Kürzlich stand auf SRF in Text und Tonspur wieder mal die Frage im Zentrum: "Haben Banken den FinTech-Trend verschlafen?". Die Frage wurde im Kern mit ja beantwortet, begründet mit "massiven Terrainverlusten seit 2005", sichtbar geworden zum Beispiel durch "20 Prozent weniger Arbeitsplätze und Bankfilialen, halbierte Margen und Kunden, die ihrer Hausbank gegenüber immer weniger loyal sind. Dazu tiefe Zinsen, mehr Vorschriften und neue Konkurrenz." Die Story kommt zum Schluss, dass Banken nun kräftig Gas geben würden mit eigenen FinTech- und Digitalisierungs-Offensiven, um verlorenes Terrain wieder gutzumachen.
Könnte sich die Wirkung des Tiefschlafs auch positiv auswirken?
Ist es denkbar, dass die bei solchen Fragen insinuierte negative Wirkung von schlafenden Banken und verpassten Chancen sich ins Gegenteil drehen und und durch positive Wirkungen ersetzt werden könnte? Diese ketzerische Überlegung drängt sich dann auf, wenn der Blick nicht nur auf die Erfolge von FinTechs und die Versäumnisse von Banken fällt, sondern der Fokus erweitert wird und alle aktuellen Entwicklungen mit einschliesst.
Dass FinTechs auf grünen Wiesen schneller agieren können als Banken, liegt in der Natur von unbelasteten Startups. Sie haben keine bremsende Unternehmenskultur, im Gegenteil, und sie haben auch nicht mit dem Erbe von träger IT oder überforderten Legacy-Systemen zu kämpfen.
Gerade deshalb haben die FinTechs sich in eine Bresche geworfen, die von Banken oftmals weder erkannt noch ausgefüllt worden ist. Diese Startups und FinTechs haben mit unterschiedlichem Erfolg sehr viel auf die Beine gestellt. Zum Beispiel neue Geschäftsmodelle, erstklassige Finanz-Technologie, konsequente Kundenzentrierung, eine neue Art von Kundenbeziehung und mehr. Rezepturen und Technologien, die heute in gewisser Weise zum Gemeingut geworden sind. Gemeingut insofern, als heute allen Finanzdienstleistern sehr viel deutlicher bewusst ist, was möglich ist und was nicht, was funktioniert und was nicht, was heute wirklich gefragt ist oder vielleicht erst später reif für die Märkte sein könnte.
Diese grossartige Pionierarbeit hat nicht nur erfolgreiche FinTechs hervorgebracht und einige davon sogar ganz nach vorne gespült, sie bringt auch klassische Banken in eine gute Position. Banken haben diese Technologie-, Geschäftsmodell-, Kunden- und Marktresearch-Anstrengungen nicht selbst machen müssen, tausend andere haben übernommen und dieses wertvolle Wissen um Machbarkeiten und Notwendigkeiten unter Einsatz von Mut, Elan, Blut, Schweiss und Tränen zusammengetragen. Quasi als Nebenprodukt, im Vordergrund standen immer konkrete Geschäftsmodelle und Lösungen. Ob und wie diese funktionieren haben jedoch immer alle mitbekommen, nicht nur die Macherinnen und Macher, und von diesen Einsichten und diesem neuen Wissen können alle profitieren.
Den Banken hier Weitsicht und raffiniertes Kalkül zu unterstellen, trifft kaum ins Schwarze, Banken waren aus ganz anderen Gründen mit sich selbst beschäftigt – und sind es teilweise noch – aber: das Resultat bleibt dasselbe. Eine klassische Bank, die sich heute digital, kundenorientiert und sogar kundenzentriert ausrichten will, kann aus dem Vollen schöpfen. Die Tafel ist reich gedeckt und es ist alles da: Wissen, Know-how, Spezialisten, Technologie, FinTechs, Geschäftsmodelle, Rezepturen und mehr.
Warum klassische Banken in diesen Tagen eine gute Ausgangsposition haben
Banken haben massiv Geld gespart, indem sie zentrale Technologien nicht selbst entwickelt haben, dieser Effort ist durch andere geleistet worden. Geld, das noch vorhanden ist, um diese Technologien und deren Möglichkeiten heute einzukaufen. Ob in Form von FinTechs, Spezialisten oder Software spielt erstmal keine Rolle, Geschäftsmodelle, Know-how, Technologie und Brain sind verfügbar. Auf einem hohen Level, das vor ein paar Jahren noch nicht erreichbar war.
Spannt man den Bogen etwas weiter und bezieht aktuelle und übergeordnete Entwicklungen mit ein, wird's noch spannender. Für alle Player, auch für Banken. Dazu gehören zum Beispiel Open Finance, Embedded Finance, Krypto-Assets, Banking-as-a-Service (BaaS), APIs, um nur einige Stichworte zu nennen. In all diesen oftmals zusammenhängenden Bereichen können FinTechs und auch Banken heute wählen, ob und in welcher Rolle sie aktiv, passiv oder gar nicht mitspielen wollen.
Mag sich der Unterschied zwischen einer getunten Website, Plattform und Ökosystem auch noch nicht ganz überall herumgesprochen haben, die beiden letztgenannten und damit auch Finanz-Marktplätze werden das Banking der Zukunft eher stark verändern.
Für klassische Banken mit einer klaren digitalen Strategie haben sich in den letzten Jahren die Wege vom Konzept zur Realität drastisch abgekürzt. Jeder gewünschte Bereich ist von Anbietern besetzt, die nicht primär Konkurrenten sein müssen, sondern vielmehr Partner oder Leistungsanbieter sein können.
