bonmot, lohnt es sich, die Kundenstruktur auch in den (Produkt-) Teams angemessen abzubilden.
Wenn die am schnellsten wachsende Zielgruppe ihres Marktes Frauen über 50, alleinerziehende Väter oder Hardrockfans sind, zahlt es sich eben auch kommerziell aus, Vertreter solcher Milieus anzustellen.
Auch diese sehr konkrete Handlungsempfehlung ist mitverantwortlich dafür, dass der Abend im "Labor Führung" bei vielen Gästen auch in einigen Wochen noch nachhallen wird.
Womit auch die eingangs gestellte Frage "Eventinflation vs. was bleibt haften?" beantwortet wäre, zumindest zum Teil: Haften bleibt, was klar und fassbar vorgetragen neue Einsichten mit hohem Nutzen bringt und anwendbar in die eigene Praxis transportiert werden kann.