Wenn man Kinder fragt, welche Superkraft sie wählen würden, dann kommt Unsichtbarkeit an zweiter Stelle, gleich nach dem Fliegen oder Teleportieren. Fragt man jedoch die Zunft der Banker, dann ist Unsichtbarkeit plötzlich eine grosse Gefahr, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt. Invisible Banking heisst das Schlagwort, welches die Chefetagen der Bankhäuser beschäftigt – oder es zumindest tun sollte. Aber was hat es damit auf sich? Und sind die Ängste begründet?
Grundsätzlich scheint es, dass momentan zwei Phänomene zusammenzukommen, welche in den Medien und an Konferenzen unterschiedlich stark mit dem Schlagwort Invisible Banking in Verbindung gebracht und oft miteinander vermischt werden.
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Die erste Gruppe von Beispielen hört man meist im Zusammenhang mit automatisierten Prozessen:
- Nach einer Fahrt mit Uber die Beträge direkt über die gespeicherte Zahlungsart begleichen, ohne darüber nachzudenken.
- Im Supermarkt die Einkäufe einfach in die Tasche packen, durchs Smartphone oder sogar Gesicht erkannt werden, den Laden verlassen, ohne bewusst zu zahlen.
- Tanken, die Rechnung über Sensoren begleichen und die Fahrt fortsetzen.
- Rechnungen direkt auf dem Konto empfangen und begleichen, ohne sie selbst auslösen zu müssen.
- Automatisch und unbewusst jeden Monat durch Künstliche Intelligenz verschiedene Konten, Investitionen und Kredite ausgleichen und optimieren.
Diese Gruppe fokussiert darauf, den Aufwand für Kunden zu reduzieren, das Leben einfacher zu machen und die Zeit nicht mit nervigen Transaktionen zu verschwenden. Diese Art von Invisible Banking wird bereits in verschiedenen Bereichen genutzt oder getestet. Durch die Automatisierung gehen zwar Kontaktpunkte zum Kunden verloren, trotzdem würden wohl nur wenige Banker dagegen wetten, dass sich der Trend weiter etablieren wird.
Banking in der Lieblings-App
Es gibt aber auch noch eine zweite Gruppe von Beispielen, die man oft im Zusammenhang mit Invisible Banking hört:
- Eine Kundin erhält direkt an der Kasse beim Kauf eines TVs das Angebot für einen Teilzahlungs-Kredit vom Geschäft.
- Ein Uber-Fahrer erhält seinen Lohn direkt nach der Fahrt in der Uber-App gutgeschrieben und kann mit seiner Uber-Karte im nächsten Laden einkaufen.
- Ein Kunde meldet sich bei dem Schweizer FinTech Startup Neon an, eröffnet dadurch aber im Hintergrund ein Konto bei der Hypothekarbank Lenzburg.
In dieser zweiten Gruppe von Beispielen ist die Bank oder der Kreditgeber zwar auch unsichtbar, der Banking-Prozess selbst ist jedoch weiterhin sichtbar. Der Kunde nimmt die Dienstleistung also durchaus wahr, assoziiert sie aber mit einer anderen Marke. Der Kunde sieht Uber statt Green Dot Bank. Oder Neon statt Hypothekarbank Lenzburg. Banking ist bei diesen Beispielen also nicht ganz unsichtbar, sondern eher getarnt oder verkleidet. Disguised Banking wäre ein neues Schlagwort in den Medien und an Konferenzen. Glücklicherweise ist es nicht nötig, dies neu zu prägen, da es bereits einen sehr verbreiteten Namen für dieses Phänomen gibt: Banking-as-a-Service (BaaS).
BaaS ermöglicht praktisch jedem Unternehmen ganz ohne Banklizenz Konten, Kredite, Karten und andere FINMA-regulierte Dienstleistungen auf der eigenen Plattform anzubieten – solange eine regulierte Bank im Hintergrund steht. Es ist also vergleichbar mit klassischem White Labeling oder Eigenmarken, die es schon lange erschweren, genau zu wissen, wer den Migros-Joghurt oder Interdiscount-Toaster produziert.
Auch in der Finanzbranche gibt es schon ältere erfolgreiche White Label-Beispiele, wie zum Beispiel die von Swisscard herausgegebene Swiss Miles & More Kreditkarte. Dies sind jedoch in erster Linie Vertriebspartnerschaften, die das Produkt zwar durch die Kanäle des Partners und mit dessen Marke anbieten, aber keine tiefere technische Anbindung voraussetzen. Die neueren Beispiele hingegen setzen vermehrt auf sogenannte APIs (Application Programming Interfaces) und können dadurch die Dienstleistung direkt in die Plattform oder App des Partners integrieren.
Ist die Kundenschnittstelle heilig?
Und genau diese Art von Invisible Banking macht nun vielen Bankern Angst. Regelmässig hört man Stimmen, die argumentieren, dass BaaS die Banken austauschbar mache und sie nicht mehr dort mitspielen könnten, wo die eigentliche Wertschöpfung passiert: direkt beim Kunden. Oft heisst es, die Kundenschnittstelle müsse für Banken heilig sein und unbedingt verteidigt werden.
In diesen Diskussionen geht der Kundenfokus verloren. Es stimmt zwar, dass beim BaaS die primäre Kundenschnittstelle beim Partner liegt. Aber warum muss die Bank im Vordergrund stehen, wenn die App eines FinTechs viel attraktiver ist? Warum soll der Uber-Fahrer seinen Lohn erst auf ein Konto bei seiner Hausbank überweisen lassen und mehrere Tage warten, wenn dies auch einfacher und schneller geht?