Fehlende Strategie oder Zögerlichkeit als stärkste Gegner von grossen Chancen
Ist eine klare Strategien vorhanden und ist die Zögerlichkeit überwunden, sind für klassische Banken konkrete Nägel mit Köpfen in relativ kurzer Zeit machbar.
Zum Beispiel kann sich eine klassische Bank entscheiden, ob sie im FinTech-Bereich Leistungen als BaaS beziehen, ein FinTech kaufen oder sogar selbst als Banking-as-a-Service-Anbieter auftreten will, sofern die eigene IT mitmacht und das Know-how vorhanden ist. Im Zuge der zunehmenden Embedded Finance-Strömung sicher keine schlechte Idee, sich zu überlegen, wer Unternehmen und Nicht-Banken Tools, Know-how und Bankhintergrund zur Verfügung stellt, damit diese unter ihrem Segel Kredite oder anderen Bankleistungen anbieten können. FinTechs können das und sind mit BaaS-Angeboten auch bereits im Spiel – Banken wären prädestiniert für dieselbe Rolle, sofern sie das erkennen und auch wollen.
Ist der immanente und seit längerem gepflegte Abwehrreflex gegen Open Finance irgendwann überwunden, öffnen sich in den Bereichen von Plattformen und Ökosystemen exzellente Geschäfts- und Ertragsmöglichkeiten. Grosse Spielfelder, die sich als Orchestrator oder zumindst als aktiver Teilnehmer deutlich gewinnbringender bespielen lassen im Vergleich zur selbstgewählten Position des zurückhaltenden und abwartenden Bremsers.
Hat eine Bank ihre Haltung zu Krypto-Assets erst einmal schlüssig defniert und will auf die Wünsche ihrer Kunden reagieren, stehen der Bank alle Möglichkeiten offen, um auch in diesem Bereich schnell agieren zu können. Mehrere Anbieter von Handels-, Tokenisierungs- und Verwahrlösungen – ja das sind FinTechs oder spezialisierte Neo-Banken – stehen bereit, um jede Bank mit Technologie, APIs und mit einsatzbereiten Lösungen zu unterstützen.
Die laufende Entwicklung umfasst zahlreiche weitere Felder, die von FinTechs besetzt worden sind und von Banken besetzt werden können. Es geht jedoch nicht um die Aufzählung von Möglichkeiten, es geht schlicht um die Erkenntnis: vor einigen Jahren war alles sehr viel schwieriger, heute ist die Ausgangslage für entschlossene Player besser denn je, um Terrain zu besetzen und an den weiteren Entwicklungen aktiv beteiligt zu sein. Das gilt für FinTechs, Banken, Big Techs sowie zunehmend auch für Nicht-Banken und Unternehmen, die ihre Kunden über BaaS-Angebote mit Finanzdienstleistungen verwöhnen möchten.
Was jetzt, FinTech-Trend verschlafen oder ganz ausgeschlafen am Start?
Klassische Banken haben den FinTech-Trend der letzten Jahre sicher nicht durchwegs verschlafen, zumindest nicht alle. Viele sind allerdings tatsächlich durch anders gesetzte Prioritäten und deshalb eher durch Zögerlichkeit aufgefallen – sie haben erstmal Startups, FinTechs oder konkurrierende Banken machen lassen. Andere Banken haben jedoch durch erfolgreich lancierte Initiativen sichtbare Zeichen gesetzt.
Zum Beispiel die UBS hat mit Key4 eine Plattform gestartet, welche die Themen Haus, Wohnung, Leben und Lifestyle über blosse Finanzierung hinaus mittelfristig neu definieren könnte. Die Hypothekarbank Lenzburg ist als Pionierbank in Sachen Open Banking seit Jahren am Ball und baut die Leistungen ihrer Finstar Open Platform für FinTechs und Banken laufend aus. Die Luzerner Kantonalbank hat die in die Jahre gekommene Maestro-Karte nicht lustlos durch ein anderes Kärtli ersetzt, die Luzerner haben über ihre Kunden nachgedacht und eine kundenzentrierte Karten-Initiative gestartet. Die Credit Suisse hat sich für die Strategie der hybriden Bank entschieden, mögliche Effekte der Kannibalisierung zum Teil des Geschäftsmodells gemacht und mit CSX eine digitale Alternative zur "normalen" Bank in den Markt gestellt. Die Zürcher Kantonalbank hat mit Frankly eine attraktive FinTech-Vorsorge-App lanciert, ein "radikal neues Preismodell" versprochen – und Wort gehalten. Swissquote und Postfinance haben mit Yuh eine smarte Neo-Bank lanciert und dabei das Kunststück fertiggebracht, ein Startup und ein FinTech gewissermassen auf der grünen Wiese wirken zu lassen, das bisher nicht durch die Unternehmens-Kultur-Fesseln der grossen Mütter eingeschränkt wird.
Auch diese Liste lässt sich fortsetzen. Es geht jedoch nicht um die Aufzählung von Intiativen, sondern schlicht um zwei Feststellungen:
Nein, nicht alle Banken haben den FinTech-Trend verschlafen. Ja, einige schon, aber die gehören jetzt möglicherweise zu den ganz ausgeschlafenen Banken und haben gerade deshalb alle Chancen, die Entwicklungen der Zukunft nicht nur mitzumachen, sondern das Banking der Zukunft sogar aktiv mitzuprägen.
So oder so ist die Verteilung der alten und der neuen Rollen aktuell in Arbeit, das Mitspracherecht der bisherigen und der neuen Protagonisten bei der Besetzung bleibt für einige Zeit noch gewahrt.