Finanzierung

Welche Erfahrungen machen Schweizer Startups und FinTechs mit Crowdinvesting?

Menschenmasse, angeordnet in Form eines Pfeils, der nach oben zeigt
Bild: Photoroyalty | Shutterstock

Neon und Selma gehören bereits zu den Wiederholungstätern. Auch andere Startups und FinTechs haben Erfahrungen mit Crowdinvesting gemacht. Welche?

Der Finanzierungskanal Crowdinvesting ist auch in der Schweiz zu einem gangbaren Weg der Kapitalbeschaffung geworden, den nun schon zahlreiche Startups und FinTechs beschritten haben. 

Startups, Neo-Banken und FinTechs wie ElleXX, Findependent, Inyova, Neon, Relai, Selma und andere haben auf die Crowd gesetzt und damit Kundinnen und Kunden als Aktionäre mit ins Boot geholt.

Erfahrungen von Schweizer Startups und FinTechs mit Crowdinvesting

Funktioniert der Kanal Crowdinvesting? Werden die gesteckten Finanzierungsziele erreicht und lässt sich das gewünschte Neukapital generieren?

In einem Punkt waren und sind sich alle Startups und FinTechs mit durchgeführten Crowdinvesting-Kampagnen einig: Neben der Kapitalbeschaffung geht es auch darum, Kundinnen und Kunden als Aktionäre näher ans eigene Unternehmen zu binden.

Die Finanzierung und damit frisches Kapital für das Unternehmen bleiben aber natürlich mit im Vordergrund. Hier eine Übersicht von Crowdinvesting-Kampagnen der letzten drei Jahre mit den eingespielten Summen.

FinTech Kampagne Finanzierungsziel Eingesammeltes Kapital Investoren
Neon Juni 2021 CHF 1.5 Millionen  CHF 5.0 Millionen 4'962
Inyova April 2022 CHF 3.0 Millionen CHF 7.1 Millionen 2'979
Relai Mai 2022 EUR 1.5 Millionen EUR 2.1 Millionen 850
Neon Oktober 2022 CHF 5.0 Millionen CHF 8.6 Millionen 1'713
ElleXX Mai 2023 CHF 1.0 Millionen CHF 1.4 Millionen 1'379
Selma Juni 2023 EUR 1.0 Millionen EUR 1.3 Millionen 551
Findependent Juli 2024 CHF 2.0 Millionen CHF 5.0 Millionen 1'500

Die Übersicht zeigt: Bauchlandungen waren keine zu verzeichnen. Die Finanzierungsziele sind nicht nur erreicht, sondern von allen Startups und FinTechs übertroffen worden – zum Teil um das Zwei- oder sogar das Dreifache.

Bei den eingespielten Summen geht es nicht um Peanuts, es sind stolze Beträge realisiert worden. Zum Beispiel die Neo-Bank Neon hat in zwei lancierten Kampagnen insgesamt 13.6 Millionen Franken an frischem Kapital eingesammelt. Die Impact-Investing-Plattform Inyova hat sich vor zwei Jahren mit ihrem Crowdinvesting mit 7.1 Millionen Franken finanziert. Die Anlage-App Findependent hatte als Ziel 2 Millionen im Visier und hat 5 Millionen Franken eingesammelt.

Crowdinvesting ist auch in der Schweiz zu einem interessanten Finanzierungskanal geworden, der allerdings auch Verpflichtungen mit sich bringt. Die Investorinnen und Investoren mit zum Teil kleinen Anlagensummen sind keine klassischen Risikokapitalgeber, die Crowd investiert eigenes Geld und damit auch Vertrauen.

Selma hat bereits die zweite Crowdinvesting-Kampagne unterwegs

Eine erste Crowdinvesting-Kampagne im Juni 2023 ist für das FinTech Selma gut gelaufen, wie die Tabelle oben zeigt. Lässt sich der Erfolg wiederholen?

Letzte Woche ist die zweite Crowdinvesting-Kampagne von Selma gestartet – mit dem Ziel, eine runde Million für die weitere Unternehmensentwicklung einzuspielen. Das FinTech setzt in einer ersten Phase auf Kundinnen und Kunden. Registrierte Nutzerinnen und Nutzer können sich ab einer Mindestanlage von 250 Franken am Unternehmen beteiligen.

