Die Inflation ist da – nur wird sie nicht gemessen. Sie findet am Aktien- und Immobilienmarkt statt. Für Investoren kommen schwierige Jahre...
...eine breit abgestützte MSCI-Strategie wird wenig Freude bereiten. Zum Erfolg führt eine differenzierte, auf Innovation gestützte Nischenstrategie.
Autor: Dr. Tobias Reichmuth, Unternehmer und Investor
Das Rezept zur Behebung einer wirtschaftlichen Krise heisst seit jeher «Ausdehnung der Geldmenge». Die Null-Zins-Politik ist im Arsenal eines jeden Regulators und lässt sich schon bei den Venetiern vor Hunderten Jahren finden.
Nach der Finanzkrise 2008/09 konnte die finanztechnische Zwangsbeatmung als Erfolg gewertet werden: die Märkte stabilisierten sich, Jobwachstum fand statt und – für viele eine Überraschung – der Inflationsanstieg blieb aus. Letzteres aber ist erstaunlich: Wo mehr Geld, da höhere Preise. Auch in der geldüberschwemmten Post-Corona-Welt der 2020er bleibt die befürchtete Inflation bisher aus. Wie kommt es?
Kurz gesagt: Die Inflation bleibt nicht aus. Sie wird nicht gemessen. Ein globaler Anstieg der Aktien- und Immobilienpreise fand und findet statt – nur wird dies in einer Inflationsberechnung, die über einen definierten Warenkorb stattfindet, nicht berücksichtigt. Die gesteigerte Produktivität und hohe Verfügbarkeit der Konsumgüter halten die Preise tief, und da gleichzeitig der Ölpreis aufgrund erhöhter Fördermengen, aber auch dank neuer Energieträger und effizienterer Motoren, stagniert, wird keine Inflation erreicht.
Sinn macht eine innovationsgewichtete Anlagestrategie
Da Geld investiert werden muss, Zinsen aus Staatsanleihen aber nicht attraktiv sind, fliesst viel Geld in Aktien- und Immobilienmärkte. Je mehr Geld in Immobilien fliesst, desto höher die Preise pro Quadratmeter Wohnfläche und desto tiefer die Renditen für den Investor, da die Mieten aufgrund vieler Neubauten im Vergleich zum höheren Quadratmeterpreis stabil bleiben.
Auf den Aktienmärkten können die Unternehmen mit ihren Erträgen den steigenden Aktienpreisen nicht gerecht werden – was bedeutet, dass die Renditen der Aktien im Vergleich zum Preis abnehmen (erhöhte «Price-Earning-Ratio»).
Das Problem der nächsten Quartale und Jahre wird es sein, dass viele Unternehmen, deren Bewertung wieder steil ansteigen, unter der Krise leiden: Die Menschen haben Zukunftsängste und konsumieren zurückhaltend, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, es wird zu Konkursen kommen. Es ist eine Frage der Zeit, bis die nächste Aktienpreiskorrektur ansteht.
In was kann investiert werden?
Eine Krise beschleunigt Innovationen. Innovationen ermöglichen neue Geschäftsmodelle und lösen alte ab. Die Innovationen, mit denen wir in den nächsten zehn Jahren konfrontiert werden, haben exponentiellen Charakter. Um mit diesen extrem schnellen Veränderungen mithalten zu können, muss in die Innovationsführer eines jeden Sektors investiert werden. Nur hier werden die Erträge mit den Preisentwicklungen der Aktien Schritt halten können. Was heisst das konkret?
Aktien
Aktien versprechen in den nächsten Quartalen eine Berg- und Talfahrt. Anleger müssen Titel wählen, die als Innovatoren Wert schaffen. Sinn machte eine innovationsgewichtete Anlagestrategie. Dabei werden diejenigen Titel ausgewählt, die einen grossen Anteil ihres Umsatzes mit innovativen Technologien wie etwa Robotik, Gentechnik, Bio-Informatik, Big Data, Künstliche Intelligenz etc. erwirtschaften. Solche Titel werden nach dem Anteil ihres Innovationsumsatzes am Gesamtumsatz gewichtet. Dies erlaubt es, überproportional in Unternehmen zu investieren, die von einer schnellen technologischen Entwicklung profitieren.
Immobilien
Bei Geschäftsliegenschaften – auch an A-Lagen – drohen Leerstände. Neue Geschäftsmodelle (z. B. Hauslieferdienste, Onlineshopping etc.) machen Läden obsolet. Luxusimmobilien und Büroimmobilien – letztere aufgrund der neuen Akzeptanz des dezentralen Arbeitens – werden einen schwierigen Stand haben. Günstige, auf Energieeffizienz ausgerichtete und gut erschlossene Kleinwohnungen mit geteilten Küchen und Aufenthaltsräumen werden eine erhöhte Nachfrage erfahren.
