Interview

Claudio Hintermann zum Investment in Yapeal und zu den Zielen der strategischen Partnerschaft von Abacus und Yapeal

Claudio Hintermann, CEO Abacus Research
Claudio Hintermann, CEO Abacus Research (Bild: Abacus)

Wie ein Software-Hersteller und eine Neo-Bank "DIE" Lösung für das 21. Jahrhundert bauen wollen und warum Claudio Hintermann einen "Tsunami" kommen sieht.

Wie wir vor einigen Tagen berichtet haben, investiert die ERP-Herstellerin Abacus Research mehrere Millionen Franken in die Schweizer Challenger-Bank Yapeal. Ein bemerkenswerter Move, der brisante Perspektiven eröffnet. Einerseits durch die Verbindung von ERP-Systemen und Real-Time-Banking, auf der anderen Seite auch im Zusammenhang mit dem Deep Box-Projekt von Abacus.

Der Deal und die strategische Partnerschaft wirft spannende Fragen auf. Wir haben uns mit Abacus-Chef Claudio Hintermann unterhalten und ihn um ebenso spannende Einsichten gebeten – zum Hintergrund des Engagements und auch dazu, was in Zukunft vom Verbund Abacus und Yapeal zu erwarten sein wird.

Dass die strategische Partnerschaft sehr eng angedacht ist und im Resultat deutlich mehr als nur gerade ein laues Lüftchen generieren soll, das haben die CEOs von Abacus und Yapeal bereits bei der Verkündung des Deals klargemacht. Offen geblieben ist, ob's in der Skala der Stürme bis zum Orkan oder sogar darüber hinausgehen soll. Wir haben nachgefragt, lesen Sie selbst.


Claudio Hintermann zum Investment in Yapeal, zu gemeinsamen Plänen und zu radikalen Veränderungen in der Software- und in der Bankenwelt

MoneyToday.ch: Softwarehersteller Abacus investiert in die Neo-Bank Yapeal, wie kommt’s?

Claudio Hintermann: Hintergrund ist die Abacus-Initiative A.L.A. (Autonomous Life Accounting). Es ist der Wunsch, Buchhaltung nicht mehr als einen rein vergangenheitsorientierten Prozess anzusehen, sondern als etwas Aktuelles. Die Vorteile sind enorm, weil man auf einmal agiert, anstatt aufgrund von historischen Zahlen reagiert

Wir haben versucht “Major-Players” für diese Idee zu begeistern. Aber besonders im Bankenumfeld, und somit im Zahlungsverkehr, hat dieser Wunsch keine Priorität. Der Wille fehlt, den Gesamtprozess zu analysieren und dementsprechend zu optimieren.

Digitalisierung ist ja nicht einfach im Sinne von Papier auf digital zu wechseln. Es geht auch darum, von den veränderten technologischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen und die Marktteilnehmer effizienter und einfacher zu verknüpfen.

Das Investment in Yapeal stellt sicher, dass nicht kurzfristiges Renditedenken im Vordergrund steht, sondern das Ziel, den gesamten Zahlungsprozess sowohl für Yapeal als auch für Abacus und somit auch für unsere Kunden schneller und attraktiver zu gestalten. Schliesslich wollen Yapeal und Abacus “DIE” Lösung für das 21. Jahrhundert bauen. 

In einem Statement bezeichnen Sie Yapeal als den "fortschrittlichsten Player im Schweizer Markt". Warum?

Yapeal weiss, ähnlich wie Revolut oder auch Transferwise, dass Real-Time-Banking der “Game Changer” ist.  

Aber Yapeal hat auch wirklich verstanden, dass die nächste Economy, die kommen wird, eine Economy ist, die API-orientiert sein wird. 

Diese APIs (Application Programming Interfaces) ermöglichen es, Systeme von verschiedenen Marktteilnehmern relativ einfach zu vernetzen. Können Real-Time-Systeme automatisch und selbständig miteinander “reden”, ergibt sich ein “Tsunami” bei den Prozessen, wie sie in Zukunft ausgelöst und verarbeitet werden. Das wird viel drastischer, als man sich das bis heute vorstellen kann, weil die Systeme nicht mehr wie heute reagieren, sondern selbständig agieren werden. 

Nochmals eine günstigere Debitkarte oder eine nette App auf einer konventionellen Bankensoftware kann höchstens eine Zwischenlösung sein

Andere Player versuchen sich in verschiedenen Apps und Frontends. Das ist alles sehr nett, aber es verändert nichts wirklich grundlegend. Nochmals eine günstigere Debitkarte oder eine nette App auf einer konventionellen Bankensoftware kann höchstens eine Zwischenlösung sein. Yapeal hat das Grundproblem gelöst und wird sich nach und nach um die übrigen Prozesse kümmern.

Yapeals "Real Time Banking" – warum ist dieses Stichwort für das Engagement von Abacus ein ausschlaggebender Punkt?

Prozesse, die nicht "Real Time" sind, generieren enorme Aufwände und somit Kosten bei der Abstimmung in der Buchhaltung. Wenn beispielsweise bei einer Bank eine Zahlung, die am Freitag erfolgt, erst am Montag verbucht wird, kann dieser Tag auch in einem anderen Monat oder auch anderem Geschäftsjahr sein. Auch kann es sein, dass die Beträge nicht ganz übereinstimmen, besonders wenn es sich um internationale Zahlungen handelt. 

