Interessanter Strategiewechsel bei der Berliner Challenger-Bank: Mit der bisherigen Expansions-Strategie hat die Neo-Bank mehr als 20 Länder erobert, über fünf Millionen Kunden gewonnen und ist innerhalb von wenigen Jahren zu einem der erfolgreichen Unicorn FinTechs geworden.
Der Weg über die geografische Expansion ist allerdings mit hohen Investitionen verbunden. Jeder Markt muss von Null aufgebaut werden, zumal andere FinTechs mit Vorsprung bereits am Werk sind, neben den traditionellen Banken.
Eine Erfahrung, die N26 unter anderem in Grossbritannien gemacht und sich nach 18 Monaten aus dem Markt wieder verabschiedet hat. Lokale Grössen wie Monzo, Starling, Revolut und andere Challenger-Banken haben das Marktpflaster für N26 hart gemacht. Der ins Feld geführte Brexit allein dürfte die Kapitulation nicht verschuldet, im Angesicht schleppender Entwicklung nur beschleunigt haben.
Mit Chime und anderen FinTechs hat N26 auch in den USA starke Gegner. N26-Chef Valentin Stalf zählt die USA allerdings weiterhin zu den Kernmärkten von N26, mit der Begründung, dass in Amerika das Bankensystem noch viel steinzeitlicher wäre als in Europa. Da rechnet sich N26 offenbar weiterhin gute Chancen aus.
Die neue Strategie von N26
Im Podcast – Chefgespräch hat Wirtschaftwoche-Chefredaktor Beat Balzli ein ausführliches Gespräch mit N26-CEO Valentin Stalf geführt. Der Talk ist deshalb interessant, weil Balzli Antworten seiner Gesprächspartner nicht mit der nächsten Frage quittiert, er hakt nach. Der Journalist hat Valentin Stalf nicht gegrillt, dazu ist er zu fair, aber Minimal-Schweissausbrüche bleiben möglich, weil Balzli nicht lockerlässt.
Zum Einstieg ein bisschen Talk über Valentin Stalf persönlich und etwas angriffiger über den Knatsch im Zusammenhang mit dem N26-Betriebsrat, der auch in Zukunft nicht zu den Lieblingsgremien von Stalf gehören dürfte. Immerhin macht er im Gespräch gute Miene zum gewerkschaftlichen Spiel.
Danach geht's ans Eingemachte, Stalf wird konkret und überrascht mit der Aussage:
Wir haben heute eine ganz klare Strategie, wir konzentrieren uns auf unsere Kernmärkt in Europa
Als Kernmärkte bezeichnet Stalf Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien, Italien und, wie bereits angeführt, auch die USA. Das sind nur gerade sechs Märkte aus der Liste von mehr als 20 Ländern, in denen die Challenger-Bank aktuell aktiv ist.
Das heisst konkret, dass die Erschliessung neuer Ländern und Märkte nicht mehr zur Expansions-Strategie von N26 gehört. Auch Asien und Lateinamerika sind für N26 vorderhand von der Liste gestrichen, dazu scheint auch der bereits mehrfach angekündigte Markteintritt in Brasilien zu gehören.
Der neue Marktplatz von N26
Was Revolut bereits seit einiger Zeit verfolgt, scheint nun auch für N26 auf dem Plan zu stehen. Die Challenger-Bank will in den Bereichen Anlegen und Investieren aktiv werden. Kürzlich hat N26 ein Tagesgeldkonto mit "attraktiver Verzinsung" lanciert, auch das bereits in Kooperation mit FinTech-Partnern. Für nächstes Jahr soll das Thema Trading mit Wertschriftendepot auf der Roadmap stehen.
Weitere Stichworte sind Hypokredite, Studentenkredite, Versicherungsprodukte, Kryptoprodukte und mehr. Im Kern geht's um einen Marktplatz für Finanzprodukte, den N26 installieren will. Neben eigenen Produkten soll dieser Marktplatz eine Bühne für "ganz viele FinTechs" schaffen, eine Plattform für viele deutsche Startups werden, welche einzigartige Finanzprodukte anbieten.
