Future of Work

Workplace 4.0: Der Bottom-up-Ansatz ist der zentrale Schlüssel bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes

Sabrina Schenardi, SIX

Gastautorin Sabrina Schenardi über zentrale Punkte, welche bei der Konzeption und Realisierung von Workplace-Projekten im Vordergrund stehen sollten.

Coworking Hubs, welche für breite Zielgruppen gedacht sind, geben Richtungen vor, wie Arbeitsumgebungen konzipiert werden können. Unternehmen, welche über den Workplace 4.0 nachdenken, tun sich zuweilen schwer mit der Umsetzung. Ideen und Projekte gibt es viele, gelungene Projekte auf Unternehmensseite, sofern sie überhaupt realisiert werden, sind eher die Ausnahme.

Das hängt (auch) mit den zahlreichen Fallstricken zusammen, die überall ausgelegt sind. Sind Profis mit im Boot, die wissen, was Workspace der Gegenwart und der Zukunft können muss? Sind die Mitarbeiter, welche den Workspace beleben sollen, massgeblich mit im Projekt involviert? Droht die Gefahr, dass sich ein CEO oder ein Gremium ein Denkmal setzen möchte und dabei weniger an die Mitarbeiter denkt? Soll ein Showcase geschaffen werden, der vor allem gegen aussen wirkt und medienwirksam eröffnet werden kann? Als Nebeneffekte sind die letzten beide Punkte unbedenklich, stehen sie im Vordergrund, kann das Projekt auf Grund laufen, bevor der neue Workspace eröffnet worden ist.

Die Innovation Homebase der SIX

SIX hat über Workplace 4.0 nachgedacht und das Projekt der Innovation Homebase von Grund auf konzipiert und realisiert. Über die neue Heimat für Innovationen haben wir in der Rohbauphase berichtet. In unserer Betrachtung setzt die im Sommr 2019 eröffnete Arbeitsumgebung Massstäbe für die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Coworking Spaces.

Deshalb haben wir Sabrina Schenardi, eine der federführenden Projektleiterinnen, gebeten, einige zentrale Überlegungen zusammenzufassen. Welche Faktoren stehen im Vordergrund, welche Punkte bei Planung, Konzeption und Realisierung können über Erfolg oder Misserfolg mitentscheiden? Im Folgenden die Gedanken und Ausführungen von Sabrina Schenardi zum Projekt und zur Gestaltung von Arbeitsumgebungen. (Redaktion/mae)

Der Bottom-up-Ansatz ist der zentrale Schlüssel bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes

In diesem Artikel habe ich einige zentrale Überlegungen zur Entstehung der SIX Innovation Homebase zusammengefasst und dabei insbesondere auf die folgenden Punkte fokussiert:

  • Warum man Arbeitnehmer bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes zwingend miteinbeziehen sollte
  • Was sich hinter dieser Formel verbirgt: B x W x D x W = Workplace 4.0

Jeder von uns kennt dieses Gefühl: In einigen Räumen fühlt man sich einfach wohler als in anderen. Das hängt auch damit zusammen, dass Arbeitnehmer sehr heterogene Ansprüche an ihren idealen Arbeitsplatz stellen. Dazu kommt: diese Ansprüche können sich von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde ändern. 

Seltsam, nicht? Die Antwort darauf ist aber simpel. Jeder von uns ist einzigartig und hat andere Bedürfnisse, weil jeder von uns eine andere Persönlichkeit hat. Gerade deshalb lieben wir es, unser Zuhause einzurichten, durch Möbelhäuser zu streifen, um uns inspirieren zu lassen, damit wir unser "Nest" zu Hause farblich und harmonisch auf uns abgestimmt einrichten können. Doch ausgerechnet bei unserem Arbeitsplatz haben wir selten Mitspracherecht.

Eigenartig, nicht? Ausgerechnet dort, wo wir bis zu 42 Stunden in der Woche unsere Zeit verbringen. Oftmals halten wir uns dort gar länger auf als in unseren eigenen vier Wänden und müssen unsere Arbeitsumgebung als gegebenen Teil unseres Arbeitsumfeldes hinnehmen.

Wie wir als Innovationseinheit dank einer Reorganisation bei der SIX Anfang 2018 die Möglichkeit beim Schopf packten und 1200 Quadratmeter Bürofläche mitgestalteten – diese Geschichte möchte ich in diesem Artikel erzählen. 

Folgende Formel steht dabei im Zentrum: B x W x D x W = Workplace 4.0

B = Bedürfnisse

Für unser 30-köpfiges Team war von Anfang an klar: Aus der Tatsache heraus, dass jeder von uns andere Bedürfnisse hat, erfordert dies beim Gestalten des eigenen Arbeitsplatzes einen kompromisslosen "Human Centric Design Ansatz". Der Arbeitsort sollte unsere Arbeitsabläufe voll und ganz unterstützen und darauf ausgerichtet sein.

