Wer denkt, mit dem FTX-Debakel hätten die denkbaren Krypto-Katastrophen ihren Boden erreicht, könnte sich täuschen. Mit der Silvergate Bank droht der Branche weiteres Ungemach. Möglicherweise auch mit Tether.
Silvergate: Die Bank ist angezählt
Die US-Bank Silvergate ist, neben der Signature Bank, eine von zwei kryptofreundlichen Banken, welche für die Kryptobranche die Brücke zum Fiat-System bilden. Ausserhalb der Kryptowelt ist Silvergate so gut wie unbekannt. In den Schlagzeilen ist Silvergate einmal kurz aufgepoppt, als die Bank im Februar 2022 die Asche des gescheiterten Diem-Projekts (vormals Libra) in Form des "geistigen Eigentums und anderer Vermögenswerte im Zusammenhang mit dem Betrieb des Zahlungsnetzwerks" gekauft hatte, MoneyToday.ch hat berichtet, hier.
Das Kerngeschäft mit Krypto-Unternehmen war jahrelang ein ertragreicher Zweig, weil praktisch alle Krypto-Börsen mit Silvergate zusammenarbeiten – oder gearbeitet haben.
Aktuell ist Silvergate am Schlingern und steht im Zusammenhang mit Betrugs- und Geldwäsche-Vorwürfen im Fokus der US-Behörden. Die Bank selbst bezeichnet sich als Opfer von FTX und Alameda, diese Beziehung steht im Zentrum der Untersuchung der Behörden.
Das ungünstige Licht, unter dem Silvergate seit einiger Zeit steht, hat zahlreiche Krypo-Börsen veranlasst, ihre Gelder bei der Bank abzuziehen. Das Ausmass der Rückzüge hat Silvergate gezwungen, langfristige Anlagen und Wertpapiere in grossem Umfang mit Verlust zu veräussern, um liquide zu bleiben. Silvergate hat die Warnung ausgesprochen, dass die eingefahrenen Verluste ihre Fähigkeit beeinträchtigen könnte, die Geschäftstätigkeit weiterzuführen.
Silvergate liegt mit Milliardenverlusten im Elend, denkt laut über die eigene Überlebensfähigkeit nach, die Aktie ist in den Keller gegangen und die Bank sieht sich Vorwürfen und Untersuchungen der US-Behörden ausgesetzt.
Sollte Silvergate ihren aktuellen Tiefpunkt nicht überleben, wirkt sich das auf die Kurse von Bitcoin und Altcoins aus. Gewissermassen und inzwischen schon gewohnterweise als Kollateralschaden. Bitcoin und Altcoins haben nicht direkt etwas mit Silvergate zu tun. Silvergate selbst jedoch viel mit der Kryptobranche. Und kracht's an einer Stelle im Gebälk der Branche, wird erfahrungsgemäss der gesamte Markt in Mitleidenschaft gezogen.
Tether: Trauerspiel in Wiederaufführung – oder alles ganz anders?
Tether (USDT) ist der mit Abstand wichtigste Stable Coin für die Kryptobranche. In gewisser Weise die Zentralbank der Branche, um US-Dollars in Form eines stabilen Coins in den Systemen zu halten, ohne den Umweg über Fiatgeld machen zu müssen.
Die vielgepriesene Stabilität von Tether ist schon mehrfach angezweifelt worden, von Behörden und von Medien, wir haben verschiedentlich berichtet, zum Beispiel hier und hier. Die Kryptobranche interessiert sich für behördliche und mediale Zweifel an Tether nur am Rande, weil die Nutzung des Stable Coins einfach praktisch ist. Zudem ist Tether inzwischen mit einer Marktkapitalisierung von gut 71 Milliarden US-Dollar das dritte Schwergewicht, im Ranking gleich nach Bitcoin und Ethereum. So viel Grösse überzeugt, da kann ja eigentlich nichts schiefgehen. Oder vielleicht doch?
Ohne die ganze Geschichte des Misstrauens in die Stabiltität des Stable Coins Tether hier nun einmal mehr aufdröseln zu wollen, der Stable Coin ist aktuell erneut auf den Radar von Behörden und Medien geraten. Unabhängig davon, dass SEC-Chef Gary Gensler ein besonders kritisches Auge auf Stable Coins geworfen hat, ist das meistens gut informierte "Wall Street Journal" (WSJ) in diesen Tagen auf Recherche- und Angriffstour, hier zu lesen (Paywall).
