Neo-Banken

Was ist davon zu halten, wenn Coop eine Neo-Bank lanciert?

Coop-Logo auf Dach vor blauem Himmel
Bild: Coop

Die Nachrichtenlage ist noch dünn, aber so viel ist bekannt: Coop hat wieder Lust auf Bank – das kann die Neo-Banken-Szene verändern. Unsere Analyse zum Thema.

So richtig Bank soll's dieses Mal allerdings nicht werden, zumal der Detailhandelsriese Coop seine Gründe hatte, als er sich 2017 von der Coop Bank (heute Bank Cler) verabschiedet und die letzten Anteile der Basler Kantonalbank verkauft hat. Damit endete eine 90-jährige Bankgeschichte, die 1927 mit der Gründung der "Genossenschaftlichen Zentralbank" begonnen hatte.

Heute ist Coop in bankähnlichen Bereichen nur noch mit der Coop Depositenkasse engagiert. Das ist keine Bank, sondern die Betriebskasse der Coop-Gruppe Genossenschaft, die ihren Mitgliedern Depositenkonten ohne Gebühren, dafür mit Zinsen (aktuell 0.90 Prozent) sowie festverzinsliche Kassenobligationen anbietet. Fremdwährungen für die Ferienreise gibt's auch, jeweils spesenfrei am Schalter.

Eine eigene Bank ist seit Erfindung von Embedded Finance nicht notwendig

Wer heute Bank- und Finanzdienstleistungen anbieten möchte, braucht weder eine Banklizenz noch kostenintensive Filialen, die Gründung eines Startups, eines FinTechs oder einer Neo-Bank genügt. Es kommt sogar noch besser: es braucht nicht einmal die Flagge einer Smartphone- oder Neo-Bank. Finanzdienstleistungen in jeder gewünschten Art und Form können "einfach so" als Angebot für bestehende und neue Kunden in die eigene Website und in bestehende Prozesse integriert werden. Das gilt für jedes Unternehmen, jedes FinTech und deshalb auch für jeden Detailhändler.

Dieses "einfach so" funktioniert deshalb, weil spezialisierte Banken wie zum Beispiel Solaris in Deutschland oder die Hypothekarbank Lenzburg in der Schweiz für alle gewünschten Finanz-Services und deren Abwicklung stehen. Mit Plattformen, Software, APIs, Prozessabwicklung und Know-how sorgen diese spezialisierten Anbieter dafür, dass sämtliche gewünschten Finanzdienstleistungen verfügbar sind und nach den Wünschen von Unternehmen und deren Kunden betrieben werden. Als Inhaber einer Banklizenz stellen diese Dienstleister auch sicher, dass alle gesetzlichen Vorschriftenn und Regularien erfüllt und eingehalten werden.

Diese Dienstleister mit Banklizenz bieten Banking as a Service (BaaS). Die von Unternehmen, FinTechs oder Neo-Banken als White Label-Lösung bezogenen Leistungen segeln unter dem Begriff Embedded Finance. "Embedded" deshalb, weil die Finanzdienstleistungen in die Applikationen und Umgebungen von Dritten organisch "eingebettet" werden. Das Spektrum dieser Finanzdienstleistungen, die dann den Kundinnen und Kunden dieser Drittunternehmen zur Verfügung stehen, ist breit ausgelegt. Dazu gehören zum Beispiel, je nach BaaS-Anbieter, Kontoeröffnung, Onboarding, KYC, laufender Betrieb der Bankkonten, Debitkarten, Kreditkarten, Krypto-Services, Kredite und mehr.

Die Migros hat eine Bank, Coop hat keine – wurmt das den Detailhändler?

Wahrscheinlich nicht, weil Coop seine eigene Bank vor ein paar Jahren mit Bedacht aus der Hand gegeben hat. Wurmen könnte jedoch die Tatsache, dass Coop einem riesigen Kundenstamm keine Finanzdienstleistungen anbieten kann, die das Kernangebot ergänzen und unterstützen. Mit Zahl- und Kreditkarten ist der Detailhandelsriese bereits im Geschäft, die Wünsche der Kundinnen und Kunden gehen in finanziellen Dingen jedoch möglicherweise über Karten hinaus.

Dazu kommen einige Zahlen, die das brachliegende Potenzial unterstreichen: Coop hat 2.5 Millionen Genossenschaftsmitglieder, betreibt knapp 1'000 Filialen, generiert einen Jahresumsatz von rund 35 Millarden Franken, gibt die grösste Wochenzeitung der Schweiz heraus mit einer Auflage von 2.5 Millionen Exemplaren und 3'370'000 Leserinnen und Lesern. Die Coop-Zeitung erreicht rund 70 Prozent der Privathaushalte in der Schweiz.

Da treffen zwei hochinteressante Ebenen aufeinander. Zum einen, alles, was Coop anbietet, hängt für die Kunden am Schluss mit Geld und Bezahlen zusammen. Hier ist für Konsumentinnen und Konsumenten bereits eine gewisse Gewöhnung vorhanden, im Zusammenhang mit Geld mit Coop zu kooperieren.

Und zum anderen verfügt Coop über einen riesigen Kundenstamm, der über die Filialen, die wöchentliche Coop-Zeitung, die Website, die Coop Supercard sowie Mailversände jederzeit erreichbar ist. Beste Voraussetzungen, um mit der Schweiz vertieft über Geld und Finanzen ins Gespräch zu kommen.

