Die letzten Jahre in der FinTech-Branche waren geprägt von Mega-Finanzierungsrunden, insbesondere das Jahr 2021 hat neue Massstäbe gesetzt. Das FinTech Klarna hat im März und im Juni in zwei Runden insgesamt 1.639 Milliarden US-Dollar eingesammelt. Im Frühling 2021 gab's 650 Millionen US-Dollar für das InsurTech Wefox und 900 Millionen für den Neo-Broker Trade Republic. Es folgten 800 Millionen im Juli für die Challenger-Bank Revolut und 750 Millionen Dollar im August für Chime. Die Neo-Bank N26 hat im Oktober 900 Millionen Dollar erhalten – die Liste der grossen Summen lässt sich fortsetzen. Auffällig war, dass Fundings unter 100 Millionen in den Medien kaum noch Erwähnung fanden.
Die Geldschwemme hat zu teilweise abenteuerlichen Bewertungen geführt, die weder durch aktuelle Rentabilität noch durch realistische Ertragserwartungen in absehbarer Zeit gestützt waren, mehr getrieben durch ungebremstes Wachstum und die an eine fernere Zukunft delegierte Hoffnung auf Erträge. So ist Klarna aktuell mit 45.6 Milliarden US-Dollar bewertet, Revolut mit 33 Milliarden – um nur zwei Beispiele zu nennen.
In der Schweiz waren die gebackenen Brötchen etwas kleiner, dem Schweizer Markt angepasst, aber durchaus ansehnlich. FinTechs und Neo-Banken wie Inyova, Neon, Yapeal, Yokoy und andere haben in ihren Finanzierungsrunden ein- bis zweistellige Millionenbeträge eingesammelt.
Die Zeichen stehen noch nicht auf Sturm, aber der Wind hat gedreht
In den letzten Jahren stand Risiko-Kapital fast uneingeschränkt zur Verfügung. Geld war billig, Investitionsmöglichkeiten in erfolgversprechende FinTechs waren gesucht und auch die Grosszügigkeit war vorhanden, auf Wachstum und Skalierung getrimmte FinTechs gewähren zu lassen. Zumal Break Even für VCs nicht unbedingt im Vordergrund stand, der Exit über einen Börsengang war die verlockende Alternative für Investoren, Gründer und weitere Beteiligte, um Kasse zu machen.
Hier findet gerade ein Haltungswechsel statt. Die Zinsen ziehen an, die Inflation ist Realität, Aktienmärkte spielen verrückt, Wirtschaftsprognosen trüben sich ein und die Stimmung der Konsumenten zieht nach. Deshalb wird teurer und rarer gewordenes Kapital wohl weiterhin investiert, aber deutlich zurückhaltender. Und, der wichtigste Punkt, Investoren schränken den Freiraum und die Narrenfreiheit ihrer FinTechs ein – mit Direktiven wie zum Beispiel: nicht mehr Wachstum um jeden Preis, runtergefahrene Cash Burn Rate, entschlossene Schritte in Richtung von Rentabilität, Wachstum weiterhin gerne, neu aber profitables Wachstum.
Zudem, sollten weitere Finanzierungsrunden notwendig sein, werden bisherige Mega-Bewertungen in abenteuerlichen Regionen tendenziell korrigiert und herabgesetzt. Dazu kommen, neben den genannten Marktfaktoren, möglicherweise auch straffere Zügel, welche Regulatoren den FinTechs anlegen könnten.
Dieser plötzliche Haltungswechsel der Kapitalgeber, die veränderten Marktumfelder und die damit verbundene Schubumkehr trifft einige FinTechs, auch sehr grosse, härter und andere etwas weniger. Erstere sind schlechter vorbereitet, weil sie zu lange auf Expansion und Wachstum um jeden Preis gesetzt haben, letztere haben seit einiger Zeit schon Konzepte und Massnahmen in Arbeit, um nach Jahren des ungebremsten Wachstums die Kurve zur Profitabilität zu kriegen.
