Negativzinsen sind in der Schweiz seit bald fünf Jahren Fakt und Tatsache. Die Ende 2014 von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) eingeleitete Massnahme hatte ihre Berechtigung, hält die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) in einer Medienmitteilung fest, reklamiert jedoch, dass die einst erfolgreichen Notmassnahme inzwischen zur "neuen Normalität" geworden ist.
Martin Hess, Chefökonom der Schweizerischen Bankiervereinigung, zum Thema:
Negativzinsen sind vergleichbar mit einem Notfallmedikament: Kurzfristig können sie trotz Risiken einen grossen Nutzen haben. Langfristig verlieren sie jedoch an Wirkung, während die Nebenwirkungen immer grösser werden.
Auswirkungen der Zinspolitik und Aufruf zur Schubumkehr
Der angeführten "neuen Normalität" würde die SBVg gerne mit einer Schubumkehr begegnen, zumal die einstige Notmassnahme "kaum noch Wirkung" zeigen würde. Auf der anderen Seite sieht die SBVg in der der aktuellen Zinspolitik zunehmende strukturelle Probleme und beschreibt in einer Studie die Auswirkungen auf die Schweiz und ihre Volkswirtschaft – dazu gehören zum Beispiel:
- Die Gefahr der Blasenbildungen in einzelnen Anlagenklassen wächst. Der Anlagenotstand aufgrund der tiefen Renditen von festverzinslichen Anlagen hat etwa dazu geführt, dass die realen Preise von Immobilien in der Schweiz inzwischen auf Höchststände angestiegen sind. Zugleich haben die Leerstände deutlich zugenommen.
- Negativzinsen bestrafen Sparer und setzen gleichzeitig starke Anreize für den Staat, für Firmen und für Haushalte, sich stärker zu verschulden. Die Verschuldung ist im Zuge der Finanzkrise in fast allen Industrieländern stark angestiegen.
- Die Krisenstimmung droht Konsumenten und Investoren zu lähmen. Anhaltende Negativzinsen werden mit einem "Krisenszenario" gleichgesetzt. Sie wirken dadurch nicht stimulierend, sondern können die Wirtschaftsaktivitäten hemmen und die Inflation dämpfen. Sie schränken den geldpolitischen Handlungsspielraum in einem allfälligen Abschwung ein.
- Der Anlagenotstand und die geringeren Renditen gefährden die Stabilität der Vorsorgewerke. Die negativen Zinsen verschärfen die Problematik des bereits tiefen Zinsniveaus für die Vorsorgewerke zusätzlich. Einerseits geben die Banken die negativen Zinsen zum Teil an ihre Grosskunden wie eben Pensionskassen weiter. Andererseits haben die Negativzinsen das gesamte Zinsniveau in der Schweiz nochmals abgesenkt und damit den Versicherten bei den Pensionskassen fast flächendeckend die bisherigen Erträge gekürzt. Dies hat wirtschaftliche und soziale Folgen – insbesondere für die Rentnerinnen und Rentner von morgen.
- Der Negativzins der Notenbanken belastet die Banken direkt: 2018 hatte die SNB CHF 2 Mrd. an Negativzinsen eingenommen. Dies schmälert die Profitabilität der Banken signifikant. Diese grundsätzliche Problematik bleibt auch mit den neuen, erhöhten Freibeträgen auf SNB-Girokonten bestehen.
Ganz neu sind die Erkenntnisse der Studie der Schweizerischen Bankiervereinigung nicht, aber es kann nicht schaden, längerfristige Auswirkungen oder mögliche Folgen einmal mehr komprimiert zusammenzustellen.
Die wirtschaftlichen Eckwerte haben sich verbessert
Während sich die wirtschaftlichen Eckwerte verbessert haben, so die SBVg, nehmen die Nebenwirkungen und die Risiken für die Bevölkerung und die Wirtschaft zu.
Jörg Gasser, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung, fasst die Resultate der Studie mit folgendem Statement zusammen:
Wir haben nicht nur die Banken, sondern die gesamte Wirtschaft im Blick. Die Banken sind nah am Puls und registrieren die negativen Folgen der Negativzinsen für die Schweizer Bürgerinnen und Bürger, für unsere Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft.
Konkret führt die SBVg ins Feld: Die Negativzinsen erfüllen ihren wirtschaftspolitischen Zweck heute nicht mehr. Der Schweizer Franken ist nicht mehr überbewertet, die Preise sind stabil und die Unternehmen haben sich fast fünf Jahre nach Einführung der Negativzinsen vom Frankenschock erholt.
Die Studie der Schweizerischen Bankiervereinigung zu den Negativzinsen:
"Von der Notfallmassnahme zur «neuen Normalität» – und zurück?"
Bei der Frage "und zurück?" bleibt die SBVg konkrete Vorschläge im Sinne von "wie zurück?" schuldig. Genau diese Fragen beschäftigen jedoch die Schweizerische Nationalbank (SNB) wie auch andere Zentralbanken seit längerem.
Die Schweizerische Bankiervereingigung betont, dass sie die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank in ihrer Geldpolitik nicht in Frage stellen möchte. Mit der Studie geht es der SBVg nach eigenen Aussagen darum, einen "öffentlichen Diskurs über die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Negativzinsen" anzustossen, weil es "angezeigt ist, den Weg für den Ausstieg aus dem Krisenmodus zu ebnen".
Ob der öffentliche Diskurs den Blick für Wege und Möglichkeiten schärfen kann, um einen Ausstieg im Alleingang zu wagen, darf bezeifelt werden. Immerhin schiebt die Studie der SBVg die Diskussion um Negativzinsen erneut an.
Die Studie zur verkehrten Welt der negativen Zinsen und zu den Folgen der Negativzinspolitik kann direkt bei der Schweizerischen Bankiervereingigung als PDF runtergeladen werden, über den Link gleich unten.