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Jetzt tut sich etwas: Die Banken steigen ins Tokenisierungsgeschäft ein

Daniel Rutishauser, Head Blockchain Services bei inacta und David Fuchs, Head of Enterprise Adoption EMEA bei Tezos
Daniel Rutishauser, Head Blockchain Services bei Inacta und David Fuchs (r.), Head of Enterprise Adoption EMEA bei Tezos

Der Hype um Initial Coin Offerings hat sich gelegt. Jetzt nimmt die Tokenisierung – also die Emission von digitalen Vermögenswerten – Fahrt auf.

Auch mehrere Kantonalbanken arbeiten an entsprechenden Projekten, wie ein Insider weiss.

Autor: Marc Landis

In seinem Werk «Marketability and Value: Measuring the Illiquidity Discount» (Juli 2005) beschreibt Aswath Damodaran, dass ein börsennotiertes Unternehmen eine Liquiditätsprämie von 20 bis 30 Prozent gegenüber einem nicht börsennotierten Unternehmen aufweist. Das bedeutet, dass unter ansonsten gleichbleibenden Bedingungen ein Asset an Wert gewinnt, wenn es durch Verbriefung etwa an einer Börse handelbar gemacht wird. 

Tokenisierung ist in ihrem Kern nichts anders als die Verbriefung von Vermögenswerten – allerdings wird hier das Asset in Form eines sogenannten Tokens auf einer Blockchain- bzw. DLT-Infrastruktur verbrieft, welche die Aufbewahrung und Übertragung von Vermögenswerten vereinfacht sicherstellt. Der grosse Vorteil solcher Tokens ist, dass sie Fungibilität in bisher illiquide Assetklassen bringen, weil es einfach, kostengünstig und effizient möglich ist, einen Vermögenswert zu tokenisieren. «Angesichts dieser Argumente erstaunt es nicht, dass auch traditionelle Geldhäuser wie einige Schweizer Kantonalbanken sich konkret mit entsprechenden Projekten befassen», sagt Daniel Rutishauser, Head Blockchain Services beim Zuger Beratungsunternehmen Inacta. Rutishauser ist deshalb überzeugt, dass die Tokenisierung von Assets auf Blockchain-Technologie die Verbriefung von Wertschriften revolutionieren wird.

Damit das geschehen kann, braucht es entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Diese beschloss der Nationalrat auf Initiative des Bundesrats am 17. Juni 2020. Das Ziel der Vorlage ist es, die Rechtssicherheit zu erhöhen, Hürden für Blockchain-Anwendungen zu beseitigen und Missbrauchsrisiken zu begrenzen, wie Finanzminister Ueli Maurer nach der Abstimmung sagte. Die Gesetzesänderungen müssen nun noch vom Ständerat angenommen werden, was frühestens in der Herbstsession geschehen dürfte.

Obwohl es in der Schweiz noch keine entsprechende Gesetzgebung gibt, ist die Blockchain keine neue Erscheinung. Die erste Anwendung einer Blockchain datiert von 2009 und ist noch immer die bekannteste und auch diejenige mit der grössten Marktkapitalisierung: die Kryptowährung Bitcoin. Auf Platz zwei folgt die Ethereum-Plattform, die es sich zum Ziel gemacht hat, sogenannte Smart-Contracts – also automatisiert ablaufende Verträge – auf ihrer DLT-Infrastruktur abzubilden. 
Bei beiden gibt es aber einige systembedingte Probleme: Sie sind träge und lassen kaum technologische Weiterentwicklung zu. Zudem steht der hohe Energiebedarf bei der Validierung von neuen Einträgen auf der Blockchain mit dem sogenannten Proof-of-Work-Konsensus-Mechanismus (PoW) im Widerspruch zum aktuellen Zeitgeist. Dazu später mehr.

Für die Anwender einer PoW-Blockchain der ersten (Bitcoin) oder zweiten Generation (Ethereum) ergibt sich zudem ein Technologie-Risiko aufgrund sogenannter «Hard Forks», also Abspaltungen von der ursprünglichen Blockchain. Anwender einer solchen Blockchain müssen nach einem «Fork» entscheiden, welche Version sie künftig nutzen wollen – das kann mit hohem finanziellem sowie technologischem Aufwand verbunden sein. Nicht zu vernachlässigen ist auch das Risiko von Sicherheitsmängeln, die in der Vergangenheit etwa bei Ethereum zu zahlreichen Verlusten, teils in Millionenhöhe, geführt haben.

