Startups

Hat die Mobiliar tatsächlich 115 Millionen für Bexio bezahlt? Was macht das FinTech heute – und welcher Verfolger holt auf?

Das Team des FinTechs Bexio
Das Bexio-Team am Community Day 2019 (Foto: Bexio | Boris Baldinger)

Bexio hat als Pionier-Startup vor fünf Jahren die Buchhaltung und Administration für KMU extrem vereinfacht. Wo steht das FinTech mit seiner cloudbasierten Software heute?

Seit dem Verkauf von Bexio Mitte 2018 an die Mobiliar, ist vom erfolgreichen Startup nicht viel zu hören. Was bedeutet das? Setzt sich der Erfolg fort – wächst Bexio einfach lautlos weiter ohne viel Lärm zu machen?

Apropos Erfolg

Zum Zeitpunkt der Übernahme von Bexio durch die Mobiliar ist unter Konkurrenten etwas maliziös die These rumgereicht worden, Bexio wäre das Geld ausgegangen, deshalb müsste das FinTech sich unter den schützenden Schirm des Versicherers retten.

Das Gerücht ist kurz darauf durch ein nächstes abgelöst worden. Der wie gewohnt nicht publizierte Übernahmepreis soll von Analysten von Acuris (Mergermarket), mit Bezug auf zwei namentlich nicht genannte Quellen, auf 115 Millionen Franken beziffert worden sein. Diese Summe, die in keinem Verhältnis zur dannzumaligen Bewertung des Unternehmens stand, hat denn auch in gewissen Kreisen zu erhöhtem Puls, Schnappatmung und hitzigen Diskussionen geführt.

Von offizieller Seite ist weder das eine noch das andere Gerücht bestätigt worden. Die finanzielle Situation von Bexio beim Verkauf wie auch der effektiv bezahlte Übernahmepreis bleiben weiterhin unter Verschluss. Die Geschichte hat jedoch einen gewissen Charme – sie zeigt exemplarisch, wie schnell zurückgelehnte Boshaftigkeit durch Neid und rote Köpfe ersetzt werden kann.

Das FinTech unter der Flagge der Mobiliar

Bexio ist nach der Übernahme durch die Mobiliar eine eigenständige Firma geblieben und vorsätzlich nicht ins Mutterhaus integriert worden, um den Schwung des FinTechs nicht zu bremsen. Ob der Startup-Charakter als Tochter-Unternehmen des Versicherers wirklich erhalten geblieben ist, wissen nur die Macher um CEO Jeremias Meier, welche an Bord ihres FinTechs geblieben sind. Immerhin, den Schwung scheint Bexio nicht verloren zu haben.

Bexio tut das, was das FinTech immer schon gemacht hat: Wachsen

Waren zum Zeitpunkt des Verkaufs Mitte 2018 rund 15'000 Kunden mit an Bord, meldet das FinTech aktuell die geknackte Marke von 25'000 Kunden. Die Nutzer von Bexio zahlen je nach Paket zwischen CHF 29.– und CHF 99.– pro Monat. Die 25'000 Kunden dürften Bexio jährlich geschätzte 18 Millionen Franken in die Kasse spülen, Zusatzleistungen nicht eingerechnet.

Beachtlich für ein FinTech, das vor fünf Jahren gestartet ist, heute mit rund 100 Mitarbeitern operiert und mit angepassten Sprachversionen alle Landesteile der Schweiz bedient.

Das Produkt wird laufend weiterentwickelt, ein starker Fokus liegt auch auf der Multiplikatoren-Zielgruppe der Treuhänder. Rouven Mayer, Leiter operatives Geschäft bei Bexio, zum Thema:

Selbstverständlich arbeiten wir zudem intensiv an unserem Produkt, um die Zusammenarbeit zwischen Treuhändern und ihren Mandanten in der Zukunft noch weiter zu verbessern

Die Früchte des Dranbleibens sollen sich nach Angaben des Business Software-Anbieters mit "teilweise über 1'000 Neukunden pro Monat" zeigen.

Ein neuer Verfolger holt auf

Bexio ist nicht das einzige cloudbasierte Produkt im Markt, Sage, Abacus und weitere Anbieter mischen ebenfalls mit. Vor knapp einem Jahr hat sich ein neuer und ernstzunehmender Verfolger auf die Fährte des erfolgreichen FinTechs gesetzt:

Swiss21.org ist die kostenlose Software Suite für Startups und KMU, welche den Business Software-Markt auf den Kopf stellen will. Entwickelt und angeboten von einem Konsortium um Abacus, das heisst, sehr viel Erfahrung in Bezug auf Kundenwünsche, Software und Marketing mit an Bord des neuen Angreifers. Zudem: Kannibalisiert Abacus mit der Konsortiums-Lösung zum Nulltarif seine eigenen kostenpflichtigen Produkte, dann geschieht das mit Plan und Ziel.

Die Software Suite ist vor elf Monaten gestartet und wird nach Angaben der Anbieter heute bereits von über 15'000 Kunden genutzt. Damit schmilzt der Vorsprung von Bexio. Das Potenzial für Bexio und den Verfolger liegt in der grossen Gruppe der Startups und KMUs, welche ihre Erstlösung evaluieren oder mit ihrer bestehenden Lösung nicht zufrieden sind und wechseln möchten.

In den Leistungen vergleichbar, im Preis nicht

Das Software-Paket von Swiss21.org ist rund konzipiert, komplett ausgestaltet und operiert als Einsteiger-Lösung mit einem unschlagbaren Preisvorteil: es ist kostenlos. Und es bleibt auf Dauer kostenlos, sofern die magische "21" nicht angekratzt wird. Bei bis zu 2‘100 Belegen pro Jahr, 2‘100 Artikeln im Webshop, 2‘100 Kontakten und 21 Benutzern fallen für die Nutzung keinerlei Kosten an. Diese 21er-Regel ist insofern grosszügig ausgelegt, als Startups und Kleinunternehmen gar nicht oder nicht allzu schnell an Grenzen stossen werden.  

Swiss21.org ist in angepassten Sprach-Versionen in der Romandie und im Tessin verfügbar, so wie Bexio, und die Verfolger-Lösung bietet alles, was KMU brauchen. Auch Swiss21.org partnert mit einer wachsenden Zahl von Banken, um die Buchhaltung direkt mit den Geldflüssen im E-Banking der Kunden zu synchronisieren.

Wächst der Hunger der Kunden und soll die Einsteiger-Lösung mit Komfort-Funktionen erweitert werden, muss nicht dazuentwickelt werden. Bestehende Module aus der Abacus Softwareschmiede sind bereits vorhanden und können angedockt werden – nicht mehr kostenlos, aber zu tiefen und damit konkurrenzfähigen Preisen. 

Die nächsten Jahre werden zeigen, ob die Variante "gut und günstig" oder der Lockstoff "komplett und kostenlos mit Erweiterungsmöglichkeiten für die Zukunft" langfristig besser im Markt ankommen.