Open Finance

Schweizer Banken wollen Open Finance etwas offener definieren

Mann im Anzug öffnet ein grosses Tor einen Spalt weit
Die Schweizerische Bankiervereinigung ist bemüht, die Tore etwas weiter zu öffnen (Bild: Getty Images | nicolas_)

Die Banken haben den Warnschuss des Bundesrates gehört und wollen jetzt in Sachen Open Banking und Open Finance konkreter werden.

Die Marktforscher und Analysten von Juniper Research haben das Thema Open Banking unter die Lupe genommen und prophezeien unter dem Titel "Why the Future of Banking is open" der offenen Bewegung gewaltige Zuwachsraten und enormes Potenzial. Die Experten bezeichnen Open Banking bereits heute als Erfolgsmodell für die Finanzbranche und orten insbesondere in Europa einen beträchtlichen Vorsprung. Dies deshalb, so die Analysten, weil Europa durch die PSD2 eine Vorreiterrolle eingenommen hat und ein Beispiel dafür liefert, wie regulatorische Strömungen die Innovation fördern können. Details zu aktuellen Zahlen und zur kostenpflichten Studie gibt's hier.

Die Definition von Open Banking in der EU

Die Analyse von Juniper bezieht sich nicht auf die Schweiz, sondern auf die Bankenlandschaft in der EU. Mit der PSD2 (erweiterte Zahlungsdienste-Richtlinie) hat das Europäische Parlament sämtliche Banken in der EU verpflichtet, Drittanbietern über APIs den Zugriff auf die Konten ihrer Kunden zu öffnen, um Innovationen innerhalb von Open Banking zu ermöglichen. Dadurch können Drittparteien, natürlich mit dem Einverständnis der jeweiligen Kunden, bei jeder Bank Kontoinformationen abholen oder direkte Zahlungen auslösen. Die PSD2 regelt die Verfahren und Standards und ist, nach einigen Geburtswehen und Anlaufschwierigkeiten, seit September 2019 in Europa in Kraft und Anwendung.

Die Definition von Open Banking in der Schweiz

Als Nicht-EU-Land ist die Schweiz der PSD2 nicht unterstellt. Das Thema Open Banking, bald schon erweitert durch Open Finance, ist in der Schweiz sehr zaghaft diskutiert worden. Nach eher grossen Widerständen hat sich die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) dem Thema geöffnet und hat erstmals im Februar 2020 Open Banking gewissermassen offiziell als Chance für den Finanzplatz deklariert.

Seither versucht die SBVg mit verschiedenen Initiativen und Aufklärungsarbeit, Open Banking und Open Finance auch in der Schweiz einen Platz zu geben. Die Banken bleiben, mit wenigen Ausnahmen, zurückhaltend und definieren "Open" eher als Einbahnstrasse. In dem Sinne, als die jeweilige Bank nur ausgewählten und handverlesenen Partnern und FinTechs Zugriff auf Konten und Kontoinformationen gewährt. Im Gegensatz zur EU, wo jede Drittpartei, welche die klar definierten Voraussetzungen erfüllt, ihr Recht auf entsprechende Zugriffe bei jeder Bank in Anspruch nehmen darf. Ohne Ausnahme, die Bank darf den Zugriff nicht verweigern oder erschweren.

Diese in der Schweiz sehr restriktive Auslegung von "Open" lässt eine Entwicklung in der Breite nicht zu und verhindert mögliche Innovationen auf allen Seiten. Die Aversion der Banken gegenüber der Öffnung ist nachvollziehbar, für deren Ambivalenz ist sogar ein neuer Begriff kreiert worden: das Open Banking-Paradoxon. Dieses Paradoxon bezeichnet die neuen und wachsenden Wünsche von Kunden, welche nicht mehr zum Angebot ihrer mauernden Hausbank passen.

Die verteidigten Bastionen sind auf Dauer allerdings nicht zu halten, die Zeichen der Zeit sprechen eine völlig andere und klare Sprache. Deshalb hat die EU nicht auf Freiwilligkeit gesetzt, sondern eine Verordnung geschaffen, welche den Banken keine Wahl lässt. Sämtliche Banken in der EU sind verpflichtet, die PSD2 umzusetzen, um Innovationen nicht auszubremsen.