Einige Banken haben dies bereits verstanden. Beispiele wie Solaris Bank, Wirecard, Starling und Railsbank zeigen, wie man mit einem ganz auf BaaS fokussierten Geschäftsmodell erfolgreich wachsen kann. Aber auch Grossbanken wie BBVA und JP Morgan zeigen sich offen, BaaS neben ihrem Kerngeschäft als neuen Kanal zu nutzen. Javier Rodriguez Soler, Chief Executive von BBVA USA, argumentiert in einem Interview sogar, solange die Kundin einen guten Kredit bekomme und BBVA ihr dabei helfen könne, sei es ihm egal, ob die Kundin das Gefühl habe, der Kredit käme von Target (einem amerikanischen Retailer).
Ein weiteres Beispiel hat Benny Boye Johansen, Head of OpenAPI bei der dänischen Saxo Bank zur Hand. Die Bank selbst bietet eine umfassende Handelsplattform für Kunden. Gleichzeitig sind gewisse Funktionen derselben Plattform auch in die App des ebenfalls dänischen FinTech Startups Lunar integriert und dort für die Endkunden einiges günstiger. Man könnte also von Konkurrenz oder Kannibalismus für das Kerngeschäft sprechen. Aber Johansen ist der Überzeugung, dass die sehr einfache Nutzeroberfläche bei Lunar eine komplett andere Kundengruppe anspricht, die Saxo Bank nie oder nur mit sehr viel Aufwand selbst erreicht hätte. Die bereits kleinere Marge nun auch noch mit Lunar zu teilen, sieht er nicht als Nachteil. Es sei einfach ein neuer Kundenstamm und damit zusätzliches Einkommen. Ähnliches würde Johansen sicher auch über die beiden Schweizer FinTechs Yova und Selma sagen, die ebenfalls BaaS-Dienstleistungen der Saxo Bank nutzen.
Werden Banken durch BaaS austauschbar?
Die Frage steht im Raum, müssen Banken nun also befürchten, durch BaaS austauschbar zu werden? Zum einen sollte man dazu wahrscheinlich infrage stellen, wie "unaustauschbar" die Angebote der Banken heute sind. Wie viele Retail-Banken schaffen es wirklich, ihre Produkte trotz erheblichem Marketingaufwand positiv zu differenzieren? BaaS könnte hier realistisch gesehen eine Verbesserung darstellen. Innovative Startups oder digitale Plattformen sind oft kundenzentrierter und erfolgreicher darin, die Endkunden emotional zu binden, als die Banken selbst. Zum anderen stellt die Beziehung zu den B2B-Partnern eine langfristige strategische Bindung dar. Die Implementierungskosten für eine Partnerschaft setzen eine gewisse Verbindlichkeit voraus und ähnlich wie bei Kernbankensystemen oder ERP-Systemen ist es auch bei BaaS-Integrationen nicht trivial, den Anbieter im Nachhinein zu wechseln.
BaaS hat also Vorteile für alle Seiten:
- Für den Endkunden wird durch die nahtlose Integration von Bankdienstleistungen in andere Plattformen der Prozess vereinfacht und die Erfahrung verbessert.
- Für die Bank eröffnen sich durch das B2B-Modell neue Partnerschaften und Vertriebskanäle. Man trifft die Endkunden nun einfach direkt dort, wo sie schon sind – eventuell sogar, ohne dass sie es merken.
- Für FinTechs und andere Plattformen wird es möglich, dem bestehenden Kundenstamm zusätzliche Dienstleistungen anzubieten, welche ohne Banklizenz nicht möglich wären, und dadurch die Loyalität und den Kundenwert zu erhöhen.
Unsichtbarkeit als neues Geschäftsmodell
Nun stellt sich die Frage, ob sich alle Banken auf BaaS als neues Geschäftsmodell stürzen sollten. Erste Pilotprojekte in dieser Richtung laufen zum Beispiel momentan bei der Bank Cler, die mit Zak vor zwei Jahren zuerst eine interne Lösung entwickelte und ihre Plattform und Erfahrungen nun für externe Partnerschaften öffnen möchte.
Eine allgemeine Antwort auf die Frage ist jedoch nicht einfach und es gibt mehrere Punkte zu beachten. Zum einen ist die Nachfrage derzeit noch begrenzt, da viele potenzielle B2B-Partner erst zu verstehen beginnen, welche Möglichkeiten ihnen integrierte Finanzdienstleistungen bringen können. Zum anderen muss die Bank schauen, wie dieses neue Geschäftsmodell in ihre Gesamtstrategie passt.
Zudem ist die Einführung eines seriösen BaaS-Angebots in einer streng regulierten Branche nicht zu unterschätzen. Zusätzlich zur technischen Integration erfordert White Labeling im Banking auch komplexe regulatorische Abklärungen. Es braucht gesicherte Ressourcen, um die passende Plattform und das Know-how aufzubauen sowie die gesamte Organisation auf ein B2B- beziehungsweise “as-a-Service”-Geschäftsmodell auszurichten.
Lässt sich eine Bank jedoch auf Banking-as-a-Service ein, dann kann sie dadurch spannende Partnerschaften eingehen, neue Kundengruppen erschliessen, zusätzliche Einkommenszweige generieren, von frischen Datenquellen lernen, sich als digitaler Vorreiter etablieren und sich damit für die Zukunft wappnen.
Unsichtbarkeit wird so auch für Banker wieder zu der Superkraft, die Kinder bereits zu schätzen wissen.