Gesundheitswesen

Ärztemangel: Wie lassen sich Ärztinnen und Ärzte zum Bleiben bewegen?

Junge Ärztin mit kleiner Patientin
Bild: Getty Images | LWA/Dann Tardif

Ohne Kreativität und neue Modelle wird sich der Ärztemangel in der Schweiz verstärken. Medical Co-Working ist eines dieser Modelle, das Gegensteuer geben kann.

Bereits heute werden drei von vier Ärztinnen und Ärzten nicht in der Schweiz ausgebildet, weil die Zahl der Studienabgänger laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) hierzulande viel tiefer liegt als die Zahl der benötigten Mediziner.

Lässt sich diese Lücke momentan und teilweise mit Ärzten aus dem Ausland schliessen, ist dieser Poker auf Dauer gefährlich und nicht nachhaltig. Die eingewanderten Ärztinnen und Ärzte fehlen in ihrem Ursprungsland – und sollten in diesen Ländern die Bedingungen für Mediziner aus purer Not attraktiver gemacht werden, wird der Zustrom ins gelobte Land Schweiz schnell wieder versiegen. 

Das verträgt sich ganz schlecht mit der Bevölkerungsentwicklung und auch mit der Tatsache, dass Menschen immer älter werden. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass in zwanzig Jahren mehrere tausend Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz fehlen werden. 

Woher kommt eigentlich der akute Ärztemangel?

Medizin gehört nach wie vor zu den attraktiven Studienrichtungen. Die Praxis nach dem Studium scheint jedoch teilweise zu Frustrationen zu führen, ein beträchtlicher Teil der jungen Ärztinnen und Ärzte steigt nach einigen Jahren wieder aus.

Das hängt unter anderem damit zusammen, dass gerade jüngere Menschen immer weniger bereit sind, 60 oder 70 Stunden wöchentlich zu arbeiten, sie möchten noch andere Ziele in ihrem Leben verfolgen. Reduzierte oder Teilzeitpensen haben sich in der Medizin noch nicht wirklich durchgesetzt. Dem ultimativen Anspruch, ohne Wenn und Aber und auf Dauer 150 Prozent Einsatz leisten zu müssen, erteilen gerade jüngere Profis vermehrt eine klare Absage.

Erfahrene Ärztinnen und Ärzte mit eigener Praxis verliert der Schweizer Markt teilweise deshalb, weil keine Nachfolger für die Praxis gefunden werden können. Der Betrieb einer eigenen Praxis ist kostenintensiv, verpflichtend und lässt wenig Freiräume zu. Wäre ein Arzt zum Beispiel bereit, vor oder auch nach seiner Pensionierung noch ein oder zwei Tage zu praktizieren, wirft er das Handtuch, wenn nur das Vollzeitpensum ohne Alternative machbar ist. Die Praxis wird geschlossen und ein weiterer Profi ist weg vom Markt.

Es braucht kreative Modelle, zum Beispiel Medical Co-Working-Konzepte

Die Vorteile von Co-Working-Spaces sind bekannt, Angebote für Startups, Teams und Einzelpersonen sind in den letzten Jahren massiv ausgebaut worden. Büros, Arbeitsplätze, Meeting-Räume, technische Infrastruktur und Begegnungszonen sind frei verfügbar und können à la Carte und nach Bedarf genutzt werden. Das ist praktisch, schafft Synergien und ist zudem ungleich kostengünstiger im Vergleich zum eigenen Büro mit Infrastruktur.

Dieses Konzept funktioniert in angepasster Form auch im Gesundheitswesen für Ärztinnen und Ärzte. Erste Projekte sind am Laufen, zum Beispiel das innovative Startup von Cornelius Warncke und Andrea Gerber, das in Bern unter der Flagge von SprechzimmerPlus segelt. Das Medical Co-Working-Zentrum bietet die volle Infrastruktur für Ärztinnen und Ärzte: Behandlungsräume, Wartezimmer, Labor, IT-Anbindung mit Patientenadmin-Programm und Agendaführung sowie personelle Unterstützung durch medizinische Praxis-Assistentinnen. Dazu gehören Zonen für Begegnungen und Austausche mit anderen Profis aus Medizin und Therapie, Kaffee-Bar inklusive.

Medical Co-Working bietet Möglichkeiten und verhindert vorzeitige Abgänge

Ärztinnen und Ärzte, die zugunsten ihres Privatlebens oder aufgrund anderer Interessen nur Teilzeit arbeiten möchten, nutzen die Möglichkeiten von Medical Co-Working-Spaces – dann, wenn sie die Infrastruktur brauchen und im von ihnen gewünschten Arbeitspensum.

Junge Ärztinnen und Ärzte, die sich ohne finanzielles Risiko selbsständig machen möchten, können ihre Pläne unkompliziert und ohne Investitionen umsetzen – ebenfalls im gewünschten Pensum, ohne 60- oder 70-Stunden-Wochen.

Erfahrene Mediziner, die weniger arbeiten möchten, ohne gleich in Pension zu gehen, praktizieren in Medical Co-Working-Zentren tage- oder auch nur stundenweise weiter. Ohne sich um Administration oder Personalfragen kümmern zu müssen und ohne die beträchtlichen Kosten und Bürokratie für eine eigene Praxis stemmen zu müssen. 

Co-Working eben, sie alle zahlen nur für das, was sie effektiv nutzen, finden aber immer alles vor, was sie brauchen. 

Das Gesundheitswesen hinkt hinterher

Co-Working hat sich in verschiedenen Branchen längst etabliert, im Gesundheitswesen ist die Bewegung erst im Kommen. Es ist dringend notwendig, dass sich diese Bewegung beschleunigt. Zum einen entlastet dieses Modell die Kosten im Gesundheitswesen, die jedes Jahr steigen, als wär's ein Naturgesetz. Zum anderen schaffen Co-Working-Spaces für Ärztinnen und Ärzte Umfelder und Möglichkeiten, in Abstimmung mit ihren persönlichen Lebensentwürfen professionell zu arbeiten. So viel oder so wenig, wie sie sich das wünschen und wie es zu ihrer aktuellen Lebenssituation passt.

Medical Co-Working gibt der gewohnten Praxis von Ärztinnen und Ärzten ein neues Gesicht und einen attraktiven Rahmen. Das Konzept kann helfen, dem Ärztemangel in der Schweiz entgegenzuwirken und die Kosten im Gesundheitswesen zu reduzieren.

Zurück auf Anfang: Kreative Konzepte und Arbeitsmodelle sind auch im Gesundheitswesen dringend notwendig. Medical Co-Working ist nicht die einzige, aber sicher eine der Antworten auf die Frage: Wie lassen sich Ärztinnen und Ärzte zum Bleiben bewegen?