Eine Verordnung von aussen durch Regulatoren oder den Gesetzgeber möchten die Schweizer Banken verständlicherweise verhindern, eine PSD2 in Schweizer Ausführung ist nicht erwünscht. 

Der Warnschuss des Bundesrates

Hat sich Bundesbern längere Zeit aufs Motivieren beschränkt, um beim Thema Open Finance Bewegung in die Schweizer Bankenlandschaft zu bringen, hat der Bundesrat Ende 2022 zum ersten Mal Druck aufgesetzt. 

In seiner Sitzung vom 16. Dezember 2022 hat sich der Bundesrat mit den Entwicklungen von Open Fnance in der Schweiz befasst. Als Ergebnis aus dieser Sitzung sind zuerst zwei aufmunternde Einsichten kommuniziert worden.

Zum einen: "Das Engagement der Branchenverbände und verschiedener Finanzinstitute ist zu begrüssen, vielsprechende Projekte in Bereichen wie Altersvorsorge, Vermögensverwaltung, Zahlungsverkehr und Multibanking wurden lanciert."

Zum anderen und zum Thema Freiwilligkeit: "Der Bundesrat geht weiterhin davon aus, dass ein marktbasierter Ansatz funktionieren kann." Mit dieser freundlich formulierten Erwartung ist der Bundesrat bereits in Lauerstellung und konstatiert, dass dieser marktbasierte Ansatz bisher eben nicht funktioniert hat.

Der Bundesrat stellt nüchtern fest: "Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie etwa der EU oder dem Vereinigten Königreich, besteht in der Schweiz gegenwärtig keine gesetzliche Verpflichtung für Finanzinstitute, Drittanbietern auf Wunsch der Kundschaft Finanzdaten zugänglich zu machen."

Im Weiteren wird der Bundesrat fordernder, deutlich konkreter, erhöht den Druck auf Banken und Finanzdienstleister und kommuniziert diesen Druck mit folgenden Worten:

Zum einen glaubt der Bundesrat: "Es braucht bei der Öffnung der Datenschnittstellen jedoch konkretere Fortschritte sowie mehr Verbindlichkeit."

Zum anderen werden Konsequenzen ins Auge gefasst: "Der Bundesrat hat das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) beauftragt, ihm bis im Juni 2024 Massnahmen zu unterbreiten für den Fall, dass sich die Finanzbranche nicht ausreichend für die Öffnung ihrer Schnittstellen engagieren sollte."

Der bundesrätliche und unmissverständliche Wink mit dem zweihändig geführten Zaunpfahl bedeutet im Klartext: 

Man befürchtet, dass die Schweiz den Anschluss verliert, der Finanzplatz Schweiz an Bedeutung einbüsst, ist nicht zufrieden mit der schleppenden Entwicklung von Open Finance und behält sich vor, mit einer Art von PSD2 in Schweizer Ausprägung eine Regulierung zu schaffen, die für alle Banken verpflichtend sein wird.

Der Schuss aus Bern ist gehört worden, Schweizer Banken werden aktiv

Unter der Führung der SBVg hat eine Gruppe von Banken in der Schweiz ein "Memorandum of Understanding" unterzeichnet – mit dem Ziel, die Einführung von initialen Multibanking-Angeboten für natürliche Personen bis Mitte 2025 zu ermöglichen. Die News der Schweizerischen Bankiervereinigung bringen wir im Folgenden im Originalwortlauf, ohne Interpretationen:

"Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) und ihre Mitgliedinstitute sehen eine grosse Chance für den Finanzplatz Schweiz in den Möglichkeiten, die sich durch die Öffnung der Schnittstellen und der Kooperation unter Banken und mit Drittanbietern ergeben. Der marktbasierte Open-Finance-Ansatz ist der richtige Weg, um das bestehende Angebot weiterzuentwickeln und auch zukünftig einfache, innovative und sichere Finanzdienstleistungen anzubieten.

Um die Umsetzung von konkreten Anwendungsfällen in der Schweiz zu unterstützen, hat die SBVg gemeinsam mit interessierten Mitgliedsinstituten ein «Memorandum of Understanding» (MoU) erarbeitet, womit initiale Multibanking-Angebote für natürliche Personen ermöglicht und umgesetzt werden sollen.

