War in früheren Umfragen die Treue der Kunden zu ihren Banken immer sehr hoch, nahezu schon unantastbar, zeigen sich aktuell erste Erosionserscheinungen. Allerdings eher leise und in kleinen Schritten. Möglicherweise gerade deshalb in der Tendenz brisant und gefährlich.
Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung von PwC kommt zum Schluss: "Den Banken drohen die Kunden davonzulaufen."
Die Studie bezieht sich auf Deutschland, dürfte jedoch als Trend auch auf die Schweiz übertragbar sein – laufen können Kunden schliesslich überall.
Unsere Redaktion sieht die Gefahr vorderhand allerdings weniger im "Davonlaufen", das schlummernde Risiko liegt anderswo, in unserem "Fazit und Kommentar" kurz zusammengefasst. Zuerst die Zahlen und Fakten der PwC-Studie:
Zahlen und Fakten
PwC hat 1'000 erwachsene Bundesbürger befragt und erkennt eine klare Tendenz: immer mehr Kunden öffnen sich für Alternativen zur klassischen Hausbank.
Bereits 24 Prozent aller 18- bis 29-Jährigen verwenden eine Finanz-App, die nicht von ihrer Hausbank kommt. Bei den 30- bis 39-Järigen liegt die Quote mit 25 Prozent sogar noch etwas höher – und auch bei den 40- bis 49-Jährigen ist die Treue am Schwinden: erstaunliche 21 Prozent nutzen bankfremde Apps.
Die Bereitschaft nimmt zu
Hatte, über alle Altersklassen hinweg, vor einem Jahr erst jeder neunte Bankkunde Finanz-Apps von Drittanbietern in Gebrauch, nutzt inzwischen jeder sechste mindestens eine bankfremde App. Die Bereitschaft, FinTech- und Drittanbieter-Alternativen das Jawort zu geben, nimmt erstaunlich schnell zu.
Peter Kleinschmidt, Leader Digital Financial Services bei PwC Deutschland, fasst die Resultate der aktuellen Bevölkerungsbefragung zu den Auswirkungen von PSD2 in einer Warnung an die Banken zusammen:
Für die klassischen Banken beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn wenn sie den neuen Playern nicht schnell genug eigene Angebote entgegensetzen, werden sich immer Kunden von ihnen abwenden.
PwC sieht in der PSD2 einen Beschleuniger für die aktuelle Entwicklung, weil sich Türen für Payment-Firmen und FinTechs öfnen und Banken die exklusive Hoheit über das Konto des Kunden verlieren.
Gefragt: Apps für klassische Bankdienstleistungen
PwC sieht Banken vor allem deshalb bedroht, weil die grosse Mehrheit der Kunden bankfremde Finanz-Apps nicht für Nischenservices nutzt, sondern vielmehr für Kerndienstleistungen des traditionellen Bankgeschäfts.
Von den Befragten, die grundsätzlich Apps von Drittanbietern verwenden, nutzen 63 Prozent ein Tool, mit dem sie unterwegs den Kontostand abrufen können. 50 Prozent führen Überweisungen aus und 29 Prozent zahlen mit ihrem Smartphone an der Ladenkasse. Dazu PwC-Experte Peter Kleinschmidt:
PSD2 könnte damit zu einem Wendepunkt werden, was die Art und Weise angeht, wie die Menschen ihre persönlichen Finanzgeschäfte abwickeln – von der einfachen Überweisung über die Verwaltung des Wertpapierdepots bis hin zu Zahlungsdienstleistungen
Fazit und Kommentar
"Laufen den Banken die Kunden davon", dann nicht auf die offensichtliche Art, indem sie ihrer Hausbank (44 Prozent haben eine) oder ihren Banken (56 Prozent unterhalten mehr als eine Bankbeziehungen) den Rücken kehren. Das tun sie nicht, sie bleiben bei ihrer Bank, addieren und nutzen jedoch zusätzlich Services und Apps von Drittanbietern, die das Kerngeschäft von Banken tangieren. Diese Tendenz ist ungleich brisanter als das offensichtliche und erkennbare "Davonlaufen".
Setzt sich dieser bereits jetzt zunehmende Trend weiter fort, geraten Banken in die Defensive und besetzen eine sehr undankbare Rolle, von ihren eigenen Kunden zugewiesen: Kontoverwaltung über die Bank, die smarten Services und Tools von Drittanbietern. Das kann bei Bankkunden einen brisanten Gewöhnungseffekt und damit auch eine erhöhte Sensibilität und Empfänglichkeit für weitere Dienstleistungen von Drittanbietern erzeugen.
Ob dieser Effekt durch die PSD2 verstärkt wird, ist erst in zweiter Linie relevant, zumal die PDS2 in der Schweiz erstmal keine aktive Rolle spielt. So oder so aber, und das ist die erste Linie, denken Bankkunden weder in Begriffen wie "PSD2" noch "Open Banking" – sie wünschen sich einfach Komfort über tolle Tools, Apps und Serviceleistungen. Und da scheint es für Bankkunden unwichtiger zu werden, wer diesen Komfort anbietet. Die Untreue manifestiert sich nicht in einer abrupten Trennung, sie vollzieht sich ohne Ankündigung, nahezu unspürbar und in kleinen Schritten. Kunden wählen, was ihnen gefällt und Nutzen bringt – wer für diese Leistung steht, wird zweitrangig.
Aus der Sicht der Banken ist diese Haltung grosse Chance und gewaltiges Risiko zugleich. Risiko im Sinne einer brennenden Lunte, die nicht gelöscht, nur durch eigenen Leistungen gekontert werden kann. Wer schneller ist und das anbietet, was Kunden sich wünschen, der macht das Rennen. Das kann die Bank sein. Das können Drittanbieter sein.
Diese sanfte Form der "Untreue" ist viel gefährlicher als das aktive und sichtbare "Davonlaufen". Weil auf den ersten Blick "eigentlich nichts passiert" und alles so bleibt, wie es war. Allerdings nur scheinbar. Nutzen Kunden nicht mehr die volle Breite der bisherigen Hauptstrasse, die kostenintensiv unterhalten werden muss, sondern befahren zunehmend Nebenwege, nimmt die Bedeutung der Hauptstrasse ab, Nebenwege werden wichtiger und der Gewöhnungseffekt beschleunigt diese Tendenz.
Paypal statt Karte
Diesen Gewöhnungseffekt und auch ein Beispiel für die Disruptionsgefahr durch Drittanbieter sieht Peter Kleinschmidt von PwC in einem weiteren Ergebnis der Umfrage. So nutzen inzwischen 86 Prozent der Deutschen bei Einkäufen im Internet eine alternative Bezahlmethode, anstelle von EC-Karte, Kreditkarte oder Rechnungskauf. 54 Prozent der Befragten geben sogar an, sie würden neue Dienstleister wie Sofort (Klarna) oder Paypal häufig oder immer nutzen.
Trends und Nutzungsgewohnheiten, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen, sind im Bericht von PwC übersichtlich und detailliert zusammengefasst. Das PDF kann kostenlos runtergeladen werden.