Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat kürzlich an einer Konferenz des Europäischen Systemrisikorats (ESRB) in Frankfurt mit ungewöhnlich offenen Worten seine expansive Geldpolitik verteidigt. Draghi meinte, nicht die niedrigen Zinsen allein würden die Erträge der Banken schmälern, in vielen Ländern der Euro-Zone wären schlicht zu viele Banken im Markt:
«Einige Banken müssen ihr Geschäftsmodell überdenken. Overbanking spielt für die schlechte Gewinnsituation der Banken eine Rolle.»
So viel zu sinkenden Erträgen und zur Vielzahl der Banken. Und wo liegen brachliegende Potenziale? Und was haben diese mit der digitalen Transformation zu tun?
Ungenutzte Potenziale und digitale Transformation
Ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "nur" mitarbeiten oder sich viel engagierter ins Unternehmen einbringen, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Zum Beispiel von der Kultur im Unternehmen, welche den Rahmen erweitert und gemeinsam entwickelte Innovationen zum lohnenden Ziel für alle Beteiligten macht.
Und: Digitale Transformation, gerade für den Finanzplatz Schweiz von zentraler Bedeutung, wird oft als zu digital verstanden. Der Ausgangspunkt mag in technologischen Entwicklungen liegen – im Zentrum stehen jedoch Menschen, Kunden, die Gesellschaft als Ganzes, das gesamte Unternehmen, Haltung, Kultur und mehr.
Vor allem jedoch: Digitale Transformation richtet sich in ihren Auswirkungen und Resultaten stark an jüngere Menschen der Generation Y und Folgegenerationen. Deshalb sicher eine gute Idee, genau diese Generationen als Takt- und Impulsgeber mit ins Boot zu holen und sie nicht nur als Zielgruppe zu betrachten. Wird die Zielgruppen nicht gefragt und nicht involviert, könnte das Falsche herauskommen und der ganze Aufwand wäre für die Katz'.
Zudem: Gelingt es, jüngere Menschen im Unternehmen in Projekte als engagierte Macher zu involvieren, steht kleineren und vor allem grösseren Unternehmen ein riesiger Pool an Mitstreitern, Ideen und Innovationen zur Verfügung. Mitentwickelt von der Zielgruppe als Macher, abgesichert durch die Zielgruppe als Nutzer.
Ein Beispiel und Projekt, das wirkungsvoll in diese Richtung zielt, wird von Joël Luc Cachelin (Geschäftsführer Wissensfabrik) in der September-Ausgabe von HR Today ausführlich beschrieben. Zentrale Punkte und Zitate im Überblick:
Organisationsentwicklungsprogramm "Leading with Impact"
Ursprünglich vom Startup Euforia gemeinsam mit Swisscom konzipiert, ist das Programm 2016 adaptiert, individualisiert und auf die Ziele und Besonderheiten von PostFinance als Finanzinstitut ausgerichtet worden.
Das laufende Programm steht unter der Führung von Valérie Schelker (Leiterin Arbeitswelt und HR bei PostFinance) und Helene Müller (Leiterin HR Strategie und Entwicklung bei PostFinance) mit dem Support von Chantal Calame, CEO, das heisst, Chief Euphoric Officer bei Euforia.
Der Kern des Programms
Dreissig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der PostFinance, durchwegs jünger als 30 und damit Angehörige der Generation Y, verbringen mehrere Tage mit dem höheren Kader, um gemeinsam Herausforderungen und Chancen der digitalen Zukunft zu diskutieren. Top Management und junge Wilde an einem Tisch. Ohne Unterschiede und Hierarchie – einzig das gemeinsame Thema und die Ziele zählen.
Vor dem Event werden Facilitators im Unternehmen ausgebildet. Facilitators bereiten den Event vor, begleiten das Programm und sichern nach dem Event durch definierte Prozesse den Transfer der Resultate in den Alltag des Unternehmens.
Beteiligte und Protagonisten: Thesen und Zitate
Tanja Lipak, Facilitator, PostFinance
«Wenn Euforia und eine Bank aufeinandertreffen, provoziert das zwangsläufig einen Kulturclash.»
Helene Müller, HR-Strategie und Entwicklung, PostFinance
«Ein wichtiger Erfolgsfaktor der Nutzung des Potenzials der Generation Y besteht darin, dass diese im Programm in der Überzahl ist. Erst dann gelingt es den Jungen, ihre Ideen einzubringen und ihre Abneigung gegen Autoritäten und Hierarchien abzulegen.»
Hansruedi Köng, CEO PostFinance
«Wir wollen bei digitalen Innovationen führend sein.»
Die Grundthese des Programms
"Eine höhere Vernetzung der Aussenwelt muss eine höhere Vernetzung der Innenwelt nach sich ziehen. Denn um in der digitalen Transformation zu bestehen, braucht es eine intensivere soziale, technologische und wirtschaftliche Vernetzung: neue Kooperationsformen, neue Hilfsmittel, mehr 1:1-Begegnungen."
Ein Mitarbeiter von Euforia
«Vielleicht ist Postfinance eben auch keine Bank im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr ein digitales Innovationszentrum.»
Resultate
Nach Aussagen der PostFinance schafft die ungezwungene Plattform den Boden, um über Hierarchieebenen hinweg neue Ideen zu entwickeln und Projekte auf den Weg zu bringen: «In passender Umgebung kann in kurzer Zeit eine riesige Innovationswolke entstehen, wobei einzelne Projekte bereits umgesetzt wurden.»
Was dabei herausgekommen ist, zeigt der ausführliche Artikel „Frischzellenkur“, den Joël Luc Cachelin von der Wissenfabrik in der September-Ausgabe von HR Today publiziert hat.
Sehr lesenswert. Auch als Beispiel dafür, dass digitale Transformation erstmal ziemlich analog beginnen kann und dann Erfolg verspricht, wenn Ressourcen und vor allem Menschen aus dem gesamten Unternehmen involviert werden. Nicht als Auftragsempfänger, vielmehr als Mittäter und Komplizen. Als begeisterte Innovatoren, welche das Unternehmen, jenseits klassischer Hierarchien und Strukturen, weiterentwickeln und mit vereinten Kräften vorwärtsbringen.
Joël Luc Cachelin: Artikel "Frischzellenkur" in HR Today
Euforia: "We engage the unengaged!"
Wissensfabrik: Think Tank für die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft
Stichworte zum Thema im Lexikon: Digitale Transformation | Generation Y | Generation X