Was die Zürcher Kantonalbank tut, um am Ball zu bleiben, erklärt Daniel Previdoli, Mitglied der Generaldirektion und Head Products, Services & Directbanking bei der Zürcher Kantonalbank.
Interview: Marc Landis | Redaktion: Colin Wallace
Sie leiten seit Oktober 2014 die Geschäftseinheit Products, Services & Directbanking bei der Zürcher Kantonalbank. Welche digitalen Trends und Innovationen bewegten die Bank seither besonders?
Daniel Previdoli: Wir sprechen bei der Zürcher Kantonalbank ganz bewusst nicht von digitalen Trends. Wir verstehen Digitalisierung als integralen Bestandteil der laufenden Transformation unseres Geschäfts. Auf Konzernstufe haben wir bezüglich Digitalisierung vier Grundsätze definiert:
Erstens muss alles, was wir umsetzen, einen konkreten Kundennutzen erzielen. Der Trend geht klar in Richtung Selbstbedienung und -beratung – und zwar zu jeder Zeit, an jedem Ort und unabhängig vom Kanal. Kunden entscheiden selbst, wie sie mit uns als Bank interagieren. Zweitens sind alle digitalen Lösungen, die wir unseren Kundinnen und Kunden zur Verfügung stellen, vollständig in unsere Systeme integriert. Das ist eine grosse Herausforderung und viele Banken unterschätzen das. Drittens sind alle Lösungen miteinander vernetzt. Nur so kann beispielsweise ein Prozess in einem Kundengespräch gestartet werden und der Kunde kann ihn im Mobile Banking abschliessen. Und viertens müssen unsere Prozesse skalierbar, medienbruchsfrei und so weit wie möglich automatisiert sein.
Eine vollständige Integration der Lösungen bedeutet auch, dass die Systeme im Hintergrund auf dem neusten Stand sein müssen ...
Genau. Wie immer die Welt von morgen aussehen wird. Eine wichtige Voraussetzung ist, historisch gewachsene Systeme und Systembrüche zu beseitigen sowie eine sehr hohe Datenqualität sicherzustellen. Die Zürcher Kantonalbank besteht seit 150 Jahren, es gibt also eine riesige Menge an Daten, die klar strukturiert, aufbereitet und bewirtschaftet sein muss.
Inwiefern positioniert sich die Zürcher Kantonalbank als Game Changer puncto Innovation in der Schweizer Finanzbranche?
Bevor man das «Game changen» kann, muss man erst im Game mit dabei sein, die Spielregeln kennen und wissen, wo der «Ball» ist. Wir investieren in die kulturelle Weiterentwicklung unserer Bank. Will man als Unternehmen innovativ und agil sein, müssen die Mitarbeitenden, die Arbeitsformen und die Projektmethoden in diesem Unternehmen innovativ und agil sein. Ausserdem ist Innovation kein Zufallsprodukt, sondern braucht Systematik und Struktur. Im Rahmen unseres Innovationsprozesses unterscheiden wir drei Phasen:
Innerhalb der ersten Phase, der «Exploration», verfolgen wir derzeit weltweit 74 technologische, soziokulturelle, ökonomische, ökologische und politische Trends. Wir erkennen dadurch, in welchen Bereichen Handlungsbedarf oder Entwicklungschancen bestehen. Selbstverständlich werden in dieser Phase auch Erkenntnisse aus Client Insights oder internen Innovationsaktivitäten, wie Hackathon oder unserem Intrapreneurship-Programm, mit aufgenommen. Zentral sind für uns ebenfalls die zahlreichen Partnerschaften, die wir sowohl mit etablierten Playern wie auch mit Fintechs eingehen. Auch die Zusammenarbeit mit Innovationsförderern wie Bluelion oder F10 spielen hier eine wichtige Rolle. Dadurch erhalten wir Inspirationen von aussen und von anderen Branchen.
Bevor man das «Game changen» kann, muss man erst im Game mit dabei sein, die Spielregeln kennen und wissen, wo der «Ball» ist
Wie nutzen Sie die Partnerschaften im Innovationsprozess?
Wir arbeiten mit unterschiedlichen Partnern für unterschiedliche Zwecke zusammen. Dabei verfolgen wir einen Open-Innovation-Ansatz und suchen nebst strategischen Partnerschaften etwa mit Swisscom auch Partnerschaften mit Fintech-Start-ups. Beispiele dafür sind Contovista,DSwiss, PXL Vision oder Starmind.
Was viele nicht wissen, die Zürcher Kantonalbank ist einer der grössten Start-up-Investoren der Schweiz. In den letzten Jahren haben wir direkt in mehr als 200 Jungunternehmen investiert. Von dieser Nähe zu neuen und kreativen Unternehmen profitieren wir. In der zweiten Phase, der «Inkubation», überprüfen wir die Ideen im Hinblick auf Geschäftsmodell, Wirtschaftlichkeit und Kundenakzeptanz. Dazu werden Prototypen erstellt und zusammen mit Kunden Benutzertests durchgeführt, bevor in der Phase der «Realisation» über die definitive Einführung entschieden wird.
