E-Commerce

Amazon will Offline-Einzelhändlern den Weg zur Digitalisierung ebnen – Uneigennützigkeit pur oder kluges Marketing?

Das Amazon-Hauptquartier im Silicon Valley
Bild: Andrei Stanescu | Getty Images

Eine clevere Initiative startet Amazon in Deutschland für kleine und mittelgrosse Händler: "Quickstart Online" soll Händlern neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen.

Das Big Tech Amazon weiss, wie Digitalisierung, Online-Handel und E-Commerce geht. Davon haben zahlreiche Offline-Händler, die während der Corona-Krise Federn gelassen haben, oftmals wenig bis keine Ahnung.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) weiss, wo Einzelhändler der Schuh drückt und welche Wissensdefizite behoben werden müssen, um im Online-Handel Chancen auf Erfolg zu haben. 

Die Initiative "Quickstart Online" hiflt Händlern beim Start in die Digitalisierung

Amazon und HDE starten mit Quickstart Online eine gemeinsame Initiative, konkret ein kostenfreies Wissensportal rund um das Thema E-Commerce. Dieses Portal soll über Webinare, Videos und Broschüren stationären Einzelhänder das notwendige Know-how vermitteln, um ihr eigenes Geschäft von der Offline- in die Online-Welt zu überführen.

Konkret sollen Händler in Online-Seminaren "von führenden Experten kostenlos die wichtigsten Dinge lernen können, um ein eigenes Online-Business aufzubauen". 

Dem möglichen Einwand, dass Amazon damit primär neue Händler für den Marktplatz auf den eigenen Plattformen rekrutieren will, wischt der Deutschland-Chef von Amazon, Ralf Kleber, kurz und knapp mit dem folgenden Statement vom Tisch:

Um eines klarzustellen – es geht dabei nicht darum, Menschen zu erklären, wie sie auf Amazon erfolgreich sein können

Kleber äussert sich in einem Aufsatz auf LinkedIn zu Hintergrund, Motiven und Inhalten des neuen Programms, hier nachzulesen.

"Das Wissensportal für digitale Durchstarter" geht am 15. September 2020 live – wer mit Quickstart Online in über 20 Kapiteln E-Commerce lernen will, wird hier fündig.

Ein Big Tech tut einen cleveren Schritt – und was andere daraus lernen können

Die uneigennützige Intention mag man Ralf Kleber nun glauben oder auch nicht, Tatsache ist: Amazon holt mit Quickstart Online kräftig Anlauf und liefert interessierten Händlern ein dichtes und sattes Programm an Infomationen, Tools und Hilfen – kostenlos.

Teilt ein Erfolgreicher sein Wissen und liefert Händlern in schwierigen Zeiten zum Nulltarif erprobte, praktikable und umsetzbare Rezepturen, schafft das Image. Möglicherweise sogar eine Art von Dankbarkeit in Form von neuem Kitt. Oder im geringsten Fall verliert der "böse Grosse" aus den USA, der Läden und Offline-Händlern keine Chance lässt, viel von seinem Schrecken.

Werden kleine und mittelgrosse Hàndler durch das neue Wissen fit für E-Commerce, starten ihren eigenen Online-Handel und wollen parallel dazu von riesigen Kundenströmen auf bestehenden Plattformen profitieren – das Big Tech wird ihnen den Zutritt zum Amazon Marktplatz nicht verwehren.

Können Player in anderen Branchen, auch in der Finanzindustrie, etwas lernen?

Möglicherweise schon. Zahlreiche Unternehmerinnen, Unternehmer und Firmen sind durch die Corona-Krise und durch den Lockdown regelrecht durchgeschüttelt worden. Die Krise ist nicht vorbei, die Fahrt geht in schwierigen Umfeldern und anspruchsvollen Gewässern weiter.

Fokussiert auf einzelne Branchen: Wo liegen die grössten Probleme, was fehlt Unternehmen und Selbstständigen der jeweiligen Branche jetzt am meisten? Gibt's Informationen, Know-how, Tools und Unterstützung, Angebote, welche über die gewohnten Dienstleistungen hinausgehen, die in neu aufbereiteter und komprimierter Form grossen Nutzen stiften könnten?

Wer auf diese Fragen konkrete Antworten findet und Pakete schnürt, die in Zeiten von Corona im harten Unternehmer-Leben etwas bewegen und verändern können, wird Wirkung generieren. Wirkung und Effekte, die im normeln Business-Alltag mit den gewohnten Angeboten nicht zu erreichen sind. 

Praktikable Wirtschaftsförderung aus den Reihen der Wirtschaft

Alle rufen nach Wirtschaftsförderung und denken dabei primär an den Staat. Nur, wer weiss mehr über Wirtschaft als die Wirtschaft selbst? Die weitsichtigen Wirtschaftsförderer – das sind jene Exponenten aus der Wirtschaft, die über den eigenen Tellerrand hinausdenken – tun nicht nur Gutes, sie sichern sich über den Umweg ungewöhnlicher Massnahmen Kunden und Märkte von morgen. Sie helfen mit, die Wirtschaft insgesamt zu stärken und leisten Beiträge, damit möglichst viele tatkräftige Händler und gesunde Unternehmen weiterhin an der Wirtschaft teilnehmen können.

Über diese Art der praktikablen Wirtschaftsförderung hat Amazon offensichtlich nachgedacht und ein Paket geschnürt, das Offline-Händlern neue Felder öffnen kann. Bei Big Techs muss es ja nicht bleiben, auch andere Player mit anderen Business-Kunden sind kreativ. Player mit bisher nicht gehobenen und nicht publizierten Info-, Know-how- und Angebots-Schätzen, welche diesen Business-Kunden konkrete Hilfe und neue Perspektiven bieten können.

Brain ist gefragt und neue Ideen müssen entwickelt werden, die der Reise- und Tourismusbranche, der Hotellerie, der Gastro-, der Event- und zahlreichen anderen Branchen helfen, mit neuen Geschäftsmodellen zu überleben und sogar gestärkt aus Krisen hervorzugehen.

Wer hier aktiv wird, braucht nicht über die Frage nachzudenken, ob Uneigennützigkeit pur oder kluges Marketing im Vordergrund stehen. Der Stoff, aus dem neuer Kitt und langanhaltende Beziehungen gemacht sind, bringt Nutzen für alle Beteiligten. Immer.