Bereits 25 Minuten nach Kampagnen-Start war die 500'000-Euro-Marke erreicht. Nach einer Stunde hatte die Kampagne 608'810 Euro eingesammelt. Diese Summe hat sich im Laufe der nächsten Stunden dann nochmals verdoppelt: 24 Stunden nach Start der Kampagne waren knapp 1.3 Millionen Euro zusammengekommen. Für diese Summe stehen 316 Investorinnen und Investoren, die mit ihrer Anlage zu Aktionären von Selma werden.

Die eher hohe Durchschnitts-Investition von rund 4'000 Franken ist ein Hinweis darauf, dass auch Investoren mit grösseren Beträgen mit im Spiel sind. 

Das Interesse an einer Beteiligung scheint weiterhin anzuhalten. Selma hat das ursprüngliche Kampagnenziel erhöht und will nun 1.5 Millionen Euro anpeilen. Kundinnen und Kunden von Selma werden als Neu-Aktionäre unter sich bleiben – eine Öffnung des Crowdinvestings für die breite Öffentlichkeit war vorgesehen, wenn das Investitionsziel von einer Million bis zum 7. Oktober nicht erreicht worden wäre. Diese Grenze ist jedoch bereits nach 24 Stunden überschritten worden.

Ist Crowdinvesting der ultimative Finanzierungskanal für alle Startups?

Zahlreiche Startups und FinTechs haben mit ihren Crowdinvesting-Kampagne gesteckten Ziele und Erwartungen erreicht oder übertroffen. Lässt sich daraus ableiten, dass Crowdinvesting generell für alle Startups der perfekte Finanzierungskanal sein kann?

Crowdinvesting ist nicht für jedes Startup die bedingungslos richtige Finanzierungsschiene. Für junge Unternehmen im Wachstum mit bereits erreichten Meilensteinen kann dieser Kanal aber eine interessante Alternative sein. Vorausgesetzt, die bereits geschaffene Kundenbasis ist gross genug, um aus einer beträchtlichen Zahl überzeugter Kundinnen und Kunden ebenso überzeugte Aktionäre zu machen. Dazu kommen einige weitere Punkte, die Startups im Auge behalten sollten.

Der Aspekt von Fairness und Vertrauen
Damit diese Begeisterung nicht zu Enttäuschungen führt, sollte das Unternehmen in der Lage sein, in absehbarer Zeit Erträge zu erwirtschaften. In Gegensatz zu institutionellen Investoren sind Kundinnen und Kunden in der Regel keine Risikokapitalgeber – sie investieren nicht nur ihr Geld, sie investieren auch Vertrauen. Das eine wie das andere sollte reelle Chancen haben, zurückgespielt zu werden.

Mit zu diesem Punkt gehört, dass ausgewiesene Zahlen und Prognosen zum eigenen Unternehmen in der Kampagne einen Realitätsbezug haben sollten. Traumtänzerische Erwartungen und nicht erfüllbare Prognosen werden zu Enttäuschungen und Frustrationen auf allen Seiten führen.

Administrative, organisatorische und rechtliche Aufwände nehmen zu
Hat ein Unternehmen hunderte oder tausende von neuen Investoren als Aktionärinnen und Aktionäre mit an Bord, erhöhen sich auch die administrativen und organisatorischen Aufwände. Investorinnen und Investoren müssen bei Laune gehalten und laufend informiert werden. Je nachdem, ob "nur" Partizipationsscheine ohne oder Aktien mit Stimmrecht ausgegeben worden sind, spielen auch Generalversammlungen, Stimmrechte und Entscheidungen der Aktionäre eine Rolle.

Institutionelle Investoren und VCs sind meistens keine Freunde von Crowdinvesting
Plant ein Startup in Zukunft Finanzierungsrunden mit institutionellen Investoren, sind ebenfalls einige Fragezeichen angebracht. Venture-Capital-Unternehmen stehen Crowdinvesting oftmals ziemlich skeptisch gebenüber. Ein breites Aktionariat mit vielen Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern kann die Chancen für das Unternehmen minimieren, später bei institutionellen Investoren erfolgreich zu landen.

Für Startups und FinTechs, welche einige zentrale Voraussetzungen erfüllen, kann Crowdinvesting eine interessante Alternative sein, frisches Kapital zu beschaffen. Die Geschichte der Wiederholungstäter zeigt, dass Folgekampagnen sogar noch erfolgreicher sein können im Vergleich zu den Premieren.