InsurTech

Wer Pizza und Sushi online mühelos bestellen kann, stösst beim digitalen Abschluss der Versicherung an seine Grenzen

Junge Frau ratlos vor dem Monitor ihres Laptops
Bild: fizkes | Getty Images

Eine Studie nimmt die Online-Angebote von Schweizer Versicherern eingehend unter die Lupe – und kommt zu bemerkenswerten Einsichten.

Unsere Kollegen von Payment & Banking haben eine interessante Story zu den Online-Anstrengungen von Versicherern gebracht, welche das Internet als Abschlusskanal nutzen möchten. Im Zentrum der Geschichte steht eine Studie, die das Beratungsunternehmen Epam durchgeführt hat. Diese Studie mit dem Namen "Insurance: The Digital Paradox" haben wir uns etwas näher angeschaut.

Wer seine Kunden nicht kennt, digitalisiert an den Zielgruppen vorbei

Die Corona-Pandemie hat die Abschlussraten auf digitalen Kanälen drastisch erhöht, was Versicherer dazu bewogen hat, verstärkt in die Digitalisierung der Vertriebskanäle zu investieren. Dennoch spielen heute die digitalen Kanäle bei den Versicherungs-Abschlüssen (noch) keine tragende Rolle.

Die Studie von Epam hat nach dem Warum gefragt und kommt unter anderem zum Schluss: es reicht nicht, Technologie hochzufahren, es braucht ein vertieftes Verständnis, wie Kundinnen und Kunden ticken und was sie sich wünschen. Wer die Digitalisierungs-Konzepte nicht auf diese Wünsche ausrichtet, kennt seine Kunden nicht und wird an den Zielgruppen vorbeidigitalisieren.

Kundenerlebnis und Customer Journey sind nicht nur leeres Marketing-Gedöns, das eine wie das andere entscheidet darüber, ob digitale Angebote und Prozesse im Internet funktionieren und das investierte Geld zurückspielen. 

Warum die Studie interessant ist

Die Autoren haben sich nicht darauf beschränkt, Fragen zu stellen, sie haben unterschiedliche Altersgruppen bei 12 Schweizer Versicherern eine Versicherung abschliessen lassen und die Probanden bei diesem Prozess beobachtet. 

Der Generationen-Mix der Studien-Anlage ist spannend, mit im Test waren Babyboomers sowie Angehörige der Generation X, Generation Y (Millennials) und der Generation Z. Diese Gruppen haben den Usability-Test gemacht und unbeinflusst und autonom die Online-Prozesse verschiedener Anbieter und Produktgruppen durchgespielt.

Diese Testanlage ist deshalb interessant, weil eine ganze Generationen-Palette versicherungswilliger Kundinnen und Kunden live ihre Versicherung online abschliesst und die gemachten Erfahrungen dokumentiert.

Die Resultate der Schweizer Versicherer

Die Ergebnisse der Testgruppen sind in einem Usability-Score zusammengefasst und abgebildet worden. Als Benchmark und Vergleich sind eine Sushi-Bestellung übers Internet sowie Mobile Banking herangezogen worden.

Die Benchmarks zuerst: Die Sushi-Bestellung hat keine Hürden aufgestellt und kommt im Durchschnitt aller Altersgruppen auf 90 von 100 möglichen Punkten. Mobile Banking liegt ebenfalls gut im Rennen und schafft 76 Punkte. Der Abschluss einer Versicherung ist wohl digital, scheint jedoch alles andere als klar und einfach zu sein, Resultat: schwache 43 Punkte.

Kritische Geister könnten jetzt sagen: Sushi kann jeder, der Abschluss einer Versicherung lässt sich nicht mit Sushi vergleichen. Wir entgegnen gelassen: Wer's nicht schafft, einer Sushi-Generation auch das Versicherungs-Leben einfach zu machen, wird digital wenig Erfolge feiern. Die von spezialisierten InsurTechs abgegebenen Versprechen: Digital, einfach, schnell, transparent und problemos, werden oftmals eingelöst und gelten als Anspruch für alle Versicherer, auch klassische.

