Der 1. Juni 2024 wird für die Neo-Bank N26 in die Unternehmensgeschichte eingehen. Ab Juni ist das Berliner FinTech wieder eine richtige Neo-Bank ohne Fesseln, sie darf wachsen und unbeschränkt Neukunden an Bord nehmen. Unbeschränkt heisst: erlaubt ist, was der Markt für N26 hergibt und nicht, was die BaFin vorschreibt.
Zweieinhalb Jahre lang war N26 durch die von der BaFin auferlegte Wachstumsbeschränkung limitiert, um nicht zu sagen: gefesselt und geknebelt. Höchstens 50'000 Neukunden durfte die Neo-Bank monatlich an Bord holen – nach einer minimalen Lockerung seit Ende 2023 dann 60'000.
Das ist sehr viel weniger als machbar gewesen wäre und für eine europaweit operierende Neo-Bank mit starken Konkurrenten existenzbedrohend. Zum Vergleich: Erzrivale Revolut generiert nach eigenen Angaben bis zu 1 Million Neukunden pro Monat.
N26 zieht Lehren aus dem Desaster
Wie die Neo-Bank mitteilt, folgt die Aufhebung der Wachstumsbeschränkung nach einer Phase von intensivem und engem Austausch zwischen N26 und der Finanzdienstleistungsaufsicht – im Fokus: Bekämpfung von Finanzkriminalität und Geldwäsche. Diese engen Bande mit der BaFin sollen auch nach dem Wegfall der Wachstumsbeschränkung Bestand haben. Darüber hinaus, so N26, wird der Austausch mit dem Sonderbeauftragten bis Ende 2024 fortgesetzt.
In den letzten zwei Jahren hat N26 nach eigenen Angaben über 100 Millionen Euro in Compliance sowie in die Infrastruktur und in Teams zur wirksameren Bekämpfung von Finanzkriminalität und Geldwäsche investiert. Heute sieht sich das Unternehmen gut vorbereitet, um eine höhere Zahl neuer Kundinnen und Kunden aufzunehmen. Die Systeme, die dies künftig ermöglichen sollen, beinhalten unter anderem zukunftsweisende Modelle im Bereich Künstlicher Intelligenz. Diese analysieren das Betrugspotenzial einzelner Kundinnen und Kunden bereits, bevor diese überhaupt ein Konto bei N26 eröffnen. Zudem schützen selbstlernende Systeme zur Transaktionsüberwachung die Kunden des Unternehmens, indem sie verdächtige Aktivitäten in Echtzeit erkennen.
Durch die Jahre der verordenten Nähe zur BaFin und durch die getätigten Investionen und ergriffenen Massnahmen ist N26 heute nach eigener Einschätzung sogar in der Lage, künftig eine führende Rolle im Kampf gegen Finanzkriminalität und Geldwäsche einzunehmen.
Die verlorenen Jahre
Ob und wie N26 die verlorenen Jahre wieder aufholen kann, wird sich zeigen. Die Neo-Bank ist insofern optimistisch, als sie ihre Erwartung kommuniziert hat, bereits im zweiten Halbjahr 2024 profitabel zu werden. Sollte das gelingen, wäre das von aussen betrachtet so überraschend wie erfreulich.
N26 untermauert die optimistische Betrachtung durch die Beobachtung einer aktuell wachsenden Nachfrage nach den N26-Services sowie durch die im ersten Halbjahr eingeführten neuen Produkte. Die Neo-Bank sieht in den neuen Tagesgeldkonten mit bis zu 4 Prozent Zinsen, der kostenlosen Depotführung sowie Gemeinschaftskonten Magnetwirkung für Kundinnen und Kunden europaweit, die heute alle Aspekte ihres Finanzlebens direkt in der N26 App abbilden könnten.
Die Neo-Bank hat ihre globalen Wachstums-Ambitionen bereits vor einiger Zeit zurückgeschraubt und sich aus den Märkten Grossbritannien, USA und Brasilien zurückgezogen. N26 will sich auf seine Kernmärkte in Europa konzentrieren. Das FinTech bedient heute Kundinnen und Kunden in 24 europäischen Ländern. Zu den Hauptmärkten gehören der Heimatmarkt Deutschland sowie Frankreich. In diesen beiden Ländern sollen rund 75 Prozent der N26-Kunden zu Hause sein, wie unsere Kollegen von Finance FWD kürzlich vorgerechnet haben.
Treffen diese Berechnungen ins Schwarze, könnte irgendwann auch auf der Europa-Landkarte eine Bereinigung stattfinden. Verteilt sich nur gerade ein Viertel der Kunden auf 22 Länder, dürfte es auf Dauer zu kostspielig sein, Märkte mit geringen Kundenzahlen mit einem Vollprogramm zu bespielen.
Wachstumschancen in den Kernmärkten
N26 dürfte sich auf die grossen und bevölkerungsstarken Märkte konzentrieren. In Europa sind das vor allem die Länder Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien. In den letzten zweieinhalb Jahren ist N26 im Vergleich zum aggressiven Challenger-Konkurrenten Revolut teilweise ins Hintertreffen geraten. Einen Vorteil kann die Neo-Bank N26 in ihren Kernmärkten allerdings ausspielen, den Revolut noch nicht hat: die jeweils länderspezifische IBAN für die vier Märkte Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien. Dadurch sind Privat- und Geschäftskonten auch bei alltäglichen Zahlungen universeller einsetzbar.
Darüber hinaus werden sich N26 und Revolut nichts schuldig bleiben. Revolut hat die Jahre mit dem faktisch absenten Konkurrenten N26 genutzt und massiv neue Kundinnen und Kunden gewonnen. Zudem hat die Challenger-Bank aktuell die Marketingantrengungen in diesen Märkten intensiviert.
Mit der Aufhebung der Wachstumsbeschränkung kommt N26 nun wieder auf Augenhöhe. Der Kampf mit dem stumpfen Kurzschwert ist vorbei, N26 darf wieder mit dem Zweihänder operieren.