Emily Glazer, Liz Hoffman und Laura Stevens haben für das Wall Street Journal ihre Kontakte spielen lassen und Hintergrund zu einer spannenden Entwicklung recherchiert und publiziert. Demnach soll Amazon im Gespräch mit Banken die Möglichkeiten eines "hybriden Bankkontos" prüfen. Die drei Autorinnen beziehen sich in ihrem Bericht auf Personen, welche "mit der Angelegenheit vertraut" sein sollen. Diese involvierten Kreise betonen, dass sich die Verhandlungen noch in einem frühen Stadium befinden und ein Ausgang noch völlig offen wäre.
Jeff Bezos lässt Banken pitchen
Amazon lotet nach dem Bericht im Wall Street Journal seine Möglichkeiten aus, Nicht-Bank zu bleiben, aber als Bank zu agieren. Deshalb soll das Unternehmen mehrere Grossbanken beauftragt haben, ihre Vorschläge für ein "hybrides Bankkonto" zu präsentieren. Hybrid könnte bedeuten: Das Girokonto-ähnliche Produkt trägt den Brand von Amazon, Kunden nutzen komfortable Amazon-Finanzdienstleistungen, die Abwicklung läuft jedoch über die involvierte Bank.
Die Autorinnen schreiben, dass sich die Gespräche mit den Grossbanken um die Schaffung eines Produkts drehen würden, das jüngere Kunden ohne Bankkonto ansprechen soll. Die involvierten Kreise hätten unterstrichen, dass, unabhängig von der finalen Form des "hybriden Kontos", Amazon damit nicht zur Bank würde. Dies auch deshalb, weil strenge Vorschriften und Regulierungen im Finanzbereich Amazon eher bremsen und die ansonsten sehr aggressive Expansion möglicherweis einschränken würde. In den Evaluations- und Präsentationsrunden sollen mehrere Grossbanken involviert sein, unter anderen JPMorgan Chase & Co. und Capital One Financial Corp., erstere kooperiert seit Jahren schon im Kartenbereich mit Amazon.
Die mögliche Dimension hinter der aktuellen Geschichte
Die Story der der Autorinnen ist interessant und könnte, je nach Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen, ein neues Kapitel in der Geschichte von Amazon öffnen. Etwas weitergedacht, möglicherweise auch in der Geschichte und für die Zukunft des Bankings. Dass der Technologie-Gigant über die Expansion in Richtung finanzieller Dienstleistungen nachdenkt, ist nicht überraschend, mehr logisch und folgerichtig. Ausgebaute Finanzservices gehören aktuell zu den weissen Flecken auf der Karte von Amazon. Die bisherige Geschichte und Entwicklung des Unternehmens zeigt, dass weisse Flecken konsequent mit Farbe und Leistung gefüllt werden – früher oder später, meistens früher.
Amazons Strategien
Amazon verfolgt zahlreiche Strategien, im Kern und durchgängig lassen sich zwei Hauptschienen bei allen Initiativen erkennen:
Zum einen: Nähe zum Kunden
So viel Nähe zum Kunden, wie nur irgend möglich. Um ihn besser zu kennen, als seine besten Freunden das tun. Um über laufend gesammelte und ausgewertete Daten Gewohnheiten, Verhaltensmuster und Wünsche zu identifizieren, oft noch bevor diese Wünsche dem Kunden selbst bewusst sind. Diese Nähe schafft Amazon über ein sehr dichtes Netz von Angeboten und Services, die eng verzahnt funktionieren und Kunden eine Vielzahl von Problemen lösen oder deren Leben einfacher machen.
Zum anderen: Alles aus dem eigenen Haus
Die direkten Kundenleistungen tragen ohnehin durchwegs den Stempel von Amazon. Die peripheren Prozesse und Leistungen zunehmend auch, wie zum Beispiel IT, Logistik, Zahlungsabwicklung und mehr. Amazon will Prozesse, Kosten und Qualität kontrollieren können – und das geht am besten, wenn Services im eigenen Konzern angesiedelt sind und verantwortet werden. Deshalb betreibt Amazon ein gigantisches Ökosystem, dessen Vernetzungen immer noch dichter gewoben werden. Was fehlt, wird dazuentwickelt und in der Regel sehr schnell aufgebaut. Im ersten Schritt oftmals mit Partnern, im zweiten Schritt dann gerne ohne.