Bei meinem 70-Prozent-Pensum bin ich pro Woche im Schnitt 15 Prozent der Zeit an meinem Arbeitstisch. Die andere Zeit verbringe ich in Sitzungszimmern, leite Workshops oder bin bei den Kunden. Ist es in Anbetracht dieser Tatsache wirklich sinnvoll, dass ich einen fixen Arbeitsplatz belege, der zu 85 Prozent verwaist ist?

Da die Mehrheit in meinem Team ähnlich unterwegs ist, haben wir uns vom Gedanken eines fixen Tisches verabschiedet. Was dabei übrig bleibt? Eine bespielbare Fläche von 1200 Quadratmetern. Für unser Kernteam, für Gruppen und für sämtliche SIX-Mitarbeiter, die auch in neuer Umgebung arbeiten möchten. Diese Fläche sollte bestmöglich unserem Arbeitsalltag angepasst sein.

So sassen wir zusammen, haben unsere Agenden gecheckt, Arbeitsabläufe unserer Teams analysiert und damit Bedürfnisse aus unserer täglichen Arbeit aufgelistet. Rasch hatten wir hunderte Post-its gesammelt mit Schlagworten wie: stiller Arbeitsbereich, beschreibbare Wände, kreative Meetingräume, konventionelle Meetingräume, Telefonkabinen für den individuellen Rückzug, Arena für Events, helle Räume und mehr. In unseren Köpfen gewann das Projekt Konturen und mehr und mehr nahm das Bild unserer künftigen "Innovation Homebase" konkrete Gestalt an.

W = Werte

Während wir die individuellen und Teambedürfnisse zusammentrugen, entwickelten wir gleichzeitig die Werte für unsere Innovationseinheit. Wir legten den Fokus auf die folgende Fragen:

  • Wer sind wir? Was macht uns aus? Wofür wollen wir als Team (zukünftig) stehen? 
    (Die Frage nach Identität und Zielen)
  • Wem bringen wir Nutzen?
    (Die Frage nach Markt, Kunden, Zielgruppen)
  • Wie wollen wir zusammenarbeiten? Wie kommunizieren wir untereinander? 
    (Die Frage nach Führungsgrundsätzen und der Art der Zusammenarbeit)

Als Essenz daraus einigten wir uns auf Werte wie beispielsweise Kreativität, Offenheit und Dominanz. 

D = Design

Mit unseren neu definierten Werten und dem Stapel Post-its unserer Bedürfnisse hatten wir eine relativ klare Vorstellung, wie unsere "Homebase" aussehen sollte. Der Stoff für ein Briefing an fünf spezialisierte Architekturbüros, die uns ihre Designvorschläge dafür pitchten. Überzeugt hat das Workplace Team von Mint Architecture und konnte damit unter der Leitung von Innenarchitektin Stefanie Wandiger das Projekt für sich entscheiden. Das war der Startschuss für eine einjährige Zusammenarbeit.

Stefanie und ihr Team entwickelten gemeinsam mit uns ein Designkonzept. In der neuen Homebase erhält Kollaboration eine zentrale Bedeutung. In Bezug auf Funktionalität zeigt sich dies mit verschiedenen Raumtypologien, die etwas miteinander zu tun haben und die harmonisch ineinander übergehen.

Empfangen werden interne und externe Wissensträger in einer offenen Begegnungszone inklusive Kaffeeküche, die zum aktiven Austausch einlädt. Dieser Begegnungs-Umgebung schliesst sich die Zone für die Team- und Projektarbeit an, gefolgt vom Bereich für konzentriertes und ruhiges Arbeiten. Speziell beschichtete und beschreibbare Wände geben Ideen ebenso Raum wie die vielen zur Verfügung stehenden Ad-hoc-Begegnungszonen in Form von Diners, Hochtischen sowie Lounges und Räumen zur physischen und mentalen Aktivierung oder auch Regeneration.

Die definierten Werte wurden beim Design mit State-of-the-Art Innovationsraum-Analysen sowie neusten Erkenntnissen aus der Psychologie abgeglichen und untermauert – um die richtige Rezeptur zu finden, welche Farben, Formen und Materialien am besten zu uns und unseren Bedürfnissen passen. So wurden Farben teilweise am Corporate Design angelehnt, jedoch bewusst mutiger eingesetzt. Ergänzt wurde die bestehende Farbwelt mit kräftigen, aktivierenden Farben, welche die Innovationskraft fördern und zum Austausch anregen sollen.

Um den Charakter einer dynamische Arbeitsweise auch in den dreidimensionalen Raum zu bringen, wurden bewusst nicht alle Räume rechtwinklig gestaltet. Dies resultiert in einer spannenden, abwechslungsreichen Arbeitslandschaft, die den Spirit der Innovationsabteilung widerspiegelt.