Der Unterschied zwischen eigener Wahrnehmung und dem Urteil der Kunden

Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit ist erstaunlich. Vergeben die überforderten oder genervten Gruppen der Tester nur gerade 43 Punkte an die Versicherer, bewerten die C-Level-Expontenten der Versicherungen dasselbe Online-Angebot, also ihr eigenes, mit stolzen 78 Punkten.

Man scheint intern bei den untersuchten Versicherern der Meinung zu sein: ist das analoge Angebot erstmal ins Internet gehievt worden, ist der digitale Job erledigt, die Zielgruppe ist froh, der zusätzliche Vertriebskanal kann sprudeln. Kann es sein, dass die C-Level-Ebene die digitalen Angebote und Prozesse ihrer eigenen Company niemals selbst durchspielt?

Und nochmals ein Gap bei der Kundenzentrierung

Die Studienautoren vertreten die Ansicht, dass Versicherer traditionellerweise stärker produktorientiert und sehr viel weniger kundenorientiert agieren. So würden Versicherungsgesellschaften weltweit Milliarden ins Marketing investieren, aber deutlich weniger Engagement und Ressourcen für das Kundenerlebnis einsetzen.

Diese Betrachtung scheint sich auch bei den Schweizer Versicherern zu bestätigen. Die C-Level-Führungskräfte der 12 Versicherungs-Unternehmen wurden befragt, wie sie ihre Company in Bezug auf Kundenorientierung selbst einschätzen. In der UX-Reifegrad-Skalierung von 1 bis 6 geben sich die Versicherer gute Noten, durchschnittlich die Punktzahl 5.8. Die tatsächliche Punktzahl "von aussen gesehen" liegt bei 3.8.

Interessanter Punkt bei dieser Untersuchung: 67 Prozent der befragten C-Level-Exponenten verwenden die Begriffe "Digitalisierung" und "Kundenorientierung" als Synonyme. Das zeigt, dass diese Exponenten glauben, dass die Digitalisierung an sich zwangsläufig kundenzentriert ist. Diese Haltung ist allerdings Ernüchterung gewichen, als die Führungskräfte die Customer Journey online selbst durchgespielt hatten, offenbar als Premiere und zum ersten Mal. Danach war nur noch ein Fünftel der Ansicht, dass Digitalisierung und Kundenorientierung bedingungslos etwas miteinander zu tun haben.

Die konkreten Kritikpunkte der Testpersonen aus mehreren Generationen

Die Studie "Insurance: The Digital Paradox" geht im Detail auf die zentralen Faktoren ein, welche die Zielgruppen verwirren oder die vermisst werden. Ebenso interessant sind die Unterschiede im Verhalten, im Verstehen und in der Bewertung zwischen Babyboomers, Gen X, Gen Y und Gen Z.

Mit zu den bemerkenswerten Ergebnissen der Studie gehört die Einsicht, dass Online-Angebote, Klarheit und gute Usability von den verschiedenen Kundengruppen erwartet werden, aber: 67 Prozent der befragten Kundinnen und Kunden legen Wert auf die (Online-) Kommunikation mit einem echten Menschen (Beraterin und Berater), bevor sie eine Versicherung abschliessen. Das heisst konkret: auch auf digitalen Kanälen bleibt Beratung wichtig. Eine Erkenntnis, die klassischen Versicherern gute Karten in die Hände spielt.

Die Studie legt nicht nur die wunden Punkte der digitalen Angebote und Prozesse offen, sie liefert auch konkrete Empfehlungen, was Versicherer im Auge behalten sollten. 

"Insurance: The Digital Paradox" geht auf 26 Seiten ins Detail und definiert den Begriff "InsurTech" in Erwartungen, Anforderungen und Notwendigkeiten aus Sicht der Kundinnen und Kunden. Lesenwert für klassische Versicherer und auch für InsurTechs. 

Die Studie in englischer Sprache kann direkt bei Epam kostenlos runtergeladen werden, über den Link gleich unten.