Bank oder Nicht-Bank?
Dass Amazon über Finanzdienstleistungen oder Kontoservices für seine Kunden nachdenkt, ist nur logisch, wenn man einen Blick auf die Expansion der letzten Jahre wirft. Bietet Amazon seinen Kunden eine Vielzahl von Leistungen, welche Wünsche im Finanzleben erfüllen, den finanziellen Spielraum vergrössern, gibt's neue komfortable Tools oder kreative Services und das alles zu gewohnt günstigen Amazon-Konditionen, werden sich die Schleusen sehr schnell öffnen. Zumal Amazon keine neuen Kunden gewinnen muss, die sind alle schon da, in gewaltigen Massen, es geht nur um den eher kleinen Sprung, von Amazon jetzt auch finanzielle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
Wer (als Bank und Finanzdienstleister) die Prozesse und die Abwicklung im Hintergrund regelt, sich um Compliance und Regulierung kümmert, also den "undankbaren" Part übernimmt, spielt für Amazon-Kunden keine Rolle. Ganz vorne steht Amazon. Der Gigant, Anbieter, Problemlöser, Dienstleister, der alles möglich und das Leben einfacher macht. Zu Preisen, die man sich leisten kann. Neu auch im finanziellen Leben und im Finanz-Alltag seiner Kunden.
Die Frage "Bank oder Nicht-Bank" ist folglich nur für Amazon selbst, für mögliche Bankpartner und deshalb auch für die Finanzbranche von Bedeutung.
Die Freiheiten einer Nicht-Bank
Die Nachricht, dass Amazon momentan offenbar nicht die Absicht hat, selbst und direkt zur Bank zu werden, mag auf den ersten Blick beruhigen. Mit einer anderen Brille betrachtet und aus Sicht der Banken, besteht allerdings wenig Grund zur Entspannung, im Gegenteil. Amazon als Nicht-Bank mit einer wachsenden Zahl von Finanz-Dienstleistungen im Angebot, ist in gewisser Weise sogar beunruhigender als die Vision einer Amazon-Bank. Einfach deshalb, weil die Spiesse nicht gleich lang sind.
Amazon als Nicht-Bank kann freier und auch kostengünstiger agieren, die Rollen sind klar verteilt: Das Unternehmen glänzt mit tollen Services und Angeboten, die unter der eigenen Flagge präsentiert werden, um Abwicklung und Prozesse kümmern sich Partner, um Compliance und die Einhaltung von Regulierungen ebenfalls. Der ressourcen- und kostenintensive Part bleibt delegiert und ausgelagert. Aufgrund von Marktmacht und Volumen wird Amazon nicht um erstklassige Konditionen betteln müssen, der gesetzte Bankpartner wird in Sachen Pricing und Produktgestaltung alles daran setzen, weitgehend das möglich zu machen, was Amazon vorschwebt.
Und Amazon könnte im Zusammenhang mit einer gewaltigen Zahl von Kunden, die regelmässig einkaufen, zahlen, Geld ausgeben, Geld verwalten und Geld brauchen, einiges vorschweben. Vieles eben, was zusätzliche Nähe zu Kunden schafft, die für neuen Komfort und erweiterte Spielräume in ihrem Finanz-Alltag empfänglich sein dürften. Das so aktivierte Potenzial an Zusatzkäufen und Mehrumsatz dürfte beträchtlich ausfallen. Dazu kommt der Bereich des Firmenkundengeschäfts mit Händlerkrediten – mit Amazon Lending sind erste Schienen bereits gelegt und die Teststrecke wird aktiv befahren.
Unbhängig von den aktuellen Verhandlungen rund um das Projekt eines "hybriden Kontos": Legt Amazon als Nicht-Bank los, egal ob morgen oder übermorgen, wird Amazon irgendwann Bank oder bleibt für immer auf der Sonnenseite der Nicht-Bank – der Markteintritt von Amazon als kreativer Finanzdienstleister könnte im klassischen Banking längerfristig einiges bewegen und verändern.