Diese Probleme hat das Tezos-Ökosystem auf ihrer Blockchain gelöst. Damit schickt sich Tezos an, mit seiner selbst entwickelten Smart-Contract-Infrastruktur die Übertragung von Werten auf der Blockchain zu revolutionieren – Blockchain 3.0 quasi.
Die Tezos-Stiftung, die im Zuge eines Fundraisings 2018 rund 230 Millionen US-Dollar eingesammelt hat – die Marktkapitalisierung ist mittlerweile um ein Vielfaches gestiegen –, investierte bisher rund 60 Millionen US-Dollar in Projekte. Heute gehört Tezos von der Kapitalisierung her zu den Top-10-Kryptowährungen weltweit.

Auf der Tezos-Blockchain, die als Plattform für Unternehmenskunden konzipiert ist, können unter anderem tokenisierte Vermögenswerte sicher und schnell übertragen werden. Dies ermöglicht das sogenannte Proof-of-Stake-Konsensus-Verfahren, das schneller als Proof of Work ist und gleichzeitig auch deutlich weniger Energie verbraucht.

Vereinfacht betrachtet, lässt sich der Proof-of-Stake-Mechanismus mit einer Aktiengesellschaft vergleichen – wer einen grösseren Anteil am Unternehmen besitzt, erhält mehr Stimmrechte, die zu Entscheidungen berechtigen, aber auch möglicherweise eine Entlohnung, das sogenannte Staking-Entgelt. Es verwundert deswegen nicht, dass auch andere Blockchains zum schnelleren und energieeffizienten Proof-of-Stake-Mechanismus übergehen möchten.

Wenn traditionelle Anlagen tokenisiert werden, bedeutet das auch die Demokratisierung beim Handel mit Vermögenswerten

Daniel Rutishauser, Head Blockchain Services Inacta

Tezos treibt Enterprise-Adoption voran

Für die Tezos-Stiftung in Zug, die das via Fundraising eingenommene Kapital verwaltet, geht es nun darum, das Tezos-Netzwerk um neue Partner zu erweitern und Unternehmen die Verwendung der Tezos-Blockchain interessant zu machen. Dafür holte Tezos David Fuchs an Bord, der viel Kapitalmarkt-Erfahrung mitbringt. Er wird als Head of Enterprise Adoption EMEA die Akzeptanz der Tezos-Technologie breit in der Unternehmenswelt verankern.

Für Fuchs ist klar, dass Tezos dafür die optimalen Voraussetzungen bietet: «Tezos ist Open Source, und Transaktionen gehen schnell. Zudem gehen Unternehmen, die Produkte oder Apps auf die Tezos-Blockchain bringen, viel geringeres Technologierisiko etwa durch Forks ein. Denn Tezos kann sich technologisch weiterentwickeln, ohne dass eine Fork nötig ist, und zwar indem die Besitzer der Tokens demokratisch über die nächste Protokolländerung abstimmen können. Das ist ein Gamechanger!»

Immobilien auf Tezos tokenisieren

Internationale Kunden wie die grösste Investmentbank Brasiliens, BTG Pactual, oder die Investmentfirma Dalma Capital aus Dubai nutzen das Tezos-Protokoll, um sogenannte Security Token Offerings (STOs) durchzuführen, also Wertschriften auf der Blockchain zu tokenisieren. «BTG Pactual ist auf die Tezos-Blockchain gekommen mit dem Ziel, einen Grossteil ihres Immobilienportefeuilles in Security Tokens zu wandeln. Dies, um über neue Absatzkanäle neue Investoren gewinnen zu können und diese am Erfolg partizipieren zu lassen», sagt Fuchs.

Immobilien sind ein gutes Beispiel dafür, wie Tokenisierung funktioniert: Der Wert eines Gebäudes wird in Form von Tokens verbrieft, in kleine Einheiten gestückelt und durch einen Smart Contract umgesetzt. Dieser kann etwa eine regelmässige Zinszahlung oder ein bestimmtes Nutzungsrecht beinhalten. 

«Es gibt viele Blockchain-Projekte im Real-Estate-Umfeld – Immobilienentwickler tokenisieren nicht nur bestehende Liegenschaften, sondern finanzieren auch ganze Bauprojekte über STOs», sagt Fuchs. Die Beschaffung von Geldmitteln über ein STO gilt mittlerweile nicht nur unter Blockchain-Enthusiasten als effiziente und kostengünstige Alternative zur traditionellen Finanzierung. 

Zahlungsverkehr auf Tezos

Für Fuchs stehen ausser der Immobilienbranche weitere Branchen im Fokus. Der ehemalige Börsen- und Bankmitarbeiter will bei Tezos insbesondere auch Finanzinstitute als Partner gewinnen, die etwa den Zahlungsverkehr auf der Tezos-Blockchain automatisieren könnten. «Ich bin überzeugt, dass wir Blockchain-Projekte mit traditionellen Instituten realisieren werden», sagt Fuchs. «Blockchain wird der Finanzindustrie helfen, die Verbriefung von Vermögenswerten effizienter, sicherer und schneller zu gestalten.» 

