Die Frage von oben ist insofern falsch gestellt, als Fragen dieser Art weder von Banken noch von Medien beantwortet werden sollten. Die Frage selbst darf deshalb durch die kundenzentrierte Überlegung ersetzt werden:
Mit welcher Lösung wollen Kunden mobil bezahlen? Eine Frage, die längst schon durch diese Kunden selbst und damit durch den Markt beantwortet worden ist. Nicht ein für allemal, für den Moment.
Die laufende Entwicklung ist deshalb nicht überraschend, sie ist vielmehr logisch, folgerichtig und schlicht eine Auswirkung von kundenzentriertem Handeln. Der Widerstand der Schweizer Banken gegen Apple Pay hat der Einsicht Platz gemacht, Kunden das zu bieten, was Kunden sich wünschen.
Wollen alle Kunden dasselbe?
Und nochmals eine falsch gestellte Frage, zumindest eine unnötige. Ganz unnötig allerdings insofern nicht, als diese Frage fast drei Jahre lang durch die apodiktisch anmutende Intention ersetzt worden ist: Kunden wollen Twint. Und falls doch nicht, haben sie es zu wollen. Deshalb haben Schweizer Banken, so wie deutsche Banken auch, mobile Bezahllösungen von Big Techs nicht unterstützt, um die jeweils eigenen Produkte zu portieren und zu "schützen". Im Falle der Schweizer Banken ist das Twint. Im Wissen darum, dass die Antwort auf eine niemals gestellte Frage mehr den eigenen Wünschen als jenen der Kunden folgt.
Eine Strategie, die noch vor einigen Jahren im Ansatz und nur gerade theoretisch hätte erfolgreich sein können. Unter der Voraussetzung, dass alle grossen Banken Europas geeint und gemeinsam eine mobile Bezahllösung entwickelt hätten, die in Sachen Komfort, Funktionen, Flexibilität und universellem Einsatz alles bisher Dagewesene und noch Kommende in den Schatten gestellt und deshalb alle Big Techs das Fürchten gelehrt hätte. Wie gesagt: Theorie. Deshalb gibt's diese Superlösung nicht, dafür Raum für Big Techs, der dann auch genutzt wird.
Eine Strategie ohne Aussicht auf Erfolg
Eine wirklich gute Idee ist es nicht, den Wunsch von Kunden nach mobilen Bezahllösungen exklusiv mit dem hauseigenen Produkt zu beantworten – aus mindestens drei Gründen.
Zum einen: Kunden mögen es nicht, wenn sie gegängelt werden und ihnen ein Produkt nach Wahl des Anbieters aufs Auge gedrückt werden soll.
Zum anderen: Der durchgesetzte Exlusivitätsanspruch von Twint war ein Schlag ins Wasser – überzeugte Apple Pay-Anhänger haben sich einfach eine Karte bei Cornèr Bank oder Swiss Bankers besorgt, welche Apple Pay vom Start weg unterstützt haben, und der Kartenumsatz ist an der Hausbank vorbeigeneriert worden.
Und zum Dritten: Ein wirklich gutes Produkt muss sich ohne Aussperrungs-Massnahmen von Drittanbietern durchsetzen – schafft es das nicht, ist es nicht gut genug und wird sich langfristig nicht halten können.
UBS als zentraler Pfeiler der Twint-Allianz ebenfalls an Bord von Apple Pay
Die Credit Suisse unterstützt bereits seit 2019 Apple Pay, die UBS hat letzte Woche auf Twitter kommuniziert, dass ihre Kunden die Lösung bald nutzen dürfen, Raiffeisen will im Sommer 2020 folgen. Zahlreiche Kantonalbanken sind schon länger dabei und auch Viseca-Karten verstehen sich mit Apple Pay.
Die Liste ist noch länger und sie wird auch in Zukunft wachsen. Kunden freut's, weil jetzt endlich das erlaubt ist, was Kunden von ihrer Bank erwarten: sie dürfen wählen. Ausnahme: Postfinance bleibt noch auf Widerstand, verteidigt Twint und zeigt Apple Pay weiterhin die kalte Schulter. Ob und wann diese (fast letzte) Bastion fällt, ist bisher nicht bekannt.
Was bedeutet die Öffnung der Schweizer Banken für Twint?
Ziemlich sicher hat die Öffnung der Banken für Apple Pay auf Twint vorderhand keine nennenswerten Auswirkungen. Twint hat sich als Lösung für den Einsatz in der Schweiz etabliert, hat Anfang 2020 die erreichte Marke von zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzern kommuniziert und wird offensichtlich geschätzt. Abzulesen unter anderem auch an den Kommentaren, als sich Twint und Digitec Galaxus in die Haare geraten sind und Twint Anfang März den Service abgeschaltet hat. Ein beträchtlicher Teil der kommentierenden Digitec-Kunden war gar nicht begeistert und hat sich für Twint stark gemacht.
Auch das ist ein weiterer Indikator dafür, dass ein Produkt weder geschützt noch durchgeboxt werden soll – ist es wirklich gut, findet es seine Kunden. Unter dem Segel der Freiwilligkeit möglicherweise sogar in grösserer Zahl als unter künstlich erzeugtem Druck mit Exklusivitätsanspruch ohne Alternative.
Verschiedene Konzepte begeistern unterschiedlich Nutzergruppen
Twint und Apple Pay lassen sich als mobile Bezahllösungen nicht direkt vergleichen. Die internationale, schnelle und komfortable Lösung aus dem Hause Apple tickt anders als Twint – beide Lösungen verfolgen unterschiedliche Konzepte, können nicht dasselbe und sprechen deshalb unterschiedliche Nutzergruppen an. Gibt's Überschneidungen, haben beide Apps auf dem Smartphone Platz.
Deshalb gehört es generell zu den klugen Entscheidungen, Kunden das zu bieten, was Kunden wollen. Und weil nicht alle Kunden dasselbe brauchen und wollen, ist Apple Pay nur bedingt eine Konkurrenz zu Twint, es ist ein anderes Produkt mit Vorzügen, die Twint nicht hat – und umgekehrt. Dasselbe gilt für Goole Pay, Samsung Pay, allen anderen Pays und irgendwann auch für Alipay. Deshalb kommt die Antwort für das eine oder das andere Produkt vom Markt – und damit von Kunden mit individuellen Wünschen. Wer diese verschiedenen Wünsche erfüllen kann, ist mit im Spiel. Wer sich diesen Wünschen verweigert, spielt in einer Nische, die irgendwann deutlich enger werden könnte.