Aber auch ausserhalb der nicht unwesentlichen Kosten bei der Abstimmung bringt eine Real-Time-Buchhaltung entscheidende Vorteile bei der Finanzierung und Planung eines Unternehmens. Mit künstlicher Intelligenz werden Forecasts möglich. Die Maschine schlägt dem Menschen vor, was als nächstes zu tun ist, weil alle Informationen "Real Time" sind und somit eben ein vollständiges Bild ergeben. Finanzinstitute und alle Marktteilnehmer können so auch viel enger und schneller zusammenarbeiten. Aber auch die Maschine kann selbständig Alternativen evaluieren. 

Somit werden sich in Zukunft zwei Arten von Banken herauskristallisieren. Auf der einen Seite Real-Time-Banken, die mit Rest APIs und mit Real-Time-Buchführungssysteme wie Abacus kommunizieren und dadurch viel effizienter werden. Auf der anderen Seite die konventionellen Banken, die mit ihren Batch-Verarbeitungen und proprietären Prozessen für gewisse Aufgaben immer weniger attraktiv für ihre Kunden werden. 

Abacus positioniert sich als strategischer Investor – welche sichtbaren Resultate soll diese strategische Partnerschaft kurzfristig generieren?

Zuerst wollen wir sicher einmal den aufwändigen Spesenprozess, den Zahlungsverkehr allgemein, aber auch andere Geldprozesse wesentlich vereinfachen. Auch wollen wir unsere XBRL-Bilanzen bei Yapeal automatisch verarbeiten.

Eigene Standards haben nicht wirklich eine langfristige Zukunft, weil sie die Schweiz isolieren, anstatt vernetzen

Der XBRL-Standard zeigt aber auch, wie träge die Schweiz bei der Digitalisierung ist. Immer noch herrscht bei uns in der Schweiz die Tendenz vor, eigene Standards definieren zu wollen, wie die QR-Rechnung, statt europäische Standards zu übernehmen – eigene Standards haben nicht wirklich eine langfristige Zukunft, weil sie die Schweiz isolieren, anstatt vernetzen.

Den XBRL-Standard gibt es international schon seit 1999. In Deutschland ist er schon seit langem Voraussetzung. In der Schweiz hat ihn Abacus vor fünf Jahren eingeführt und trotz vieler Diskussionen mit den Schweizer Banken können XBRL-Bilanzen noch von keiner Bank automatisch eingelesen werden – obwohl es einiges an Geld sparen und die Prozesse automatisieren und beschleunigen würde. 

Ein zukunftsorientierter ERP-Hersteller wie Abacus hat bei einer solchen weit verbreiteten Einstellung nur noch die Möglichkeit, bei einer zukunftsorientierten Firma wie Yapeal einzusteigen, um einfach endlich mal "vorwärts zu machen". Die allgemeine Situation in der Schweiz hat uns quasi dazu gezwungen.

Und welche Früchte wird die Partnerschaft längerfristig tragen?

Die Prozesse für Schweizer Unternehmer so effizient zu gestalten, dass sie in einem internationalen Wettbewerb eine Zukunft haben. Wir stehen vor epochalen Veränderungen, die in dieser Relevanz in der Geschichte der Menschheit nur wenige Male stattgefunden haben. Jeder Marktteilnehmer, aber auch Standort, muss sich neu bewähren, auch der Standort Schweiz!  Werden wir nicht effizienter und agiler, werden wir in dieser neuen Welt immer bedeutungsloser. Das kann schneller geschehen als man denkt.

Das Deep Box-Projekt von Abacus ist das disruptive Knall-Bonbon, das in Zukunft auch Grossunternehmen aus mehreren Branchen das Wasser abgraben soll – wird Yapeal auch in diesem Projekt eine Rolle spielen?

Sicher. Deep Box fügt sich perfekt in die Gedankenwelt von Yapeal und Abacus ein. Irgendwie haben Abacus und Yapeal lange parallel Ideen unabhängig voneinander entwickelt – und dies, ohne voneinander zu wissen. Als wir uns dann trafen, bemerkten wir, dass jeder genau das Puzzle-Teil gebaut hatte, welches der andere vermisste. 

Die allgemeine Situation in der Schweiz hat uns quasi dazu gezwungen, bei einer zukunftsorientierten Firma wie Yapeal einzusteigen

Finale Frage: Welche neuen Services oder konkreten Leistungen werden Yapeal- oder Abacus-Kunden in drei Jahren nutzen können, auf die sie ohne das Zusammenspannen von Abacus und Yapeal hätten verzichten müssen?

Wir wollen im Moment nicht alles sagen, aber meine bisherigen Ausführungen lassen sicher einiges erraten. Abacus ist sich jedoch bewusst, dass Buchhaltung, wie sie heute erledigt wird, noch einen Prozess des 20. Jahrhunderts darstellt und dieser nun vor radikalen Veränderungen steht. Yapeal sieht diese massive Veränderungen auf ihrem Gebiet auch. Es wird sehr spannend. Stay tuned….

Der Interviewpartner: Claudio Hintermann

Claudio Hintermann hat 1985 gemeinsam mit Studienkollegen das Softwareunternehmen Abacus Research gegründet, dessen CEO und Chefstratege er bis heute ist.

Geboren in einer Auslandschweizer-Familie, verbrachte Hintermann die ersten elf Jahre in Italien. Nach dem Gymnasium in der Innerschweiz studierte er Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen. Bereits als Student war er berufsbegleitend als Informatiker tätig und machte sich mit seinem Studienkollegen Eliano Ramelli daran, die erste Finanzbuchhaltungs-Software zu programmieren.

Hintermann ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen. Neben seiner Familie und seinen Mitarbeitenden interessieren ihn die Architektur, die Software-Entwicklung, Literatur (Lieblingsschriftsteller Mark Twain), das Reisen und kulinarische Entdeckungen.