Wir bauen einen Marktplatz für ganz viele FinTechs
Das Stichwort "Amazon for Finance", das Balzli ins Gespräch wirft, nimmt Stalf auf und meint, der Vergleich wäre nicht schlecht, nur soll der N26-Marktplatz eine besser kuratierte Plattform werden. Ein Marktplatz mit etwa 30 Partnern, vielleicht auch mit bis zu 60 Anbietern.
Ob 30 oder 60 FinTech-Partner, die Aussage von Stalf wirft ein Licht auf die geplante Dimension des "gut kuratierten" Vorhabens – und diese Dimension scheint nicht klein gedacht. Das Projekt klingt nach einer Plattform, die in einer intelligenten Zusammensetzung alle Services bietet, welche das finanzielle Leben breiter Gruppen einfacher machen sollen.
Der N26-CEO lässt im Gespräch durchblicken, dass relevante Bereiche mit Kundennähe tendenziell durch N26 selbst auf dem Marktplatz betrieben und bewirtschaftet werden sollen. Dazu soll auch das Trading Tool gehören, das den Aktienhandel für Kunden öffnen wird.
Spannungsfeld N26 und Revolut
Mit der neuen Strategie nähert sich N26 ein Stück weit der Challenger-Bank Revolut an, welche den Handel mit Wertpapieren und Kryptowährungen schon seit längerem anbietet. Zudem forciert Revolut Open Banking in verschiedenen Ausprägungen, will im Bereich Versicherungen aktiv werden und plant ebenfalls einen Marktplatz, der allerdings über Finanzprodukte hinausgehen soll.
Bekanntlich ist Revolut im Feld der Challenger-Banken der härteste Gegner für N26. Stalf sieht sich und N26 allerdings nicht in einer Konkurrenz-Situation mit anderen FinTechs, auch nicht mit Revolut. Der N26-Chef begründet seine entspannte Haltung mit einer einfachen Rechnung, die er aufmacht:
Der Markt Europa, meint Valentin Stalf, wäre mit hundert Millionen Konten gross genug für Revolut, für N26 und noch für ein paar weitere FinTechs.
Den Talk und das Chefgespräch von knapp einer Stunde gibt's in voller Länge hier.
Nach dem grossen Schritt ein Blick auf die kleinen Schritte
Kleine Features und Erweiterungen, die neuen Komfort bringen, bleiben für jede Challenger-Bank wichtig, um bestehende Kunden bei Laune zu halten und neue anzuziehen. Auch hier hat N26 aktuell nachgelegt. Neben mehreren neuen Komfort-Features sticht eine Funktion besonders ins Auge: der kostenlose In-App-Kontowechselservice. In Kooperation mit Partner Finleap haben Kunden direkt über die App neu die Möglichkeit, Daueraufträge, Lastschriften und Zahlungseingänge von einem anderen Bankkonto automatisch auf ihr N26-Konto übertragen zu lassen und ihr altes Bankkonto auch gleich zu kündigen.
Kleine Schritte mit Brisanz
Dass Banken und Konten nicht so häufig gewechselt werden wie Krankenkassen, hängt nicht nur mit Vertrauen und Treue zusammen. Kunden scheuen oftmals den ziemlich erheblichen Aufwand und lassen deshalb aus Bequemlichkeit alles so, wie es gerade ist.
Ein gut funktionierender Kontowechselservice wird keine Kündigungslawine auslösen, aber: Wer immer schon mal wollte, der kann jetzt. Eher lockere und nicht sehr enge Bankbeziehungen stehen dadurch verstärkt auf der Kippe.
Auch mit diesem Feature unterstreicht N26 die These ihres CEOs, der davon überzeugt ist, dass Kunden ihre Hauptbankverbindung nur bei einer Bank haben wollen. Keine Frage, dass N26 diese Bank sein will. Open Banking- und Marktplatz-Strategien sind deshalb logische Schritte auf dem Weg, den eigenen Zielen näherzukommen.