Erklärt sich ein Unternehmen über Purpose Marketing, beschreibt es nicht nur den Zweck seines Daseins, es kommt in der Regel um Statements zu Haltung, Verantwortung oder auch Ethik nicht herum.
Deshalb ist Purpose driven Marketing nicht nur Buzzword und Trend, es ist auch heikles Terrain und ein Unternehmen betritt möglicherweise sehr dünnes Eis.
Banken und Versicherer im Umfeld von Purpose Marketing
Das mit dem dünnen Eis gilt grundsätzliche für Unternehmen in jeder Branche, im Besonderen auch für Banken und Versicherer.
Beispielsweise eine Bank, die von einem Skandal zum nächsten stolpert, tut gut daran, sich in der Phase des Stolperns in ihrer Kommunikation mehr auf Geld, Anlagen, Vermögen, Gebühren und andere Alltäglichkeiten zu konzentrieren. Mit einem Approach in Richtung von Werten, Ethik und Moral wäre der nächste Shitstorm losgetreten, der nicht zu stoppen ist.
Ein Versicherer, der sich einen Namen mit AGBs und Kleingedrucktem gemacht hat, welche darauf zielen, möglichst viele Schadenfälle ohne Auszahlung an Versicherte zu lösen, der sollte ebenfalls einen grossen Bogen um Purpose Marketing machen. Die Social Media Community lauert und wird dem Versicherer sein eigenes Kleingedrucktes und die Geschichten schlecht behandelter Kunden mit tausenden von Posts um die Ohren hauen.
Auf welchem Boden gedeiht Purpose Marketing am besten?
In Zeiten von salbungsvoll vorgetragenem Green Washing, Ethic Washing oder auch anderen Washings, reagieren breite Zielgrupen verstärkt sensibel auf den Unterschied zwischen Worten (Marketing und Kommunikation) und erkennbaren Taten (Haltung und Verhalten des Unternehmens im Alltag). Je grösser die Kluft, desto heftiger die Reaktion. Und seit Erfindung von Social Medias, können sich selbst negative Einzelfälle und Bagatellereignisse zu Riesengeschichten auswachsen.
Die Welt ist einigen Bereichen zum Irrenhaus geworden und der Wahnsinn als Methode hat Konjunktur. Eine zunehmende Zahl von Regierungschefs weltweit spielt mit dem Feuer und tänzelt am Abgrund. Betrugsfälle und Bestechung in Verwaltungen und Wirtschaft sowie Skandale, Bussen in Millionen- und Milliardenhöhe gehören in den Nachrichten bereits zur Tagesordnung. Das Ego von zahlreichen Wirtschaftskapitänen hat sich zu den Dimensionen von Fussballfeldern ausgewachsen, deshalb sind sie überzeugt, dass ihnen als jährliche Vergütung ein- und zweistellige Millionenbeträge zustehen, völlig unabhängig von ihrer Leistung.
Zum geringsten aller Makel gehört noch das Nichtstun. Aus der Einsicht heraus, wir wissen nicht wie und wir wissen schon gar nicht wohin, kaprizieren sich zahlreiche Regierungen, Politiker, Gremien, Kommissionen und politische Institutionen darauf, weder die Zukunft noch die anstehenden Probleme anzupacken.
Probleme werden nicht gelöst, nur gerade verwaltet, die Versäumnisse der Vergangenheit und der Gegenwart werden schöngeredet und die Appelle der politischen Schönredner in TV-Talks und auf sonstigen Bühnen sind gespickt von "sollten", "würden" und "könnten". Die geübten Redner "machen deutlich", dass sie die Probleme erkannt hätten, dass man "sehr genau hinsehen" werde, dass bereits nächste Woche zahlreiche Köpfe und Gremien über das nachdenken würden, was vor Jahren schon bekannt war und ungelöst verschleppt worden wäre, man "habe es eben einfach nicht kommen sehen", dass dennoch keinerlei Grund zur Besorgnis bestehen würde, bisher wäre ja alles gut gegangen und schliesslich sei da eine gewählte Regierung mit erstklassigen Machern am Ball und am Werk, die zugegebenermassen vor allem mit sich selbst beschäftigt wären, aber zwischendurch schon Zeit fänden, auch mal an die Bürger zu denken.
