Finanzieren Investoren FinTechs und InsurTechs in Europa, fallen bei den Finanzierungsrunden unter anderem zwei Dinge besonders auf:
Zum einen nehmen die Investments vereinzelt und dennoch vermehrt gigantische Ausmasse an, zum anderen bleiben diese Megasummen wenigen ausgewählten Unternehmen vorbehalten. Jenen FinTechs und InsurTechs eben, denen Investoren zutrauen, Kunden in Massen zu begeistern und damit Märkte umzukrempeln.
Dazu gehören zum Beispiel die britische Challenger-Bank Revolut, die im Februar 2020 eine halbe Milliarde Dollar an Land gezogen hat. Oder auch das FinTech Klarna – die Schweden haben im März 2021 eine Milliarde Dollar einsammeln können.
Der Frühling 2021 bleibt nur im Wetter zurückhaltend, nicht bei der Finanzierung von InsurTechs und FinTechs – die Parade der grossen Finanzierungsrunden geht weiter.
Das InsurTech Wefox sichert sich 650 Millionen US-Dollar
Wefox ist ein InsurTech mit Schweizer Wurzeln – es ist in der Schweiz gegründet worden, spinnt seine operativen Fäden allerdings im gelobten Startup-Mekka Berlin. Warum machen namhafte Investoren 650 Millionen Dollar für ein InsurTech locker, das 2020 mit einem Umsatz von 143 Millionen Dollar im selben Geschäftsjahr einen ersten kleinen Gewinn realisiert hat?
Möglicherweise deshalb, weil sie an das Geschäftsmodell eines InsurTechs glauben, das die Versicherungsbranche von aussen kräftig disruptieren kann – eine Branche, die selbst noch grösste Mühe hat, sich selbst mit wirklichen Innovationen zu kannibalisieren. Kleine Schritte gibt's schon und die Versicherer reihum geben sich offen und innovativ – die grossen Schritte kommen jedoch von aussen, die Kannibalisierung dann möglicherweise ebenso.
Oliver Lang, der CEO von Wefox Insurance (früher One), hat eine Vision. Zum einen ist er davon überzeugt, das digitaler Direktvertrieb zu viel Geld kostet, deshalb setzt er auf Broker und Vermittler als Distributoren und Multiplikatoren, die den Job des Vertriebs übernehmen. Kein Kunde schliesst bei Wefox eine Versicherung ab, ohne mit einem Broker oder Vermittler gesprochen zu haben. Erst danach wird's richtig digital – dann aber durchgetaktet und über alle Prozesse ausgereizt, vom Abschluss zur Policen-Änderung bis zur Schadenmeldung.
Zum anderen will Lang, und das ist die eigentliche Vision und Innovation, eine Versicherung schaffen, die sämtliche Risiken abdeckt, die One Policy. Konkret bucht der Kunde eine Police, eine einzige, die ihn gegen alles Mögliche und Denkbare versichert, in jedem Lebensbereich. 2023 soll die erste One-Police verkauft werden. Wir haben uns im Februar 2021 mit Oliver Lang ausführlich über Konzept und Pläne unterhalten, Details gibt's hier.
Wefox operiert aktuell in Deutschland, Österreich, Polen und in der Schweiz, ist jetzt ein Unicorn mit einer Bewertung von 3 Milliarden und nimmt den Rest von Europa in Angriff. Mit 650 Millionen Dollar in der Kasse und mit einem Produkt-Portfolio, das laufend erweitert werden soll.
Landet das InsurTech in zwei Jahren mit seiner One-Police, könnte eine Abwanderungswelle von traditionellen Versicherern zu InsurTechs in Gang gesetzt werden. Weil das Produkt auf die Wünsche von Menschen fokussiert, die nicht fünf oder zehn Policen bewirtschaften möchten, sie wollen einfach zu einem fairen Preis gegen alle denkbaren Risiken abgesichert sein.
Macht Wefox hier einen wirklich guten Job, dürfte sich das Engagement der Investoren von 650 Millionen Dollar rechnen.
Der Neo-Broker Trade Republic sammelt 900 Millionen US-Dollar ein
Trade Republic ist ein Berliner FinTech mit Banklizenz, das sich als Neo-Broker innerhalb von wenigen Jahren einen Kundenstamm von mehr als einer Million Nutzern in Deutschland, Frankreich und Österreich aufgebaut hat. Das Technologie-Unternehmen bietet die provisionsfreie Anlage in Aktien und Kryptowährungen sowie kostenlose ETF- und Aktiensparpläne.
Warum Online-Plattformen für Aktienhandel boomen – und Krypto-Apps ebenfalls, haben wir schon mehrmals beleuchtet, aktuell zum Beispiel hier. Neo-Broker wie Trade Republic oder Bitpanda und Challenger-Banken mit Trading-Angeboten wie Revolut oder Vivid haben verstanden, was Menschen als Klein- und Direktanleger heute wollen – und das setzen sie konsequent um.
Ein Geschäftsmodell mit hohen Wachstumsraten, das bei FinTech-Investoren als vorauskalkulierte Gewinnchance gut ankommt. Zumal die Stichworte Sparen, Negativzinsen, Vorsorge, hohe Gebühren, Inflation, Vermögensaufbau und Anlegen als Motivations-Mix neue Kundengruppen anzieht, die sich bei klassischen Banken und Brokern offenbar nicht mehr verstanden fühlen.
Ob diese Kundinnen und Kunden in Aktien, ETFs, Kryptowährungen oder Derivate investieren bleibt in ihrer Verantwortung – wichtig ist und wichtiger wird: sie wollen autonom und direkt handeln, ohne die Hürden von Mindesteinlagen oder hohen Gebühren und ohne Produkte reingedrückt zu bekommen, an denen der Anbieter mehr verdient als der Kunde.
Dieses Geschäftsmodell und die erwartete weitere Entwicklung ist einer Reihe namhafter Investoren 900 Millionen US-Dollar wert, die in der aktuellen Mai-Finanzierungsrunde geflossen sind. Das macht Trade Republic zum Mehrfach-Unicorn mit einer Bewertung von 5 Milliarden Dollar.
Mit diesem Kapital will Trade Republic Millionen von Europäern in weiteren Ländern einen sicheren, einfachen und kostenlosen Zugang zum Kapitalmarkt öffnen. So können Menschen, sagen die Macher, in Europa den Vermögensaufbau selbst in die Hand nehmen, um langfristig die massive Rentenlücke zu schliessen.
Die Gruppe der Geldgeber investiert in "diese Demokratisierung der Finanzmärkte", die sie "als eines der zentralen Themen der nächsten zehn Jahre" betrachten. In Trade Republic erkennen sie das FinTech, das "an der Spitze dieser Entwicklung in Europa steht".
Auch diese Investition folgt dem durchkalkulierten Glauben, dass die aktuelle Entwicklung mit der "Demokratisierung der Finanzmärkte" nicht von innen, sondern von aussen durch FinTechs befeuert und dominiert wird und auch in den nächsten Jahren Millionen von Menschen und Neuanlegern anziehen und begeistern wird.
Behalten die Investoren recht, wird sich ihr Engagement von 900 Millionen Dollar als Investition in einen Zukunftsmarkt rechnen. Zumal neben Trade Republic zahlreiche weitere FinTechs mit im Spiel sind, welche einer wachsenden Zahl von Klein- und Direktanlegern die Unterschiede zwischen traditionellen Anbietern und Neo-Brokern deutlich machen.