Die Abstimmung vom 7. März 2021 hat gezeigt, dass es keine Akzeptanz gibt für eine E-ID, bei der alle Daten bei privaten Unternehmen anfallen. Nur, ist es besser, wenn dieselben Daten an den Staat gehen? Bei einer klassischen Identitätskarte weiss die herausgebende Stelle in der Regel nicht, wann, wo, mit wem und zu welchem Zweck die Karte verwendet wurde. Bei einer digitalen Identität ist das anders. Das war sicherlich auch ein Grund, warum dieser E-ID-Entwurf beim Volk durchgefallen ist.
In den Kommentaren hiess es oft, das Ergebnis wäre anders ausgefallen, wenn dieselbe E-ID hoheitlich durch den Staat herausgegeben würde. Nochmals gefragt: Wäre die Situation zwingend besser, wenn dieselben Daten beim Staat anfallen? Der Fichen-Skandal liegt ja nun einige Jahre zurück, wäre aber ein Kindergeburtstag gegen das, was uns in diesem Fall blühen könnte. Die Erfahrung zeigt: Liegen Daten erst einmal vor, werden auch Gründe gefunden, diese zu nutzen.
Die Selbst-Souveräne Identität
Es geht daher nicht nur darum, wer die E-ID bereitstellt, sondern wie sie bereitgestellt wird. Neben Sicherheit muss auch Datensparsamkeit eines der leitenden Prinzipien sein – und die anfallenden Daten müssen so weit als möglich beim "Subjekt" der E-ID, also den Bürgerinnen und Bürgern, verbleiben. Das Zauberwort hierfür heisst "Selbst-Souveräne Identität (SSI)".
Dieser Ansatz entwickelt sich mittlerweile schnell und bietet enorme Vorteile. So ist die Lösung quelloffen und transparent und belässt die Daten bei der Person, zu der sie gehören. Die notwendige Infrastruktur kann durch verschiedene Parteien betrieben werden – in der Fachsprache heisst dies "Föderation" – welche jedoch keinen Einblick in die Daten selbst nehmen können. Betrieben werden kann diese Infrastruktur durch Gemeinden, den Bund, Genossenschaften oder auf Datensicherheit spezialisierte Unternehmen. Im Zweifelsfall auch durch alle gleichzeitig.
Auch die hoheitlichen Funktionen der Staaten bleiben in diesem System gewahrt. Der Staat sichert Existenz und Wahrhaftigkeit der Identitäten ab und gibt quasi "digitale Identitätskarten" heraus. Nur dass diese Karten in den Händen der Bürgerinnen und Bürger verbleiben würden, welche selber entscheiden, wem sie wie viel der Informationen zu welchem Zweck offenlegen wollen – ohne dass zwingend die herausgebende Stelle davon erfährt.
Grundsätzlich könnten diese "digitalen Identitätskarten" auch direkt durch die Gemeinden ausgestellt werden. Sofern das System sich an den sich entwickelnden internationalen Standards ausrichtet, wäre das Ergebnis eine wahrhaft schweizerische digitale Identität: frei, sicher, selbstbestimmt, lokal organisiert und international geschäftsfähig. Wir alle wären auch digital ebenso souverän, wie wir es die letzten Jahrhunderte im vor-digitalen Zeitalter waren.
Nur eine "Selbst-Souveräne Identität" wird der Schweiz und ihren Prinzipien gerecht. Dank der Abstimmung vom 7. März haben wir nun die einzigartige Gelegenheit, die Schweiz zu einem der ersten Länder zu machen, welches dieses Prinzip umsetzt und damit den ersten Schritt macht – auch zur "Entknüpfung" des Wirrwarrs an nationalen Lösungen für digitale Identitäten weltweit. Das verschafft unserem Land die Chance, den Schritt vom Nachzügler zum Vorreiter zu machen.
Das Know-how und die Kompetenzen sind vorhanden
Die lokalen Kompetenzen dafür wären durchaus vorhanden, sofern man sie denn nutzt. Mein eigenes Unternehmen, Vereign, arbeitet bereits seit 2017 am Thema SSI und hat nach Jahren der Forschung und Entwicklung eine Lösung in den Startlöchern. Im Moment liegt der Schwerpunkt auf verifizierbaren Emails, deren Authentizität von Ende zu Ende abgesichert ist. Aber mit den richtigen Partnern könnte die Schweiz schon 2024 über eine flächendeckende "Selbst-Souveräne Identität" verfügen, die allen obigen Ansprüchen gerecht wird.
Für die Zukunft der Schweiz kann gerade das noch sehr wichtig werden. Im Moment noch mehr Vorhersage als Realität – die radikale Änderung der Finanzwelt steckt noch in den Kinderschuhen. Angetrieben von Blockchain, Dezentralisierung und offenen Schnittstellen, wird sich der Prozess weiter beschleunigen und tiefer gehen, als die meisten Menschen realisieren. Das zentrale Kernstück für alle diese Entwicklungen ist dezentrale Identität.
Viele der bestehenden E-ID Systeme in anderen Ländern sind eher traditionell, oft inkompatibel, und für diese Welt nur mässig vorbereitet. Und wie wir aus Erfahrung wissen, ist nichts dauerhafter als eine temporäre Lösung. Anstatt diesen Ländern nun nachzueifern und ein eher traditionelles E-ID System einzuführen, kann man die Abstimmung vom letzten Sonntag auch als einzigartige Chance sehen. Die Schweiz hat nun die Gelegenheit, sich eine Führungsrolle in einer essentiellen Zukunftstechnologie zu sichern.
Letztes Jahr habe ich mich aus Überzeugung für die Prinzipien der Schweiz in meiner Wohngemeinde einbürgern lassen. Nun gemeinsam mit meiner Wahlheimat diese Prinzipien zur Basis der digitalen Welt zu machen, wäre für mich wahrlich ein Lebenstraum.
Aber egal, wer es am Ende macht: Wir brauchen eine E-ID, welche den Prinzipien der Schweiz gerecht wird.