Woran ist dieser Kurs- und Haltungswechsel festzumachen?
Ins Gesamtbild gehören Börsengänge, die stolze FinTech-Hoffnungsträger (und Anleger an der Börse) zu Verlierern gemacht haben. Zum Beispiel der Neo-Broker Robin Hood, der seit dem Start an der Börse mehr als 70 Prozent an Wert eingebüsst hat. Auch Coinbase bringt nur noch einen Bruchteil der ursprünglichen Kapitalisierung auf die Waage. Ein ähnliches Bild bei der brasilianischen Neo-Bank Nubank.
Der Trost bleibt schwach, dass auch die Aktienkurse zahlreicher renommierter Big Techs in den letzten Wochen und Monaten massiv eingebrochen sind, bei Börsengängen von FinTechs sind die Spielregeln anders angelegt: ein Börsengang ist der Zahltag für VC-Investoren und Kapitalgeber. Mit hohen Bewertungen und hoch angesetzten Aktienpreisen machen die bisherigen Investoren Kasse und das bisher von wenigen grossen VC-Investoren und Gründern getragene Risiko wird neu auf eine Vielzahl von kleineren Anlegerinnen und Anlegern an der Börse verteilt und übertragen – Fantasien und auch zukünftige Gewinnerwartungen inklusive.
Je nach Marktsituation, Stimmung und individueller Verfassung des FinTechs kann sich die weiter geschriebene Geschichte des Börsenneulings sehr erfreulich entwickeln – oder eben auch nicht. Ist ein FinTech erstmal an der Börse kotiert, spielen nicht nur Fantasien und Erwartungen eine Rolle, konkrete Ertrags- und Gewinnaussichten werden wichtiger.
Das ist mit ein Grund, weshalb geplante Börsengänge von hoch bewerteten FinTechs aktuell verschoben werden – die Stimmung an den Märkten und möglicherweise nicht vorhandene Erträge oder der Mangel an konkreten und deshalb bezifferbaren Ertragsaussichten sprechen dagegen.
Nachrichten und Massnahmen von den FinTechs selbst
Dass sich Aussichten und Stimmung an verschiedenen Fronten aus unterschiedlichen Gründen eingetrübt haben, zeigen auch aktuelle Nachrichten aus der FinTech-Branche.
Beispiel Klarna
Das erfolgreiche Riesen-FinTech mit 147 Millionen Kunden und 400'000 angeschlossenen Händlern weltweit und atemberaubendem Wachstum tritt auf die Bremse. Co-Gründer und CEO Sebastian Siemiatkowski entlässt zehn Prozent seiner Belegschaft, davon sind rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen.
Klarna hat eine neue Finanzierungsrunde in Arbeit, zielt nach mehreren Berichten auf eine weitere Milliarde US-Dollar und soll dem Vernehmen nach seine Bewertung von 45.6 Millarden US-Dollar auf 30 Milliarden reduzieren, um für neue Investoren atttraktiver zu sein. Der ursprünglich für 2022 geplante Börsengang ist auf unbestimmte Zeit verschoben.
Beispiel Nuri
Die Berliner Neo-Bank mit Krypto-Spezialisierung entlässt 20 Prozent ihrer Belegschaft, das trifft 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch dieses schnell gewachsene FinTech benötigt eine neue Finanzierungsrunde und stellt seine bisherige Bewertung auf den Prüfstand. Die Nuri-Chefin Kristina Walcker-Mayer kommentiert gegenüber unseren Kollegen von BTC-Echo in entwaffnender Offenheit die zum Teil überzogenen Bewertungen der letzten Jahre, die nun auf neue Realitäten treffen:
«Bereits im letzten Jahr hatte man schon darüber gesprochen, dass die Preise, die für einige Startups gezahlt wurden, eigentlich gar nicht mehr durch die Umsatzprojizierung der nächsten Jahre gerechtfertigt werden könnten»
Der Strategiewechsel des Berliner FinTechs folgt der Einsicht von Walcker-Mayer, dass Unternehmen jetzt mehr denn je zeigen müssten, dass sie sich auf dem Weg zur Profitabilität befinden – das heisst konkret: Abkehr vom reinen Nutzerwachstum, Hinwendung zu höheren Umsätzen und entsprechend geringeren Kosten.