Dass wir hinsichtlich Innovation weit vorne mitspielen, zeigt sich auch in Projekten, die wir bereits umgesetzt haben. Das erste Immobilienportal der Schweiz, Homegate, wurde als hundertprozentige Tochtergesellschaft der Zürcher Kantonalbank gegründet, und daraus entstand auch eine der ersten Online-Hypotheken. Im Bereich Digital Payment haben wir die Zeichen der Zeit erkannt und vor einigen Jahren zusammen mit der UBS und SIX «Paymit» aufgebaut, die Grundlage der heutigen mobilen Bezahllösung TWINT. Lassen Sie mich noch drei aktuellere Beispiele anfügen:
Bei der Entwicklung der SwissID haben wir eine entscheidende Rolle gespielt und damit einen Beitrag zu einer digitalen Infrastruktur in der Schweiz geleistet. Als erster Fondsanbieter der Schweiz setzen wir seit Anfang März dieses Jahres das Pariser Klimaabkommen mit dem 2-Grad-Ziel um. Und zusammen mit der Deutschen Börse, Swisscom und weiteren Partnern haben wir im Rahmen einer Machbarkeitsstudie Wertpapiergeschäfte mit tokenisierten Aktien mittels Distributed-Ledger-Technologie (DLT) erfolgreich abgewickelt. Solche Machbarkeitsstudien sind wichtig, um die Potenziale und Risiken – sowohl mit Fokus auf neue Services und Produkte wie auch mit Blick auf mögliche Effizienzsteigerungen – zu erkennen.
Die Zürcher Kantonalbank hat im März eine digitale Vorsorgelösung lanciert. Was hat es damit genau auf sich?
Die Säule 3a App, frankly, verbindet Bewährtes mit Neuem. Auf der einen Seite haben wir die Zürcher Kantonalbank, die höchstes Vertrauen geniesst, gepaart mit den seit Jahren erfolgreichsten Vorsorgeprodukten von Swisscanto Invest. Auf der anderen Seite stehen unsere Innovationskraft und unsere Digitalisierungskompetenz. Erst diese Verbindung ermöglicht die Umsetzung eines solchen rein digitalen Produktes. Beispielsweise ist der vollständig digitale Onboarding-Prozess innerhalb weniger Minuten abgeschlossen. Und das Pauschal-Preis-Modell – Kunden zahlen einen Preis, egal, wie oft sie das Produkt wechseln, egal, wie klein die Investitionen sind – ist einzigartig. Der Start von frankly ist gelungen: Nur sieben Wochen nach der Lancierung haben wir die 100-Millionen-Grenze erreicht.
Die Rolle der Bank sollte sich konsequent am Mehrwert für den Kunden orientieren
Wie sehen Sie die Zukunft des Banking?
Die Rolle der Bank sollte sich konsequent am Mehrwert für den Kunden orientieren. Banken werden sich künftig immer weniger über ihre Produkte, sondern über ihre Dienstleistungen differenzieren. Diese werden noch modularisierter und damit besser auf die Bedürfnisse und Lebensereignisse der Kundinnen und Kunden zugeschnitten sein. Hier bietet die Digitalisierung viele Chancen, um eine ganzheitliche, individualisierte Beratung und Betreuung zu bieten – von der Geburt eines Kindes über den Hauskauf bis hin zur Pensionierung. Dasselbe Ziel verfolgen wir auch im Firmenkundengeschäft:
Wir wollen unsere Kunden in sämtlichen Unternehmensphasen begleiten und beraten – von der Gründung über die Wachstumsphase bis hin zur Nachfolgeregelung. Auch hier rückt das einzelne Produkt zusehends in den Hintergrund – gefragt sind umfassende und gleichzeitig massgeschneiderte Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen rund um die gesamte Unternehmensführung. Um als Bank erfolgreich zu bleiben, werden aber auch optimierte, effiziente Backend-Lösungen und die Fähigkeit, Partner in die Dienstleistungserstellung mit einzubinden, entscheidend sein.
Die Zürcher Kantonalbank feiert in diesem Jahr ihr 150-Jahr-Jubiläum. Seit sie 1870 ihren ersten Schalter eröffnete, versteht sich die Zürcher Kantonalbank als Bank der Zürcherinnen und Zürcher. Wie stellen Sie trotz Mobile Banking, Online-Portalen und Social Media eine digitale Nähe sicher?
Nähe hat nichts damit zu tun, ob die Begegnung mit der Bank persönlich oder digital stattfindet. Es geht darum, Menschen und Unternehmungen zu verstehen und sie partnerschaftlich, langfristig und nachhaltig zu begleiten. Dank den digitalen Kanälen sind wir stärker in den Alltag unserer Kunden eingebunden. So können wir individualisiert und zum passenden Zeitpunkt Mehrwert generieren. Bei Nähe geht es immer um Vertrauen. Wir schaffen ein vertrauensvolles Umfeld, welches das Beste aus beiden Welten vereint: einen verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten und verlässliche persönliche Kontakte – ob am Telefon, via Chat oder in der Filiale.
Wie sehen Sie die Auswirkungen der Corona-Pandemie für die Innovationsbemühungen der Banken?
Wir halten grundsätzlich an unserer Roadmap fest, können aber durch unsere agile und flexible Arbeitsweise Anpassungen vornehmen, falls Kundenbedürfnisse dies erfordern. Die jüngste Pandemie hat bestimmt gewisse Verhaltensänderungen bei Kunden und Mitarbeitenden bewirkt. Viele haben zum ersten Mal online etwas bestellt und möchten diese neu entdeckte Convenience, auch im Austausch mit ihrer Bank, nicht mehr missen. Die rückläufigen Bargeldtransaktionen oder neue Formen der Kollaboration und das Arbeiten im Homeoffice werden mit Sicherheit zu Veränderungen in der Arbeitswelt führen.