Infrastruktur
Infrastruktur wird in den kommenden Jahrzehnten von einem grossen Thema geprägt sein: Klimawandel. Was in den vergangenen 20 Jahren mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien begonnen hat, geht nun über in ganzheitliche Energie- und Verkehrskonzepte. Der vorsichtige Investor wird Infrastruktur, die auf fossilen Energieträgern oder alten Gewohnheiten beruht (z. B. Öl- und Gaspipelines, aber auch Flughäfen und Schwimmbäder) veräussern und sich auf die Produktion, Speicherung und Verteilung erneuerbarer Energien oder den Ausbau des elektrischen Verkehrs fokussieren.
Private Equity
Hier gilt es, vermeintlich günstige Übernahmemöglichkeiten zu ignorieren: Selbstverständlich kann etwa eine Flughafenbetreibergesellschaft zu historisch günstigen Preisen übernommen werden, nur wird sich das Fluggeschäft nicht schnell erholen und durch neue Technologien wie Videokonferenzen und später virtuelle Realität bedrängt werden. Interessant sind Anlagen in Private Equity Fonds, die auf Innovation ausgerichtet sind, sofern keine tägliche Liquidität benötigt wird.
Start-ups
Dem Thema «Start-ups» ist grundsätzlich ein hohes Investitionsrisiko beizumessen. Hier bestehen aber sehr interessante Investitionsmöglichkeiten, da gerade junge Unternehmen am schnellsten aus einer Krise herausfinden und auf neue Gegebenheiten unter Einsatz aktueller Technologie reagieren können. So finden eine Vielzahl neuer Online-Hauslieferungsplattform oder digitaler Versicherungsbroker ohne physische Interaktion gerade reissenden Absatz. Gleichwohl gilt: Das Team des jungen Unternehmens ist wichtiger als die Idee dahinter. Eine hohe Diversifikation über einen auf Start-ups ausgerichteten Fonds ist angezeigt.
Neue Beteiligungsmodelle
Wie eingangs erwähnt, fliesst (zu) viel Geld in börsenkotierte Unternehmen. Der Markt der kleinen und mittleren Unternehmen, die nicht am Kapitalmarkt teilnehmen, wird jedoch tendenziell vernachlässigt. Durch «Tokenisierung» wird es in den nächsten Jahren möglich werden, sich in täglich liquider Form auch an kleinen Unternehmen beteiligen zu können – auch mit kleinen Beträgen. Tokenisierung, eine Blockchain-basierte Technologie, wird für Private Equity Fonds zu einer ernsten Konkurrenz werden.
Gold und Bitcoin
Weder Gold noch Bitcoin sind als produktive Investments anzusehen. Beide gelten als Wertaufbewahrungsmittel. Während Gold zwar knapp ist, trotzdem aber einen steten Zufluss erfährt, ist Bitcoin auf 21 Millionen Einheiten begrenzt und somit inflationsresistent. Wer aufgrund der hohen Tagesschwankungen der Kryptowährungkeine schlaflosen Nächte hat, kann einen kleinen Teil seiner Mittel in Bitcoin investieren – analog zum bewährten Kassenschlager Gold.
Auch in Post-Corona-Zeiten gibt es attraktive Investitionsmöglichkeiten. Klassische Aktienstrategien nehmen aber im Risiko zu und Staatsanleihen sind nicht attraktiv. Bargeldhaltung mag kurzfristig interessant sein – mittelfristig und frei nach Ray Dalio ist Bargeld aber meist die schlechteste Investition. Der vorsichtige Investor muss sich ständig fragen, ob er die aktuellen Innovationsentwicklungen versteht und ob sein Portfolio von diesen Innovationen profitieren wird. Nur dann kann er langfristig auch in turbulenten Zeiten gute Renditen erwirtschaften.
Persönlich
Dr. Tobias Reichmuth (41) ist Unternehmer und Investor. Ausser der Fondsgesellschaft SUSI Partners, die in Infrastruktur gegen den Klimawandel investiert und derzeit rund 1,6 Milliarden Franken verwaltet, hat er die Crypto Finance Group, die institutionelle Anleger in Blockchain- und Cryptothemen begleitet, und The Singularity Group, einen auf Innovationstitel spezialisierten Aktienfondsmanager, mitgegründet. Als Start-up-Investor nimmt er als «Löwe» beim TV-Format «Höhle der Löwen» teil.