Beispiel Kontist
Die Berliner Neo-Bank mit zahlreichen Zusatzservices und Leistungen für Selbstständige trennt sich von einem Viertel ihres Teams, 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihren Job.
Beispiel Bolt
Das US-amerikanische FinTech Bolt, spezialisiert auf One-Click-Checkout, hoch finanziert, schnell gewachsen, Bewertung 11 Milliarden US-Dollar, entlässt ein Drittel seines Teams von rund tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den USA, Asien und Europa.
Beispiel Sumup
Das FinTech Sumup, spezialisiert auf Zahlungsabwicklung und mobile Kassenterminals, verkleinert sein internationales Team ebenfalls um 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei einer Crew von rund 3'000 Personen kein gewaltiger Einschnitt, aber eine spürbare Massnahme. Auch Sumup, aktuell bewertet mit 22 Milliarden US-Dollar, ist nach einem Bericht von Bloomberg Ende Januar 2022 auf der Suche nach frischem Kapital.
Vorübergehender Knick oder neue Spielregeln auf Dauer?
Aus heutiger Sicht dürften die neuen Spielregeln eher auf Dauer gelten. Nachrichten von weiteren FinTechs, welche auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren, sind zu erwarten.
Neben den konjunkturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die alle Unternehmen betreffen, können Startups und FinTechs in reifen Phasen in besonderem Masse von zusätzlichen Einflüssen betroffen sein, zum Beispiel:
VCs: Risikokapitalgeber werden "geiziger" und stellen erhöhte Anforderungen an ihre FinTechs.
Bewertungen: Überhöhte Fantasiebewertung nach Finanzierungsrunden gehören eher der Vergangenheit an.
Finanzierung: Beschaffung von frischem Kapital wird für FinTechs schwieriger, die Suche nach Investoren und die Prozesse gestalten sich aufwendiger.
Profitables Wachstum: Wachstum um jeden Preis steht nicht mehr im Vordergrund, FinTechs müssen schneller und früher den Beweis antreten, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell profitabel arbeiten können.
Geografische Expansion: Konsolidierung in bestehenden Märkten dürfte wichtiger werden als die schnelle und kostenintensive Expansion in weitere Regionen und Märkte.
Geld verbrennen: Cash Burn Rates dürften verstärkt im Zentrum von Diskussionen stehen.
Regulierung: Regulatoren werden aktiver und könnten FinTechs und insbesondere Neo-Banken engere Fesseln anlegen.
Die Chancen für Startups und innovative FinTechs werden intakt bleiben. Zumal die Geschichte der letzten Jahre gezeigt hat, dass FinTechs sehr viel bewirkt haben. Mit der Entwicklung und Einführung neuer Techologien und Services im Finanzbereich. Beim Verhalten von Konsumentinnen und Konsumenten, die auf neue Leistungen, Möglichkeiten, Tools und Services sowie auf faire Gebühren sehr positiv reagieren. Als Kooperationspartner für etablierte Finanzdienstleister aus verschiedenen Lagern. Als Störer, Impulsgeneratoren und Taktgeber für die Finanzindustrie, die ohne Druck von aussen dazu neigt, Bewährtes zu pflegen und Neues auf die lange Bank zu schieben.
Der FinTech-Branche weht tatsächlich eine steife Brise entgegen. Gut aufgestellte FinTechs werden ihre tragfähigen Geschäftsmodelle früher als bisher auf den Pfad der Profitabilität bringen müssen. Gelingt das, stehen die Zeichen allerdings nicht auf Sturm, sondern auf das rechtzeitige Einbringen der verdienten Ernte.