Bisher haben die Schweizer Banken ihre Kundinnen und Kunden nicht über alle Massen mit smarten Services und Innovationen in den Bereichen Open Banking und Open Finance verwöhnt. Ansätze sind zweifellos da und dort erkennbar – scheinen sie auf, berichten wir konsequent darüber. Auch die Schweizerische Bankiervereinigung legt sich seit einiger Zeit verstärkt ins Zeug für eine Öffnung.
Dennoch, der Wille und die grosse Lust auf Open im Zusammenhang mit Banking und Finance stecken in der Schweizer Bankenszene noch tief in den Startpflöcken. Umso überraschender, dass der Runde Tisch um Bundesrat Ueli Maurer am 23. Dezember 2020 zum Schluss gekommen ist:
Open Finance wird in Zukunft auch für den Finanzplatz Schweiz eine zentrale Rolle spielen
Immerhin sass der Chef des Finanzdepartements nicht allein am besagten Runden Tisch, Ueli Maurer hat sich mit "den Akteuren der Branche" zum Thema ausgetauscht. Das überraschende Fazit darf deshalb als Konsens der gesamten Runde verstanden werden. Was ist von dieser neuen Einigkeit zu halten?
Fünf vor zwölf ist längst vorbei
Mit dem Weckruf "es ist fünf vor zwölf" braucht heute keiner mehr den verspäteten Morgenappell zu dramatisieren, "fünf vor zwölf" ist längst vorbei. Und damit die Chance für den Finanzplatz Schweiz, dem Rest der erstaunten Bankenwelt und vor allem den Kunden zu zeigen, wie komortabel und innovativ das neue Banking und das Finanzleben der Zukunft sein kann.
Gerade ein kleines Land wie die Schweiz mit einem hochentwickelten Finanzsystem und einer starken Finanzindustrie hätte die positiven Schatten der Innovation weit vorauswerfen können, wäre das über längere Zeit noch weitgehend unbesetzte Spielfeld frühzeitig genutzt worden. War jetzt nicht so, Mut, Einigkeit und gemeinsame Pläne waren schlicht nicht vorhanden. Deshalb gilt: nochmals würfeln und bereitmachen für die nächste Runde auf dem Spielbrett der Open Finance-Fantasien.
Rückt die Dringlichkeit langsam ins Bewusstsein der Branchenakteure?
Glaubt man dem Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF, besteht Hoffnung. Aus der tagenden Runde ist in einer Zusammenfassung des SIF das Folgende zu vernehmen:
"Open Finance zeichnet sich aufgrund technologischer Fortschritte und sich ändernder Kundenbedürfnisse als unumgängliche Entwicklung im Finanzbereich ab. Langfristig dürfte diese Entwicklung sowohl strukturell als auch im Dienstleistungsangebot zu bedeutenden Veränderungen führen."
Stimmt. Anzumerken bleibt allerdings, dass diese angesprochene Entwicklung kein Selbstläufer ist, sie wird gemacht, forciert und die "bedeutenden Veränderungen" finden nicht einfach statt, sie müssen und dürfen gestaltet werden. Tut man's nicht, besteht die akute Gefahr, dass man nicht zu den Machern gehört, sondern zu den Opfern der angesprochenen Entwicklung wird. – Weiter im Text des SIF:
"Basierend auf dem Prinzip des Finanzdatenaustauschs über standardisierte und gesicherte Schnittstellen ist Open Finance ein Paradigmenwechsel, weil es den Konsumentinnen und Konsumenten die Kontrolle über ihre Daten zurückgibt: Sie entscheiden, welche Informationen, die sie betreffen, übermittelt werden dürfen und wer darauf zugreifen darf. All dies über innovative und einfach zu nutzende Dienstleistungen.
Wer beispielsweise bei mehreren Banken Konten hat, kann auf dem Mobiltelefon mit der App einer dieser Banken oder eines Drittanbieters mit einem Klick sämtliche Konten abfragen. Oder Anlageentscheide werden erleichtert, weil die Kundinnen oder Kunden den Überblick über alle ihre Anlagen haben.
Nicht nur der Finanzbereich, sondern die gesamte Wirtschaft dürfte von innovativen und effizienteren Finanzdienstleistungen profitieren. So könnte etwa ein KMU sein Liquiditätsmanagement optimieren oder dank der verfügbaren Daten einfacher und schneller einen Kredit erhalten."