Die Tezos Foundation agiert dabei aber nicht als zentrale Stelle, sondern als Teil des Ökosystems, sagt Fuchs. «Wer zu uns kommt, für den finden wir die Partner, die am besten geeignet sind, ein entsprechendes Projekt umzusetzen. Wir bringen diejenigen zusammen, die Blockchain-Lösungen anbieten beziehungsweise suchen.»

Fuchs spricht die Sprache der Finanzinstitute

Als ehemaliger Banker kennt David Fuchs die Painpoints der Finanzinstitute, spricht deren Sprache und versteht gleichzeitig, welches die Vor- und Nachteile von Tezos für die Banken sind. Zudem ist er sich bewusst, was es bedeutet, sich in einem regulierten Markt zu bewegen. Überdies bringt er bei Tezos das Verständnis ins Unternehmen, wie die Finanzinstitute ticken und wie man deren Bedürfnisse erfüllen kann. «Viele Blockchain-Start-ups tun sich schwer, den nächsten Schritt zu machen und eine hohe Adoption zu erreichen, weil ihnen die Sicht der Unternehmen fehlt, mit denen die Blockchain-Projekte zu realisieren sind», sagt Fuchs, «aber ich weiss auch, dass sich viele Institute schwer damit tun, die richtigen Partner zu finden, um gemeinsam die Entwicklung und Innovation umzusetzen.»

Die richtigen Partner zu haben, ist auch für Tezos wichtig. Mit Partnern erweitert sich das Tezos-Netzwerk und es gehen Türen zu Kunden und Projekten auf, die sonst verschlossen blieben. «Nur mit Partnerschaften ist es möglich, eine breite Akzeptanz für Blockchain zu schaffen», ist sich Fuchs sicher.

Ein wichtiger Partner im Tezos-Netzwerk ist etwa Inacta, der die Entwicklung des Crypto Valley seit Anfang massgeblich mitprägt. «Wir arbeiten gerne mit Unternehmen zusammen, die schon einen gewissen Track-Record haben und über spezifisches Know-how verfügen. Das ist bei Implementierung und Beratung von Blockchain- bzw. DLT-Projekten zentral», sagt Fuchs.

Inacta baut Technologiekomponenten

Daniel Rutishauser sieht die Rolle Inactas in der Partnerschaft mit Tezos auch darin, Basiswissen rund um Blockchain und die damit verbundene Geschäftsmodell-Innovation zu vermitteln. «Wenn es darum geht, Wertschöpfungsketten auf der Blockchain zu bauen und Applikationen zu entwickeln, sind wir der richtige Ansprechpartner,» sagt Rutishauser, «Inacta kann Technologiekomponenten liefern, die es auf der Tezos-Blockchain noch nicht gibt.»

Über allem steht die Vision Tezos’, dass dereinst auch Privatnutzer via Smartphone-App auf digitalen Wallets gestückelte Anteile an Aktien, KMUs, Private Equity Fonds etc. erwerben und handeln können. «Wenn traditionelle Anlagen tokenisiert werden, bedeutet das auch die Demokratisierung beim Handel mit Vermögenswerten», sagt Daniel Rutishauser.

Die Mission von Tezos ist es derweil, die Technologie zu promoten und die Applikation im Gesamtökosystem weiterzuentwickeln. Man darf darauf gespannt sein, wie schnell Tezos wachsen wird.

Glossar

  • STO = das Security Token Offering (auch tokenisiertes IPO) ist eine Art öffentliches Angebot, bei dem tokenisierte digitale Wertpapiere, sogenannte Security Token, an Kryptowährungsbörsen verkauft werden
  • Token = digitaler Repräsentant eines Wertes auf einer Blockchain
  • Tokenisierung = digitale Verbriefung von Vermögenswerten auf einer Blockchain

Persönlich

David Fuchs ist Head of Enterprise Adoption EMEA bei der Tezos Foundation. Fuchs verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Finanzindustrie und war zuletzt als Senior Business Manager für Digitalisierung bei der Schweizer Bank Vontobel tätig, wo er die Blockchain- und DLT-Bemühungen des Unternehmens, den elektronischen Abwicklungsdienst, das Account Management bzw. den Verkauf von B2B-Produkten und -Dienstleistungen leitete. Vor seiner Tätigkeit bei Vontobel war er für die SIX Swiss Exchange, die Credit Suisse und als Berater für verschiedene Finanzdienstleistungsunternehmen tätig. (Quelle: Tezos)