Die Neo-Banken-Pionierin Anne Boden ist nicht unbedingt die klassische Ausführung der typischen Startup-Gründerin. Nach über 30 Jahren Karriere in in der Finanzbranche, unter anderem in führenden Funktionen bei Allied Irish Banks, RBS, ABN Amro und UBS, war Boden der Meinung:
Banking is broken
Sie hätte sich, gereift an Jahren und Erfahrung, zu den von ihr ausgemachten Scherben des Banking legen und noch einige Jahre von der Grosszügigkeit der Finanzindustrie profitieren können.
Boden entschied sich gegen das angenehme Leben und weitere Karrierestufen in der Finanzindustrie, sie wollte das Banking "reparieren" und mit der neu gegründeten Starling Bank durch eine radikal andere Art von Banking ersetzen. Mit Leistungen, welche für Nutzerinnen und Nutzer den Umgang mit Geld einfach, schnell, digital, kostengünstig und komfortabel machen soll – auf dem Smartphone.
Das war 2014. Zu einer Zeit, als in Grossbritannien Monzo, Revolut und andere Neo-Banken noch nicht in Sicht waren, die kamen erst später. Die Gründerin und CEO hat mit ihrer Starling Bank neue Massstäbe gesetzt, an denen sich heute praktisch alle Neo-Banken messen lassen. Bereits seit 2016 mit eigener Banklizenz unterwegs, hat die Pionierin ihre Betrachtung von "Banking. But better." Schritt für Schritt umgesetzt und alles in die App und aufs Handy gepackt, was in ihrer Betrachtung wirklich gutes Banking ausmacht.
Auf bestehende Geschäftsmodelle und Vorlagen konnte Boden nicht zurückgreifen, den Markt der Challenger- und Neo-Banken gab es noch nicht. Anne Boden ist und bleibt die erste und einzige Frau in Grossbritannien, die das Konzept "Neo-Bank" von Grund auf entwickelt und mit der Gründung der Starling Bank dem neuen Banking ein markantes Gesicht gegeben hat.
Ein guter Zeitpunkt, um die Führung der Bank abzugeben
Die Gründerin und Macherin hat in neun Jahren enorm viel erreicht. In UK bedient die Starling Bank heute nach eigenen Angaben 9.4 Prozent des KMU- und über 2.4 Prozent des Privatkunden-Giromarktes – insgesamt 3.6 Millionen Kundinnen und Kunden.
Digitales Onboarding, ausgebaute Funktionen und Leistungen, keine oder sehr tiefe Gebühren sowie ein 24/7-Kunden-Support haben der Starling Bank Millionen Kunden und hervorragende Bewertungen eingebracht. Anne Boden hat ihre Neo-Bank nicht nur gross gemacht, sie hat das FinTech auch in die Gewinnzone geführt. Im vergangenen Geschäftsjahr hat die Starling Bank ihren Gewinn vor Steuern im Vergleich zum Vorjahr auf 195 Millionen Pfund versechsfacht. Der Umsatz hat sich im selben Zeitraum verdoppelt und auf 453 Millionen Pfund erhöht – auch andere zentrale Kennziffern zeigen nach oben. Der Annual Report 2023 der Starling Bank kann hier als PDF runtergeladen werden.
Den Charakter ihrer Neo-Bank und gleichzeitig das Erfolgsmodell der letzten neun Jahre beschreibt die Gründerin kurz und knapp mit folgenden Worten:
Hohes Wachstum, profitable britische Digitalbank mit einem nachhaltigen, risikoarmen Geschäftsmodell
Anne Boden wird am 30. Juni 2023 als CEO zurücktreten und als nicht geschäftsführende Direktorin im Vorstand bleiben. Damit überlässt sie den weiteren Lebensweg ihres Babys, das inzwischen erwachsen geworden ist und sehr grosse Schritte macht, nicht bedingungslos anderen. Boden wird weiterhin an den richtigen Fäden ziehen und vor allem die Strategien rund um Banking as a Service und Embedded Finance beeinflussen – darin sieht die Gründerin enormes Potenzial. John Mountain, COO von Starling, wird die Position des Interims-CEO übernehmen, um die digitale Bank in die nächste Wachstumsphase zu führen.
Boden begleitet den aktuellen Geschäftsbericht der Starling Bank und den Sesselwechsel mit den Worten:
Als ich 2014 Starling gründete, wurde mir gesagt, dass niemand jemals eine Bank gründen würde, niemand Marktanteile gewinnen würde und man nie einen Gewinn machen würde – die heutigen Ergebnisse beweisen, dass sie falsch liegen
Die Gründerin hat recht behalten, sie hat die Finanzbranche in Grossbritannien und darüber hinaus massgebend geprägt und mit der Rezeptur der Starling Bank FinTech-Geschichte geschrieben.
Starling forciert ihr zweites B2B-Standbein: BaaS und Embedded Finance
Neben dem Wachstum in Grossbritannien im B2C-Geschäft fährt Starling auf weiteren Schienen, die Erfolg versprechen. Mittelfristig kann ein zweiter Blick über den Kanal auf die EU interessant sein. Nicht in erster Linie für das direkte Geschäft mit Endkunden, diese Expansionspläne hat Boden bereits Mitte 2022 vorderhand auf Eis gelegt, um einen andere Strategie zu forcieren. Der EU-Raum bleibt jedoch im B2B-Bereich interessant.
Mit der Starling Engine setzt die Neo-Bank auf die Banking-as-a-Service-Schiene. Starling Engine ist die Software und die Bankinfrastuktur, welche die Starling Bank mit eigenen Ingenieuren und eigenen Entwicklerinnen seit der Gründung der Bank von Grund auf neu entwickelt hat. Eine Investition in Technologie und Autonomie, die sich in den nächsten Jahrten bezahlt machen kann.
Ihre Technologie und damit auch BaaS- und Embedded-Finance-Leistungen stellt Starling anderen Banken, FinTechs und Unternehmen zur Verfügung. Anne Boden hat die letztes Jahr auf Eis gelegten EU-Expansionspläne im Direktkundengeschäft auch damit begründet, dass sie in den Bereichen Banking as a Service (BaaS) und Embedded Finance und damit im B2B-Bereich höhere Renditen erwartet. Diese Ausrichtung und Strategie beschränkt sich nicht auf Grossbritannien, Europa hat hier sehr viel noch nicht ausgeschöpftes Potenzial.
Boden brachte ihre Neo-Bank bereits vor zwei Jahren in diesen Märkten in Stellung und hat auch klare Vorstellungen, in welchen Bereichen Chancen liegen können:
Wir gehen davon aus, dass wir unser Banking-as-a-Service (BaaS)-Angebot auf neue und etablierte Marken ausweiten werden, die ihre eigene Finanzkompetenz aufbauen möchten
Boden und damit Starling haben erkannt, was noch längst nicht alle Banken begriffen haben: Ist die eigene Technologie wirklich gut, wäre es pure Verschwendung von Chancen und Potenzialen, diese Technologie Drittparteien vorzuenthalten. Was FinTechs wie Solaris, Klarna, Wise, Bitpanda und in Teilen auch Banken wie Deutsche Bank oder Goldman Sachs praktizieren, steht grundsätzlich allen Neos und klassischen Banken offen, die moderne und erstklassige Technologie an Bord haben und für ihr eigenes Geschäft nutzen.
Wer seine Technologie und das vorhandene Know-how nicht Dritten zur Verfügung stellt, dürfte ein beträchtliches Stück der Zukunft verpassen. Und damit Erträge, die in wachsenden B2B-Märkten zu holen sind.