Innovative Startups und etablierte Player – zum Beispiel Banken und Versicherer – können innerhalb von Kooperationen profitieren. Die einen bringen starke Ideen und frischen Wind, die anderen verfügen über die notwendigen Strukturen oder grosse Kundenstämme. Verstärker und beste Voraussetzungen für alle Beteiligten.
Kooperation auf Zeit oder dauerhafte Partnerschaften?
Ob Kooperationen Bestand haben, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Unter anderem auch von der gegenseitigen Unentbehrlichkeit und damit der positiv gemeinten Abhängigkeit der beiden Partner. Legen beide Parteien unterschiedliche Kompetenzen und Leistungen in die Waagschale, die der jeweils andere Partner nicht bringen kann, funktioniert die Kooperation auf Augenhöhe und kann langfristig Erfolg haben.
Ist die Leistung der Innovatoren und Ideenlieferanten hingegen ersetzbar oder leicht kopierbar, bleibt die Kooperation fragil und ist auf Dauer gefährdet. Etablierte Partner werden sich immer wieder mal die Frage stellen: Können wir das auch alleine?
Beispiel: Mietzinskautions-Bürgschaften
Vor acht Jahren hatte das Startup Gocaution eine gute Idee: Mieten ohne Depot. Statt einige Tausender für die Mietzinskaution hinzublättern und Kapital auf Jahre zu blockieren, kaufen Mieterinnen und Mieter gegen eine jährliche Gebühr ein Zertifikat, das dem Vermieter der Wohnung garantiert, dass ein Versicherer für das Mietzinsdepot in voller Höhe bürgt. Damit schliessen sie im Kern eine Versicherung für den Vermieter ab. Weil eine Versicherungs-Gesellschaft mit zum Spiel gehört, werden die Bürgschaften auch Mietkautions-Versicherungen genannt.
Gocaution hatte den Versicherer Generali mit im Boot und ist 2016 mit dem volldigitalen Prozess der Mietzinskautions-Bürgschaften gestartet.
Gute Ideen finden Nachahmer – oder es gibt schon Vorreiter
War das Startup Gocaution 2016 einer der innovativen Pioniere im digitalen Mietkautionsgeschäft, waren und sind heute mit Firstcaution, Swisscaution, Smartcaution und anderen zahlreiche weitere Player im Spiel. Unternehmen, die mit Versicherern verbandelt sind oder teilweise auch als deren Tochtergesellschaften im Markt operieren.
Dazu kommen Versicherungsgesellschaften, die direkt oder indirekt mitmischen, zum Beispiel Axa, Baloise, Helvetia, Mobiliar, Zurich und weitere.
Die Idee der Mietzinskaution war 2016 nicht ganz neu, andere Anbieter waren bereits einige Jahre vorher schon im Markt. Gocaution nimmt jedoch für sich in Anspruch, die erste digitale Mietkaution entwickelt zu haben. Nach eigenen Aussagen hat das Unternehmen seit seiner Gründung 70'000 Kundinnen und Kunden anziehen können.
Unabhängig davon, wer's erfunden hat, der Markt der Mietzinskautions-Bürgschaften ist heute eher dicht besetzt, von Startups, InsurTechs und vor allem von etablierten Versicherungsgesellschaften.
Gocaution im Rechtsstreit mit der Generali
Generali hat 2022 die Kooperation mit Gocaution aufgekündigt, die Zusammenarbeit ist Mitte 2023 beendet worden. Inzwischen ist mit dem Versicherer Uniqa eine neue Partnerin mit an Bord. Nach Aussagen von Gocaution blickt das Unternehmen optimistisch in die Zukunft und gibt an, dass das Neukundengeschäft im ersten Quartal 2024 auf Vorjahresniveau gehalten werden konnte.
Offenbar hat Gocaution durch die Trennung Blessuren davongetragen, ohne Nebengeräusche ging die Auflösung der Partnerschaft von der Generali nicht über die Bühne. Gocaution hat die frühere Partnerin verklagt und wirft ihr vor, dass die Trennung nicht partnerschaftlich erfolgt wäre. Generali hätte "wiederholt intransparent kommuniziert und damit nicht nur den Interessen von Gocaution geschadet, sondern auch bei vielen Kunden, Vermietern und Partnern von Gocaution für Verwirrung, Unsicherheit und eine falsche Wahrnehmung gesorgt".
Unsere Kollegen von Finews haben bei Viktor Bisang, GL-Mitglied bei Gocaution, in Erfahrung gebracht, dass es um einen Streitwert von etwa 10 Millionen Franken gehen würde. Zudem möchte Gocaution die Möglichkeit erhalten, den rund 33'000 Kunden, die dem Unternehmen durch den Generali-Rückzug verloren gingen, ein Angebot zum Bleiben unterbreiten zu können.
Mit der ausgewiesenen Zahl von 70'000 Gesamtkunden würde das rein rechnerisch bedeuten, dass mit dem Wegzug der Generali knapp die Hälfte der Kunden mitgezogen wäre.
Wie stark ist die Position von Startups bei Kooperationen mit etablierten Playern?
In unserem Artikel geht's nicht spezifisch um die Trennung von Gocaution und Generali. Mit den wahrscheinlich unterschiedlichen Betrachtungen und juristischen Details wird sich das Handelsgericht Bern beschäftigen. Möglichweise hat der Fall jedoch eine exemplarische Komponente, die auch für andere Startups wichtig sein kann.
Übergeordnet interessant – vielleicht sogar überlebenswichtig – sind im Zusammenhang mit Kooperationen einige grundsätzliche Fragen, die sich Startups stellen sollten. Zu Beginn der Kooperation und immer wieder zwischendurch. Zum Beispiel:
Sind Angebot und Leistungen des Startups stark und ausgeprägt genug, um auf Augenhöhe kooperieren zu können? Reichen eine gute Idee und ein digitaler Prozess – oder wird das Startup zunehmend entbehrlich, weil der etablierte Partner dieselben Leistungen genauso gut ohne Mitwirkung des Startups erbringen könnte? Was ist notwendig, welche Weiterentwicklungen helfen mit, um die Tragfähigkeit der eigenen Rolle halten oder stärken zu können? Sind die Kooperations-Verträge so ausgelegt, dass die Innovation des Startups geschützt bleibt und bei einer Trennung beide Partner ohne Schaden aus der bisher gemeinsamen Nummer rauskommen? Wem gehören im Falle einer Trennung die gemeinsam generierten Kunden?
Kooperationen zwischen Startups und etablierten Partnern bieten grossartige Chancen und neue Möglichkeiten für beide Seiten. Damit das auf Dauer so bleibt, sollte jede Kooperation immer wieder kritisch hinterfragt und deren Wert überprüft werden – aus Sicht und Perspektive von beiden Parteien.