Kurzgefasst berichten die Journalisten Ben Foldy und Ada Hui vom "Wall Street Journal", dass das US-Justizministerium gegen die Anbieterin des Stable Coins ermitteln würde. Im Zentrum stünde der Vorwurf, dass Tether sich auf betrügerische Weise Zugang zum internationalen Banksystem verschafft haben soll. Demnach sollen Mittelsmänner angeblich Dokumente gefälscht und Bankkonten über Briefkastenfirmen eröffnet haben. Zudem sollen Untersuchungen laufen im Zusammenhang mit der Nutzung von “beschlagnahmten Geldern in Millionenhöhe” und Verbindungen zu “terroristischen Gruppen”, die Tether nachgesagt worden sind. Ob es sich dabei um blosse Gerüchte handelt oder nicht – Tether steht erneut im Schweinwerferlicht und muss sich rechtfertigen.
Das tun die Verantwortlich unter dem Titel "More Tether FUD from WSJ" denn auch. Tether wirft WSJ vor, mit veralteten Anschuldigungen wieder einmal "Angst, Unsicherheit und Zweifel" (FUD) säen zu wollen. Zudem wäre der Bericht im WSJ völlig ungenau und irreführend. Im Originalwortlaut sagen die Tether-Veranwortlichen in ihrem Blog folgendes:
"Der Bericht des Wall Street Journals über veraltete Anschuldigungen, die schon lange zurückliegen, ist völlig unzutreffend und irreführend. Bitfinex und Tether haben erstklassige Compliance-Programme und halten sich an die geltenden gesetzlichen Anforderungen zur Bekämpfung von Geldwäsche, Know Your Customer und Terrorismusfinanzierung.
Bitfinex und Tether sind stolze Partner der globalen Strafverfolgungsbehörden und unterstützen routinemässig und freiwillig das US-Justizministerium und andere Strafverfolgungsbehörden auf der ganzen Welt bei der Verhinderung von Geldwäsche, Terrorismus und anderen Verbrechen durch böse Akteure.
Diese unfairen Angriffe werden uns nicht davon abhalten, diese Bemühungen fortzusetzen und die liquideste und zuverlässigste Stablecoin-Erfahrung anzubieten, was der Markt eindeutig anerkannt hat, indem er uns zum Branchenführer gemacht hat."
Einen Tag vor der Story zu den neuen oder alten Vorwürfen haben die Journalisten des WSJ einen Blick auf die Crew von Tether geworfen. Auch dieses recherchierte Porträt ist aufschlussreich und interessant, hier zu lesen (Paywall), zumal über die Personen hinter Tether in seit 2013 mehrmals wechselnder Besetzung bisher nicht allzu viel bekannt war.
Was nun – weisse Weste, nur ein kleiner Fleck oder alles schlimmer als gedacht?
Das Strickmuster von medialen Vorwürfen und anschliessender Verteidigung im Blog von Tether ist inzwischen hinlänglich bekannt und bereits x-mal durchexerziert worden. Ebenso ist bekannt, dass die schwergewichtige Stable-Coin-Emittentin schon mehrfach aus unterschiedlichen Gründen auf den Radar von Untersuchungsbehörden geraten ist.
Dass zahlreiche Medien Tether seit Jahren misstrauen, verschuldet das Unternehmen selbst. Tether hat sich jahrelang verbissen geweigert, lückenlose Belege dafür zu liefern, dass jeder Tether auch tatsächlich mit einem US-Dollar oder anderen Sicherheiten hinterlegt ist. So viel Widerstand fällt auf und hat Medien veranlasst, da und dort noch etwas tiefer in der Geschichte und im Verhalten eines uneinsichtigen Unternehmens zu graben, das schlicht zu gross ist, um renitent bleiben zu dürfen.
Gary Genslers Aversion gegen unregulierte Stable Coins dürfte nicht zuletzt durch Tether und die Ignoranz der Verantwortlichen provoziert worden sein. Nachdem Gensler den Stable Coin Binance USD (BUSD) praktisch vom Parkett gefegt hat, wir haben berichtet, wird der SEC-Chef weitere Stable Coins im Auge oder auch im Visier behalten, dazu gehört auch Tether. Zumal Gensler mit seiner Aussage, "Alles ausser Bitcoin", keinen erkennbaren Spielraum für Stable Coins gelassen hat.
Gut möglich, dass das unregulierte Unternehmen Tether Holdings Ltd. mit absolut weisser Weste unterwegs ist, welche die Behörden blendet und der Justiz die klare Sicht raubt. Ebenso möglich bleibt, dass Behörden und Justiz dunkle Flecken finden. Sind und bleiben die Behörden nun aktiv, bestätigt sich das eine oder eben das andere.
Dieses eine ist der Kryptobranche zu wünschen. Sollte das andere zutreffen und irgendwann dazu führen, dass Tether ins Trudeln gerät, wäre das die bisher wahrscheinlich grösste Katastrophe für die Kryptobranche. Mit drastischen Auswirkungen auf Bitcoin, sämtliche Altcoins und DeFi-Bereiche. Nicht für alle Zeiten, die Kryptobranche überlebt auch ohne Tether, aber sicher für die Länge eines neuen oder ausgedehnten alten Krypto-Winters.