Die Neo-Bank von Coop

Ob's wirklich eine komplette Neo-Bank sein soll, wird sich erst noch zeigen. Im Moment kündigt die Hypothekarbank Lenzburg (HBL) in schlichten Worten die Partnerschaft mit Coop an und schreibt:

"Die Kooperation steht im Zusammenhang mit der Open-Banking-Plattform der Hypothekarbank Lenzburg und bezweckt den Vertrieb von Bank-Produkten an Kundinnen und Kunden von Coop. Über weitere Details wird Coop anlässlich der offiziellen Lancierung zu einem späteren Zeitpunkt informieren."

Die Glarner Kantonalbank (GLKB) legt nach und kommuniziert ebenfalls eine Kooperation mit Coop:

"Die Kooperation bezweckt den Vertrieb von Vorsorgelösungen. Die Glarner Kantonalbank agiert dabei als Depotbank und Vermögensverwalterin der Liberty 3a Vorsorgestiftung."

Coop selbst hält sich noch bedeckt und liefert momentan keine weiteren Details. Aus den beiden Kooperationen lässt sich jedoch schliessen: Coop hat Grosses vor, das sich eher nach Neo-Bank Plus anhört. Zumindest denkt der Detailhändler bereits über das klassische Banking hinaus in den Dimensionen von Vorsorgelösungen. 

Die HBL-CEO Marianne Wildi hat unseren Kollegen von der Handelszeitung verraten, dass sich Coop und HBL auf eine Zusammenarbeit geeinigt hätten, in deren Rahmen Konto- und Zahlungsservices erbracht werden sollen, «ähnlich wie wir das schon beim Digitalkonto Neon machen». Welche Funktionen genau genutzt werden sollen, würde dann Coop entscheiden.

Auf welchen Schienen Coop auch immer fahren will, dem Detailhändler stehen zahlreiche Finanzdienstleistungen zur Verfügung, die er im Rahmen von Embedded Finance über die HBL beziehen und integrieren kann.

Was bedeutet die Coop-Initiative für die Schweizer Neo-Banken-Szene?

Das hängt davon ab, mit welchen Angeboten der neue Player seine Kundinnen und Kunden gewinnen will. Ob Coop unter der Flagge einer eigenen Neo-Bank segeln wird oder Finanzdienstleistungen anders und punktuell in seine Angebotspalette einbinden will, ist nicht mal so wesentlich, in der Auswirkung ist das gehupft wie gesprungen. Fakt ist, dass da ein Koloss am Anrollen ist, der neue Bewegung in die Schweizer Neo-Banken-Landschaft bringen kann. 

Was die Hypothekarbank Lenzburg seit einigen Jahren im kleineren Muster für die Neo-Bank Neon leistet, dürfte für Coop in einem ungleich grösseren Massstab ausgerollt werden. 

Die Schweiz ist das Land mit der wahrscheinlich grössten Neo-Banken-Dichte. Rechnet man die Verticals mit Spezialisierungen wie Alpian, FlowBank, Radicant und Relio mit ein, stehen heute Schweizerinnen und Schweizer über ein Dutzend Neo-Banken zur Verfügung. Fokussiert auf "klassische" Neos, sind es immer noch neun Anbieter, Coop wäre dann die Nummer zehn.

Der Detailhändler kann durch die Beziehung zwischen Coop und seinen Kunden einen Vorteil ausspielen, den viele Neo-Banken nicht haben: man kennt sich, oftmals seit Jahren schon. Ob sich diese Nähe und dieses Vertrauen auf Finanzdienstleistungen übertragen lassen, muss sich erst beweisen – die Chancen stehen wahrscheinlich eher gut.

Wie Coop im Markt landen kann, hängt von Attraktivität, Breite von Angebot und Funktionen sowie von Pricing und Gebühren ab. Coop hat das Potenzial, aufgrund seiner riesigen Kundenzahl und Marketingkraft beträchtliche Bevölkerungsanteile mittelfristig für sich zu gewinnen, die noch nicht Neo-Banken-Kunden sind. Das sind Anteile, die für bestehende Neo-Banken erstmal nicht mehr erreichbar sind.

Eine andere Betrachtung bleibt allerdings auch möglich: Coop popularisiert das Thema Neo-Banken dermassen, dass alle bestehenden Player davon profitieren können. Die Frage bleibt dennoch im Raum, wie viele Neo-Banken im kleinen Markt Schweiz langfristig eine Zukunft haben werden. Diese Frage stellt sich jedoch ohnehin, auch ohne Coop als weiteren Player.

Die HBL gewinnt, Banking as a Service und Embedded Finance ebenfalls

Für die Hypothekarbank Lenzburg ist die Kooperation mit Coop ein Glücksfall. Die HBL hat als Pionierin seit Jahren ihre Plattform Finstar und BaaS-Angebote aufgebaut und etabliert. Mit Coop geht eine Marktgrösse an den Start, die das Angebot in einem neuen Massstab nutzt und damit das Know-how und die Möglichkeiten der HBL im Bereich Open Finance in erweiterte Dimensionen katapultiert. Die Zahl der neuen indirekten Kunden kann sich massiv vergrössern, parallel dazu werden die Erträge steigen.

Damit geht einher, dass Banking as a Service und Embedded Finance in den Fokus weiterer Gruppen rücken. Auf der einen Seite bei Banken als Anbieter und auf der anderen Seite bei Unternehmen als Nutzer dieser Services. Das bekommt der Finanzindustrie und der Wirtschaft gut, zumal die Schweiz bisher nicht durch forcierte Innovationsfreude in diesen Bereichen aufgefallen ist.