Die jüngste Neo-Bank in der bereits dicht besetzten Schweizer Neo-Banken-Landschaft hat von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA) die FinTech-Lizenz erhalten. Das Geschäftsmodell von Relio haben wir von einigen Wochen ausführlich beleuchtet, hier.
Schnelle Kontoeröffnung auch für komplexe KMU
Relio setzt auf Vertical Banking, will nicht die Neo-Bank für alle sein, sondern fokussiert auf KMU und Startups. Insbesondere auf jene, die nicht dem gängigen Standard entsprechen und deshalb früher oder später in den Maschen der Compliance klassischer Banken hängenbleiben können. Das "früher" kann mit komplexen Inhaberstrukturen zusammenhängen, das "später" zum Beispiel mit wechselnden Geldflüssen aus neuen Destinationen.
Die Kontoeröffnung von KMU, die nicht ins Standard-Compliance-Verfahren passen, dauert oftmals Wochen und Monate. Ist das Konto endlich da, können veränderte Geldflüsse, Zahlungen aus neuen Ländern oder andere Faktoren bei klassischen Banken wie auch bei Neo-Banken zur temporären Kontosperrung führen, im schlimmsten Fall zum Rauswurf des KMU, weil es einfach anders tickt und eben nicht wie ein Standard-KMU geschäftet.
In dieser Nische positioniert sich Relio mit dem Versprechen: bei uns läuft das grundlegend anders. Die Zürcher Neo-Bank hat ihr Geschäftsmodell mit einem Algorithmus unterlegt, der die Compliance weitgehend automatisiert und intelligent durchprozessiert. Ein Algorithmus, der nach Aussagen des FinTechs alles in den Schatten stellen soll, was bei klassischen und bei Neo-Banken im Einsatz ist. Keine Frage, so Relio, dass dabei sämtliche regulatorischen Anforderungen eingehalten werden.
Mit dieser "neuen Business Class" im Banking verspricht Relio "Compliance without Complications" und wird im Gespräch mit unserer Redaktion auch konkret: Komplexe KMU sollen sehr viel schneller zu ihrem Konto kommen als bei jeder anderen klassischen Bank oder Neo-Bank. Ein bisschen komplex soll in 24 Stunden zu schaffen sein, ziemlich komplex kann zwei Tage in Anspruch nehmen, sehr komplex soll nicht Wochen und Monate, sondern nur wenige Tage dauern.
Auch nach der Kontoeröffnung sollen festgestellte "Unregelmässigkeiten" oder Abweichungen von der Norm im Geschäftsalltag nicht zu Kontosperrungen führen – die Neo-Bank nimmt für sich in Anspruch, über den Algorithmus hinaus auch bei Checks und Abklärungen in "Handarbeit" schnell und effizient zu agieren.
Wann geht Relio "scharf" in den Markt?
Die FinTech-Lizenz ist im Haus, bis zum Markteintritt dauert's jedoch noch einige Wochen. Zum einen muss die FINMA nach Ausstellung der Lizenz noch eine offizielle Erlaubnis zum Go-Live erteilen. Zum anderen laufen bei Relio die letzten Arbeiten für das technische Setup, zum Beispiel der Anschluss ans Swiss Interbank Clearing (SIC).
Zudem ist die Neo-Bank dabei, die regulatorisch erforderliche Mannschaft zu komplettieren. Bisher bekannte Personalien: Pedro Garcia ist neu als Chief Risk Officer und Deputy CEO mit an Bord. Die Lead-Investorin TX Ventures stellt mit Krzysztof Bialkowski ein neues Mitglied im Verwaltungsrat.
Der Credit-Suisse-Effekt
Voranmeldungen von potenziellen Kundinnen und Kunden sind schon länger möglich und die Liste der Interessenten scheint sich gut zu entwickeln. Co-Gründer Milos Stokic hat im Gespräch mit uns auf eine bemerkenswerte Beobachtung hingewiesen: Seit den Medienberichten rund um die Credit Suisse, also seit letzter Woche, stellt Relio eine deutliche Zunahme an Voranmeldungen fest, ohne dass die Neo-Bank irgendwelche Marketingmassnahmen intensiviert hätte.
Zwei- bis dreimal so viele Voranmeldung bedeuten, dass nicht nur automatisierte Compliance, sondern offenbar auch die sichere Verwahrung der Einlagen bei der Schweizerischen Nationalbank zum starken Argument werden können.
Die FinTech-Lizenz
Die FinTech-Lizenz ist eine wegweisende Bewilligung, welche die regulatorischen und finanziellen Hürden für FinTechs erheblich reduziert.
Der Gesetzgeber hat die FinTech-Bewilligung 2019 geschaffen, um Innovationen zu unterstützen und Finanzunternehmen mit starken Ideen zu fördern. Im Vergleich zu einer vollen Banklizenz sind die Bewilligungsverfahren leichter zu absolvieren und die Kapitalanforderungen liegen deutlich tiefer.
Die Publikumseinlagen sind für jedes FinTech auf bis zu hundert Millionen Schweizer Franken limitiert. Die Gelder dürfen zudem weder angelegt noch verzinst werden. Stattdessen werden sie bei der Schweizerischen Nationalbank deponiert, damit sie den Kunden wieder ausbezahlt werden können, wenn ein FinTech in finanzielle Schieflage geraten sollte. Damit schafft die FinTech-Lizenz grosses Potenzial für Unternehmen und Innovationen, ohne die Kunden einem hohen Risiko auszusetzen.
Der Weg zur FinTech-Lizenz ist allerdings trotz Erleichterungen kein Spaziergang, eher langwierig und nicht ganz dornenfrei. Seit 2019 haben – inklusive Relio – erst fünf Unternehmen die Lizenz erhalten. Die aktuelle Liste der Startups und Unternehmen mit FinTech-Lizenz ist hier zu sehen.
Die jüngste Neo-Bank startet in einigen Wochen – und dann?
Die wachsende Zahl der Voranmeldungen scheint die Macher von Relio darin zu bestätigen, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell genau richtig liegen. Zudem plant die Neo-Bank bereits eine zusätzliche Serviceleistung, die nach dem Launch des Geschäftskontos realisiert und angeboten werden soll.
Im Gespräch mit Kunden sowie mit Multiplikatoren wie Rechtsanwälten, Notaren, Treuhändern und Gründungsplattformen hat Relio nach eigenen Aussagen eine erstaunlich grosse Nachfrage nach Kapitaleinzahlungskonten für Firmengründungen festgestellt. Die Gründer schliessen daraus, dass der bestehende Markt in diesem Bereich offenbar weiterhin grosse Defizite im Workflow aufweist. Diese erkannte Lücke will Relio als Nächstes in Angriff nehmen.
Wie die jüngste Neo-Bank der Schweiz mit ihrer Kernkompetenz der automatisierten Compliance im Markt ankommt, zeigt sich nach ihrem Start in wenigen Wochen.