Mit Verlaub: All das mag langsam niemand mehr hören. Aktuell reagieren Bürger noch mit Weghören, das wird allerdings nicht für alle Zeiten so bleiben. Die Annahme, die Leute, Bürger, Kunden und Wähler, hätten sich an all das gewöhnt und würden weiterhin stillhalten, ist ein temporärer Trugschluss. Ein Trugschluss, der sich durch den Wohlstand und den Komfort erklärt, der politisch nicht besonders aktive Menschen für eine gewisse Zeit fast alles hinnehmen lässt, solange die Felle des Einzelnen nicht davonschwimmen. Wird der Komfort für alle etwas weniger, ein bisschen genügt schon, dann dreht der Wind und es ist vorbei mit der Passivität und stiller Duldung.
Mit anderen Worten: Die Sensibilität gegenüber Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit, klaren Ansagen und dem ernsthaftem Bemühen, den Worten Taten folgen zu lassen, ohne schön verzierte Mogelpackungen und clever inszenierten Verschleierungs-Taktiken, wird tendenziell grösser, nicht kleiner.
Chancen im Purpose Marketing
Auf diesem Boden hat Purpose Marketing Chancen. Die "neue Ehrlichkeit" kommt gut an, wenn sie glaubwürdig ist. Wenn den Worten Taten folgen – oder noch besser: wenn die Differenz zwischen Worten und Taten immer schon gering bis nicht vorhanden war. Wenn Begriffe wie Nachhaltigkeit, Fairness, Ethik im Business, Sinn für Gemeinschaft und weitere nicht als schnell abgenutzte Schlagworte nur gerade in der Kommunikation bemührt werden, sondern vielmehr als gelebte Haltung eines Unternehmens erkennbar sind.
So gesehen liegen in der Kommunikation mit Haltung und Werten unglaubliche Chancen, weil die Zielgruppen in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht gerade verwöhnt worden sind mit wirklich glaubwürdigen Ansprachen, welche nicht durch genau anderslaufende Aktionen unterminiert und Lügen gestraft worden sind. Es gab sie. Aber sie hatten Seltenheitswert.
Die Kampagen von R+V Versicherung: "Du bist nicht allein"
Ein gutes Beispiel für den aktuellen Zeitgeist, das Erkennen von Strömungen und den Hunger nach Wahrhaftigkeit im breiten Publikum, liefert die Kampagne von R+V Versicherung.
"Ist Egoismus cool?", fragt einer der grössten Versicherer Deutschlands. "Ist die Welt verrückt geworden?", "Sind eigentlich nur noch Selbstdarsteller an der Macht?", "Heisst Geschäftsethik etwa, sich nicht erwischen zu lassen?". Mit diesen Fragen wird zusammengefasst, was viele denken. Und denken viele ähnlich, sind breite Zielgruppen bereit und aufnahmefähig für die Gegenthese. Immer vorausgesetzt, ein Absender ist in der Lage diese Gegenthese wirklich glaubwürdig zu vertreten. Worte allein genügen nicht.
Der genossenschaftlich organisierte Versicherer tritt gegen das "Ich" an, das er durch ein "Wir" ersetzen möchte. Das Video operiert nicht nur mit schönen Worten und starken Appellen, R+V sagt "Du bist nicht allein" und startet zahlreiche Initiativen, an denen der Versicherer und auch die Gesellschaft gemessen werden kann.
Eine interessante und emotional inszenierte Kampagne, die sich nur leisten kann, wer bereits in der Vergangenheit dieselben Werte vertreten hat, welche auch aktuell im Zentrum stehen.