Wer jetzt sagt, klar, das wissen wir doch schon alles, verkennt einen feinen Unterschied, der zu Hoffnung Anlass geben könnte: Entscheidend ist, wer diese Einsicht hat, teilt und verinnerlicht. Sind's nicht nur Keynote Speaker und progressive Finanz-Player im Ausland, wie bisher, sondern neu auch die "Akteure der Branche" in der Schweiz, dann könnten der Einsicht auch Taten folgen. In der Schweiz.
Ein Blick auf die Hürden
Das SIF fasst in seinem Überblick zum Stand der Dinge auch Hürden und Stolpersteine in Worte und sagt:
"Anders als in anderen Ländern – und insbesondere in der EU – gibt es gegenwärtig in der Schweiz keine gesetzliche Verpflichtung für Finanzinstitute, Kundendaten über standardisierte Schnittstellen mit Drittanbietern auszutauschen. Einige Akteure haben jedoch in der Schweiz Initiativen zur Standardisierung der technischen Schnittstellen gestartet."
Stimmt. Bei der Standardisierung besteht jedoch nach wie vor der Eindruck, dass mehrere Parallel-Standards unterwegs sind und eben nicht "der Standard", der für alle gilt und deshalb auch alle Türen öffnet.
Das zu verteidigende Moment der Freiwilligkeit wird seit jeher als hochgelobtes Argument ins Feld geführt, das besser als jede gesetzliche Verpflichtung Open Banking und Open Finance zur Blüte verhelfen werde. Ist das so? Dagegen mögen wir nicht explizit antreten, nur gerade einen ergänzenden Hinweis zur Kraft der Freiwilligkeit liefern.
Instant Payments, zum Beispiel, wären europaweit ein Segen und auch eine Notwendigkeit. Sind Instant Payments auch zwei Jahre nach dem Start noch sehr weit vom "Neuen Normal" entfernt, hängt das mit ebendieser Freiwilligkeit auf Europa-Ebene zusammen. Die Hälfte der Banken ist dabei, die andere nicht. Verschiedene Standards und ein Gebühren-Eldorado verwirren Kunden und schaffen nicht den Boden für eine schnelle Ausbreitung. Mit anderen Worten: Flickenteppiche verhindern in jedem Bereich, dass innovative Ideen sich breit duchsetzen können. Freiwillig hat eben ihren Preis.
Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen wird konkret
In seiner Zuammenfassung vom Runden Tisch hält das SIF fest, dass Open Finance in der Schweiz noch am Anfang steht und bezeichnet die Herausforderungen als zahlreich. Das SIF benennt insbesondere die folgenden Bremsklötze:
"Standardisierung der Schnittstellen, Abwehrhaltung etablierter Akteure, die zögern, Kundendaten an potenzielle Wettbewerber weiterzugeben oder Reputationsrisiken bei einem Ausfall von Drittanbietern."
Werden die Chancen nicht nur erkannt, sondern auch genutzt?
Das SIF liefert eine verhalten positive Einschätzung und fasst zusammen:
"Herausforderungen bedeuten aber auch Chancen, und die Branche selbst sieht in Open Finance ein grosses Potenzial für den Finanzplatz Schweiz. Dies umso mehr, als die Schweiz über einen starken Bestand an Unternehmen verfügt, die im Bereich Finanztechnologie (FinTechs) tätig sind und von innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen profitieren. Indem er in Sachen Open Finance eine aktive Rolle spielt, kann der Finanzplatz seine Wettbewerbsfähigkeit weiter stärken."
Mit der abschliessenden Bemerkung liegt das SIF sicher richtig. Zumal der Finanzplatz Schweiz die Chance der Vorreiterrolle mit Signalwirkung in die ganze Welt ungenutzt hat vorüberziehen lassen. Aber immerhin, aktive Rollen können auch weiterhin besetzt und gespielt werden. Das funktioniert selbstverständlich auch unter dem Segel der vielgepriesenen Freiwilligkeit. Die Gefahr bleibt jedoch weiterhin gross, dass gemeinsame Ökosysteme, gemeinsame Standards und damit das Open Finance-Projekt Schweiz auf der Strecke bleiben.
Unterschiedliche Interpretationen von "Open" dürften auch im Bereich Open Finance eher zu einem bunten Flickenteppich führen, weniger zu einem gemeinsamen Projekt, das Banken, FinTechs und Kunden mit starken Kupplungen und über tragfähige Brücken verbindet.