FinTechs

Sand im Getriebe der Neo-Bank N26

Business-Mann mit Schraubenschlüssel arbeitet an einem Getriebe
Bild: SergeyNivens | Getty Images

Jahrelang liefen Geschäft und Expansion für N26 wie geschmiert – in den letzten Monaten hat die Neo-Bank vermehrt mit Widerständen zu kämpfen.

Beim Start der Neo-Bank N26 im Juli 2019 in den USA, war die Welt des erfolgreichen Berliner FinTechs noch in Ordnung. N26 hatte damals 3.5 Millionen Kunden (heute doppel so viele), Co-Gründer und CEO Valentin Stalf war überzeugt, in den kommenden Jahren zwei Ziele zu erreichen: Zum einen das Banking-Verhalten der Amerikaner durch die eigenen Angebote radikal zu verändern und damit in den USA die traditionellen Banken abzulösen. Zum anderen weltweit mehr als 50 Millionen Kunden zu erreichen. 

Das weltweite Ziel steht nach wie vor auf der N26-Agenda, liegt inzwischen bei 100 Millionen Kunden, die USA-Ziele sind allerdings nach zwei Jahren Kampf und Krampf Geschichte.

Konzentration auf Kernmärkte in Europa und USA

Ende 2020 überraschte Stalf mit einer neuen Strategie und der Aussage:

Wir haben heute eine ganz klare Strategie, wir konzentrieren uns auf unsere Kernmärkt in Europa

Als Kernmärkte bezeichnete Stalf damals Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und Italien. Die Erschliessung neuer Ländern und Märkte war damit nicht mehr Teil der Expansions-Strategie von N26. Ausnahme: die USA. Diesen Markt zählte Stalf Ende des letzten Jahres weiterhin zu den definierten Kernmärkten von N26 mit der saloppen Begründung, dass in Amerika das Bankensystem noch viel steinzeitlicher wäre als in Europa. Da rechnete N26 sich offenbar weiterhin gute Chancen aus, trotz einheimischer FinTech-Grössen wie Chime und anderen Neo-Banken.

N26 zieht sich aus dem Markt USA zurück

Nach Ankündigungen der letzten Wochen, dass N26 das Geschäft in den USA eher mit angezogener Bremse weiterführen wolle, hat das FinTech aktuell nun bekanntgegeben, dass N26 das US-Geschäft einstellen wird. Kundinnen und Kunden in den USA wird das Angebot ab 11. Januar 2022 nicht mehr zur Verfügung stehen, 500'000 Kundenkonten sollen aufgelöst werden.

Dies ist bereits der zweite Länder-Exit, im Februar 2020 räumte die Neo-Bank nach 18 Monaten in Grossbritannien das Feld und zog sich aus dem britischen Markt zurück. Von diesem Ausstieg waren damals nach Angaben des FinTechs weit über 200'000 Kunden betroffen.

Der damalige GB- wie auch der aktuelle USA-Ausstieg dürften mit starker einheimischer Konkurrenz und hohen Kosten für die Gewinnung von Neukunden zusammenhängen. Zudem hatte N26 in den USA Pech mit den Abgängen ihres Länderchefs und der Partnerbank. Letztere gehört mit zu den zwingend notwendigen Voraussetzungen, um in einer komplexen Regulierungslandschaft ohne eigene Banklizenz operieren zu können.

N26 bekräftigt nun erneut ihre bereits vor einigen Monaten kommunizierte Strategie der Konzentration. Das FinTech will sich auf die Stärkung der europäischen Kernmärkte fokussieren, zudem will die Neo-Bank die geografische Expansion auf weitere osteuropäische Märkte beschränken.

N26 will im Markt Brasilien starten – erstmal ein bisschen

Zu dieser nun schon wiederholt formulierten Europa-Strategie wollen die Brasilien-Pläne jetzt nicht so recht passen. Zum Markteintritt in Brasilien gibt's bereits seit längerer Zeit ein unentschlossenes Hin und Her mit Ankündigungen und terminlichen Verschiebungen. N26 hat jedoch in der Vergangenheit immer bekräftigt, an den Expansionsplänen für den Markt Brasilien festhalten zu wollen.

N26 war offenbar selbst überrascht, als das FinTech im Dezember 2020 die bentragte Lizenz für Brasilien erhalten hat. Jüngsten Berichten zufolge will N26 nun in Brasilien starten, allerdings ebenfalls mit angezogener Bremse. Erste Kunden sollen im Rahmen einer im November gestarteten Testphase bereits mit an Bord sein.

N26 hat erst letzten Monat 900 Millionen US-Dollar frisches Kapital eingesammelt und könnte sich als hoch finanzierte Neo-Bank den Markteintritt grundsätzlich leisten. Allerdings schneiden sich diese Pläne mit der neuen Strategie und der Zeitpunkt ist nicht unbedingt günstig. Warum?

Als N26 ihre Brasilien-Pläne im August 2019 kommunizierte und das Büro in São Paulo eröffnet hatte, hat unsere Redaktion darüber reflektiert, ob der Platzhirsch Nubank in Brasilien für N26 Fluch oder Segen sein könnte. Wir tippten damals auf Segen und erklärten auch warum, hier nachzulesen.

Heute, zwei Jahre später und deshalb wahrscheinlich zu spät, trifft N26 mit der Nubank auf eine hoch finanzierte, aggressive und erfolgreiche Challenger-Bank, welche ihren Börsengang an der New Yorker Börse plant, der bereits im Vorfeld als rekordverdächtig gehandelt wird. Ein FinTech-Kaliber, das den Markt Brasilien in den letzten Jahren umgepflügt hat, mit einem weiterhin wachsenden Marktanteil unterwegs ist und aktuell rund 40 Millionen Kunden bedient.