Mit der heute veröffentlichten Erklärung beabsichtigen die Unterzeichnenden, aktiv auf das gemeinsame Ziel hinzuarbeiten und initiale Multibanking-Angebote für natürliche Personen zu ermöglichen sowie einen Beitrag zur Lösung institutsübergreifender Fragestellungen zu leisten. Damit sollen insbesondere die Interoperabilität und der Datenaustausch zwischen verschiedenen Banken, FinTech-Unternehmen und weiteren Finanzinstituten verbessert und den Kundinnen und Kunden somit ein möglichst durchgängiger Überblick ihrer finanziellen Situation ermöglicht werden.

Mit dem Engagement der Branche wird aktiv auf die vom Bundesrat Ende 2022 formulierten Ziele für Open Finance am Finanzplatz Schweiz hingewirkt. Das MoU wird als wichtiger Schritt für die Schweizer Bankenbranche angesehen, da es die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen involvierten Akteuren, unter anderem Banken, Technologieunternehmen, Infrastrukturanbietern sowie FinTechs, im genannten Anwendungsfall fördern und die weitere Innovation sowie die digitale Transformation der Branche in der Schweiz unterstützen wird."

Wer ist mit im Spiel?

Das Memorandumg of Understanding als im Moment "nicht bindende Absichtserklärung" kann hier runtergeladen werden. Die unterzeichnenden Banken (Stand 9. Mai 2023) auf einen Blick:

Welche konkreten Resultate der aktuelle Anlauf zur Konkretisierung von Open Banking und Open Finance in der Schweiz bringen kann, wird die Zukunft zeigen. Die Initiative ist nach Jahren der Zurückhaltung sicher ein Schritt in die richtige Richtung. 

Die Dimensionen von Open Banking und Open Finance

Open Banking ist in gewisser Weise die kleine Schwester von Open Finance – die Möglichkeiten von Open Finance gehen deutlich weiter und beschränken sich nicht aufs Banking. Von Kundinnen und Kunden her gedacht schliesst Open Finance alles mit ein, was mit Geld, Finanzen, Banking oder Vorsorge zu tun hat. Jeder Finanzbereich soll einfach erreichbar, verfügbar und einfach zu managen sein. Ein nochmals stark erweitertes Feld, das Anbietern und Nutzern enorme Vorteile bringen kann.

In naher Zukunft schliesst die Philosophie von "Open" noch sehr viel mehr ein. Zum Beispiel wird Decentralized Finance (DeFi) die Finanzindustrie stark verändern. DeFi funktioniert ohne Intermediäre und deshalb auch ohne Banken. Letztere können allerdings als Anbieter starker Teil der Bewegung sein. Oder eben auch nicht. Im einen wie im anderen Fall allerdings nicht (mehr) als regieführende Partei oder regelnbestimmendes Gremium der gesamten Bewegung. DeFi funkioniert eben dezentral und ohne Chefetage, vernünftige Regulierung ausgenommen, die gehört zwingend mit ins Spiel.

Weitere Entwicklungen wie Embedded Finance oder Banking as a Service (BaaS) und weitere Strömungen kommen dazu – durchwegs Entwicklungen, welche die gewohnten Strukturen der Finanzindustrie aufbrechen. Diese Strömungen und Entwicklungen sind nicht aufzuhalten – sie spielen in unterschiedlicher Ausprägung bereits heute eine Rolle, werden in ihrer Bedeutung und Durchsetzung stark zunehmen und die Beziehungen von Anbietern und ihren Kunden in der Finanzindustrie auf neue Beine stellen.

Dazu kommen Entwicklungen und Initiativen von grossen Tech-Unternehmen, welche Zugang zu Millionen und Milliarden Nutzerinnen und Nutzern haben. Zum Beispiel Apple hat inzwischen in den USA ein attraktives Paket von Finanzdienstleistungen geschnürt, MoneyToday.ch hat berichtet, das Open Finance nochmals anders definiert: nicht die Bank bestimmt, wer Open-Finance-Partner sein darf – Apple bestimmt, welche Bank mitmachen darf.

Alle diese Entwicklungen sind mit dem Begriff "Open" verwoben. Wer dieses "Open" weitsichtig definiert und progressiv umsetzt, nutzt alle Chancen, um auch in Zukunft in der ersten Reihe zu agieren.