InsurTech

Pflügen Big Techs als Angreifer die Versicherungs-Landschaft um oder werden sie zu Zugfahrzeugen für Versicherer?

Luftaufnahme eines Traktors, der einen Acker pflügt
Bild: tunart | Getty Images

Im einen wie im anderen Fall, welche Rolle spielen dabei InsurTechs – und Unternehmen wie Ikea, die auf Embedded-Insurance-Modelle setzen?

Big Techs wie Amazon oder Google flirten seit längerem mit der Idee, Versicherungsangebote in ihr Kerngeschäft zu integrieren. Eine wachsende Zahl von InsurTechs drängt in den Markt und überrascht mit neuen Versicherungsmodellen. Banken proben die Möglichkeiten des früheren Allfinanz-Konzepts und loten neue Wege unter dem Segel der Bancassurance aus. Unternehmen wie Ikea und andere integrieren Versicherungen in ihre Angebots-Palette und setzen auf Embedded Insurance.

Die zentrale Frage: Welche Rolle spielen klassische Versicherer bei diesen Entwicklungen? Aus heutiger Sicht sind die Rollen noch nicht verteilt und festgefügt, Um- und Neubesetzungen bleiben möglich und sind ein Stück weit wählbar. Der Versicherungsmarkt ist jedoch im Umbruch und bekommt andere Konturen – auch und gerade durch neue Player. 

Beobachtungen und Einsichten von René Schoenauer, Director Product Marketing EMEA bei Guidewire, zu aktuellen Entwicklungen auf dem Versicherungsmarkt.

Der Markteintritt neuer Player: Chance für Versicherer?

Bereits seit längerem nehmen Techgiganten wie Amazon und Google den Versicherungsmarkt ins Visier. Auch Unternehmen aus anderen Branchen versuchen ihr Kerngeschäft durch Versicherungs-Produkte auszubauen – der Vorstoss von Ikea ist hierfür ein Beispiel. Wie ist die aktuelle Situation? Haben die Big Player, die über riesige Datenmengen und Kapitalmacht verfügen, sich zu einer wachsenden Bedrohung für die etablierten Versicherer entwickelt? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass aktuell kein Grund zur Panik besteht. Vielmehr bietet der Markteintritt neuer Player den Versicherern Chancen.

Die Wogen haben sich geglättet

Amazon hat im vergangenen Jahr in den USA mit dem Amazon Insurance Accelerator einen weiteren Schritt in den Versicherungsmarkt gemacht. Das Netzwerk aus Versicherern, zu dem auch die Munich Re, Hiscox und Chubb gehören, stellt Verkäufern auf der Handelsplattform eine Betriebshaftpflicht-Police zur Verfügung. Die Police sichert finanzielle Schäden ab, die Kunden durch den Kauf defekter Ware entstehen.

Das neue Versicherungsangebot von Amazon war der einzige grosse Coup. Auf lokaler Ebene gab es 2021 einige Kooperationen. So hat sich zum Beispiel die Sparkassen Direktversicherung mit einem umsatzstarken Möbelhändler zusammengeschlossen. Kunden können jetzt beim Online-Möbelkauf schnell und einfach eine Hausratversicherung abschliessen; dabei stehen zwei Produktvarianten zur Verfügung.

Dieses Embedded-Insurance-Modell zeigt, dass der Markt nicht nur von versicherungsfremden grossen Unternehmen verändert wird, sondern dass auch etablierte Versicherer nach Partnerschaften streben, um ihr Geschäft auszubauen.

In diesem Jahr gab es vor kurzem einen weiteren Vorstoss von Tesla. Nach dem Eintrag einer deutschen Gesellschaft im Handelsregister kann das Unternehmen nun Kfz-Versicherungen anbieten. Allerdings ist fraglich, ob das Prämienmodell aus den USA hier anwendbar ist, da die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Speicherung von Daten zum Fahrverhalten andere sind.

Testfeld Versicherungen

Trotz aller Bewegung am Markt: Die branchenverändernden Effekte neuer Zusammenschlüsse und Geschäftsmodelle sind bisher ausgeblieben. Und längst nicht alle Versuche und Vorstösse in den Versicherungsmarkt waren erfolgreich. Dies deutet darauf hin, dass branchenfremde Unternehmen wie die Techgiganten Amazon, Google & Co. sich immer noch in einer Orientierungsphase befinden.

Amazon drängt zwar einerseits auf den Versicherungsmarkt, um neue Geschäftsfelder zu erschliessen, das Unternehmen hat laut Statista im Jahr 2020 nur noch rund 50 Prozent seines Umsatzes über E-Commerce erzielt. Andererseits positioniert Amazon sich selbst als Vermittler zwischen Versicherern und Onlinehändlern.

Die BigTechs agieren noch recht zurückhaltend. Hier zeigen sich auch die fehlende Erfahrung und das mangelnde Branchenwissen. Im Fokus des Interesses stehen Segmente, die hohe Margen bei einfachen Produkten versprechen, wie etwa Reiserücktritt- oder Hausratversicherungen. Je komplexer das Produkt ist, desto unwahrscheinlicher ist der Markteintritt eines der Big Player. Hier spielt auch das Thema persönliche Beratung eine grosse Rolle. Trotz der wachsenden Digitalisierung in der Versicherungsbranche erwarten die Kunden im Sinne einer optimalen Customer Experience, dass persönliche Ansprechpartner zur Verfügung stehen – ein Konzept, das grossen Digitalunternehmen zusätzliche Ressourcen abfordert.

Es zeichnet sich zunehmend ab, dass sich die Techgiganten eher als Kooperationspartner denn als Konkurrenten der etablierten Versicherer verstehen. Die einzelnen Geschäftsmodelle variieren dabei sehr stark. Allerdings bleibt abzuwarten, ob Amazon und Co. sich auf Dauer mit der Rolle als Partner zufriedengeben oder doch wieder stärker in die Angriffsposition wechseln.

Allianzen schmieden

Die klassischen Versicherer sind vor diesem Hintergrund gut beraten, sich mit der potenziellen Konkurrenz zusammenzuschliessen – wenn es sinnvoll und möglich ist. Die Techgiganten und globalen Player sind Vorreiter beim Aufbau von digitalen Ökosystemen und Plattform-Modellen, die einen Mehrwert bieten. Von dieser Erfahrung können Versicherer nur profitieren. Dies erfordert jedoch ein Umdenken bei den Versicherern: Laut dem World InsurTech Report 2021 ist die Mehrheit der InsurTechs in Deutschland an einer Zusammenarbeit mit grossen Tech-Unternehmen interessiert, während die etablierten Versicherer noch sehr verhalten sind. 

Gleichzeitig sollten die Versicherer ihre eigenen Innovations-Initiativen vorantreiben, zum Beispiel Greenfield-Modelle, die es ermöglichen, mit einem Spin-off ein neues Produkt zu entwickeln und erfolgreich zu vermarkten. Schnelligkeit und Skalierbarkeit sind Kernattribute für alle digitalen Innovationen. Ein SaaS-Modell, das von einem externen Partner bereitgestellt wird, der sich um die laufende Modernisierung der IT-Infrastruktur kümmert, bietet viele Vorteile. Dazu gehören der Zugriff auf Data-Analytics- und KI-Lösungen, schnellere Produkteinführungen, ein optimiertes Kundenerlebnis sowie der Aufbau eines Partner-Ökosystems. So aufgestellt können Versicherer selbstbewusst auf Mitbewerber zugehen und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit ausloten.