Im Vergleich zum Schwergewicht Nubank ist N26 ein ambitioniertes Fliegengewicht. Das nimmt N26 im Riesenmarkt Brasilien nicht alle Chancen, setzt jedoch die Hürden für einen durchschlagenden Erfolg sehr hoch. Die Kosten für Markteintritt und Kundengewinnung dürften extrem hoch liegen – und die Gefahr droht, dass das Experiment Brasilien sich nach dem Muster von Grossbritannien und den USA wiederholt: Starke Konkurrenz und zu hohe Kosten. Mit angezogener Bremse dürfte das ohnehin kaum zu schaffen sein, Nubank wird weiterhin voll aufs Gas drücken.

Sand im Getriebe durch das schnelle Wachstum der letzten Jahre?

N26 hat sich in den letzten Jahren bereits mehrmals auf den Radar der BaFin gespielt. Ob durch blosse Nachlässigkeit oder durch die Probleme, die schnelles Wachstum mit sich bringen kann, sei dahingestellt.

Kritikpunkte und konkrete Auflagen der Aufsichtsbehörde sind offenbar von den eigenwilligen Gründern und CEOs grosszügiger ausgelegt worden als von der BaFin vorgesehen. Das hat einerseits zu einem Bussgeld in Höhe von 4.25 Millionen Euro geführt, verhängt von der Aufsichtsbehörde "wegen einer hohen Anzahl verspäteter Verdachtsmeldungen", vor allem jedoch zu weiteren verschärften Auflagen und zur Bestellung eines Sonderbeauftragten der BaFin, der die Anordnung vom Mai 2021 zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung überwachen soll.

Ein zweiter Sonderbeauftragter und eine verordnete Wachstumsbeschränkung

Dicke Post von der BaFin hat die Neo-Bank N26 dann im Oktober 2021 erhalten. Eine Anordnung, die in ihren Konsequenzen deutlich einschneidener ist im Vergleich zum Verdikt vom Mai. Die BaFin setzt der N26 einen zweiten Sonderbeauftragten ins Haus, der die folgende Anordnung überwachen soll: N26 wird von der Aufsichtsbehörde dazu verpflichtet "...Massnahmen zu ergreifen, um wieder eine ordnungsgemässe Geschäftsorganisation herzustellen und Risiken für die operationelle Resilienz einzudämmen". Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Neo-Bank in der Betrachtung der BaFin aktuell nicht mit einer ordnungsgemässen Geschäftsorganisation unterwegs ist – für eine Bank ein knallharter Vorwurf.

Eine weitere damit verbundene Auflage trifft die Neo-Bank ins Mark ihres Geschäftsmodells: Die Aufsichtsbehörde hat "Massnahmen zur Risikominimierung angeordnet, die das Kundenwachstum und gewisse Risikopositionen begrenzen. Das Neukundenwachstum der N26 Bank GmbH wird materiell reduziert und ist auf 50'000 Neukunden pro Monat begrenzt. Zudem darf der Forderungswert an durch Immobilien besicherten Risikopositionen maximal 500'000'000 EUR betragen. Diese Begrenzung schliesst alle Länder ein, in denen die N26 Bank GmbH tätig ist."

Diese verordnete Wachstumsbeschränkung stutzt N26 die Flügel – für eine Neo-Bank, die von Skalierung und Wachstum lebt, ein drakonischer Eingriff. Die aus Sicht der BaFin offensichtlich nicht "ordnungsgemässe Geschäftsorganisation", die erst wieder hergestellt werden muss, konkretisiert die Aufsichtsbehörde zusätzlich – mit einer Bemerkung, welche irgendwie an die mahnenden Worte eines Lehrers erinnert, der übermütigen Jugendlichen Sinn und Zweck von Strafen klar machen will: "Die Wachstumsbeschränkung erlaubt der N26 Bank GmbH, ihre Ressourcen auch zur Stärkung der Kundenidentifikationsprozesse, des Transaktionsmonitorings und des Verdachtsmeldewesens verstärkt einzusetzen."

Wie viel Sand im Getriebe verträgt eine Neo-Bank?

Kadenz und Härte der Massnahmen überraschen, dürften jedoch von der BaFin nicht leichtfertig ausgesprochen worden sein. Gleich zwei abgesandte Sonderbeauftragte im Hause N26 zu einer ganzen Palette von Kritikpunkten unterstreichen den Ernst der Lage. Die gestutzten Flügel mit Wachstumsbeschränkung – der Supergau für ein hoch finanziertes Unternehmen, das Wachstum als existenziellen Anspruch im Pflichtenheft stehen hat. Investoren wollen in der Regel Skalierung und Wachstum sehen, Konsolidierung und das Abarbeiten von Strafaufgaben dürften zu den bitteren Pillen gehören, welche nicht zum Stimmungsaufheller taugen. Nicht nur die Beziehung zwischen BaFin und N26 ist angespannt, auch das Verhältnis zwischen Gründern und Investoren könnte sich etwas eingetrübt haben.

So oder so ist das erfolgsverwöhnte FinTech zumindest temporär angezählt, angeschlagen, punktuell ausgebremst und wird einige Zeit brauchen, um auf den von der BaFin geforderten Weg der Tugend zurückzufinden. Die beiden N26-Gründer Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal werden nicht darum herumkommen, auch ihre eigenen Rollen zu überdenken. Dieselben Eigenschaften, welche die Neo-Bank gross gemacht haben, Eigenwilligkeit bis zur Eigensinnigkeit und das Durchdrücken der eigenen Vorstellungen, können einem FinTech in reiferen Phasen zum Verhängnis werden. Das werden die Investoren, welche Milliarden investieren und die Neo-Bank mit Milliarden bewerten, nicht zulassen.