W = Wissenschaft

Unsere Homebase soll zu hundert Prozent auf den Nutzer ausgerichtet sein. Deshalb war uns klar, dass neben dem auf uns angepassten Design, welches in erster Linie für Look and Feel steht, auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen einbezogen werden sollten. Zum Beispiel die Farbpsychologie.

So wurden bei der Farbwahl Grundlagen aus der Farbpsychologie angewendet – mit der Idee, dass verwendete Farben uns zum Beispiel unterbewusst in unseren innovativen Denkprozessen unterstützen sollen. Das im War-Room angewendete knallige Gelb steht beispielsweise für Wachheit, Kreativität und einen schnellen Verstand. Im Ruheraum hingegen wurde durch eine Pflanzen-Tapete ein sattes, dunkles Grün eingebracht, welches Ruhe und Harmonie ausstrahlt.

Für aktivierende Pausen wurden, in Kooperation mit einer Spezialistin im Bereich Sportwissenschaft, auf der gesamten Fläche "Health & Wellbeing"-Elemente eingesetzt, mit der Idee: in kurzen Sessions soll nicht nur der Geist, sondern auch der Körper angeregt werden. So bieten sich heute beispielsweise Balance Boards, Sportringe oder Achtsamkeitsübungen an, um in unmittelbarer Nähe des Arbeitsplatzes den nötigen Ausgleich zur Arbeit zu finden. 

Über Wissenschaft und zahlreiche Studien ist erwiesen, dass Übungen, die gleichzeitig den Körper und das Hirn aktivieren (wie zum Beispiel die Nutzung des Balance Boards), eine starke Wirkung erzeugen: die Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit wird verbessert und die Gedächtnisleistung wird gestärkt. Auf der anderen Seite wirken Turnringe bei langem Sitzen Muskelverkürzungen und Verspannungen entgegen.

Durch Achtsamkeitsübungen besteht die Möglichkeit, den gegenwärtigen Augenblick im Kern der unmittelbaren Erfahrung erweitert wahrzunehmen. Dies unterstützt uns dabei, auf verschiedene Lebenssituationen offener, wertfreier und flexibler zuzugehen und unsere Aufmerksamkeit zu lenken. Gerade in der hochflexiblen, interaktiven Innovationsumgebung ist dies eine entscheidende Voraussetzung.

So wird's was mit dem Workplace 4.0

Meine Ausführungen bilden natürlich nicht die ultimative Rezeptur, aber immerhin: sie zeigen grundlegende Überlegungen und enthalten Gedanken zu zentralen Punkten, die beachtet werden sollten. Sehr wichtig sind auch die Schnittstellen von Phasen, die im eigenen Hause gemacht werden können (zum Beispiel Workshops mit Mitarbeitern oder Werte, die man sich gibt) zu den Bereichen, in denen man auf professionelle Unterstützung angewiesen ist (Design, Wissenschaft, Psychologie etc.).

Und, ebenso wichtig, Erkenntniss und Einsichten, die heute richtig sind, müssen nicht für alle Zukunft in Stein gemeisselt sein. Menschen, Arbeit, Zeitgeist, Bedürfnisse gehören zu den lebendigen "Faktoren", die sich wandeln und gegenseitig beeinflussen. Es lohnt sich, hier als Konzepter und Macher ebenso lebendig zu bleiben, um neue und relevante Strömungen erkennen und in bestehende Umgebungen integrieren zu können.

Die Homebase ist eröffnet

Nach gut einem halben Jahr Planungsphase und sechs Monaten Bauzeit wurde die Innovation Homebase am Hauptsitz der SIX in Zürich am 1. Juli 2019 eröffnet. Sie ist eine reine interne Arbeitszone und als Co-Creation-Arbeitszone beworben worden. Das heisst, dass jeder SIX Mitarbeiter die Möglichkeit hat, von der Homebase aus zu arbeiten. 

Der Weg vom Projekt bis zur belebten Innovation Homebase

Das Video zeigt im Zeitraffer den Weg vom Projekt zu Bereichen und Räumen, die für Menschen und Mitarbeiter gedacht und gemacht worden sind. Unter Einbezug der Mitarbeitenden, welche in diesen Räumen heute arbeiten, kreieren, kommunizieren, gestalten und wirken. 
 

Die Autorin: Sabrina Schenardi

Sabrina Schenardi ist Lead Community Building bei Innovation & Digital in der SIX. Der Fokus ihrer internen Arbeit liegt darauf, die "DNA der Innovationskultur" voranzutreiben und neue Arbeits-, Kommunikations- und Community-Formate zu entwickeln.

Gemeinsam mit dem F10, dem von SIX gegründeten Incubator & Accelerator in Zürich, unterstützt sie den Aufbau eines globalen FinTech Ecosystem.

Aktuell studiert Sabrina an der HSG St. Gallen Business Engineering (EMBA), mit Schwerpunkt Transformation, Leadership & Innovation Management.