Im Kern geht es noch weniger darum, jemandem durch Innovations-Gerangel die Stirn zu bieten – im Zentrum stehen vielmehr Sicherheit und Unabhängigkeit.
Die European Payments Initiative (EPI) ist 2020 mit der Idee gestartet, mit europäischen Schemes, Zahlungsnetzwerken und Infrastruktur die Vormachtsstellung von Visa, Mastercard und anderen Tech-Unternehmen zu brechen. Mit EPI-Karten sollten Zahlungsabwicklungen zwischen Händlern, Kunden und deren Banken schnell und reibungslos funktionieren, so der Plan.
Um die 30 Banken aus mehreren europäischen Ländern waren in wechselnder Besetzung mit ihm Boot, Zahlungsabwickler wie Wordline, Nets und Nexi ebenfalls. Die Unterstützung der europäischen Zentralbank EZB und der Europäischen Kommission war zugesichert, grünes Licht deshalb für das ambitionierte Mammut-Projekt.
Erste Früchte der gemeinsamen Arbeit wollte die EPI in Form von ausgegebenen Karten und Apps bereits 2022 im Markt ausrollen, als breit akzeptiertes europäisches Zahlungsmittel sollte EPI sich dann bis 2028 im Markt durchgesetzt haben.
Die EPI-Ampel steht aktuell auf Gelb
Das Prestige-Projekt der European Payments Initiative ist gut gedacht, sinnvoll und möglicherweise die letzte Chance für Europa, die Heimmärkte mit einem eigenen System zu besetzen.
Das ehrgeizige Projekt dürfte nun allerdings an der Finanzierung und an der schwindenden Zahl der involvierten Banken scheitern. Das eine hat mit dem anderen zu tun. Die beteiligten Banken müssten gemeinam Investitionen in Milliardenhöhe stemmen, um die europäische Zahlungslösung auf den Markt und zum Fliegen zu bringen. Und dieselben sowie auch weitere Banken wären die Brücken zu Millionen von Kundinnen und Kunden, welche die neuen Karten und Möglichkeiten auch nutzen sollen.
Hatten zuerst einige spanische und niederländische Banken die Lust am Projekt verloren, sehen sich nun auch die Commerzbank und neu die DZ Bank mit den Volks- und Raiffeisenbanken nicht mehr imstande, das Projekt mitzutragen. Dem Vernehmen nach sitzen aktuell nur noch acht Banken halbwegs sicher im Sattel der europäischen Zahlungsinitiative. Das wird nicht reichen, um das Projekt zu finanzieren und die neue Lösung in den kommenden Jahren erfolgreich in Europa einzuführen.
Mitte 2021 war die EPI-Chefin Martina Weimert noch zuversichtlich und überzeugt, dass die European Payments Initiative nicht an den Kosten scheitern würde. Genau dieser Punkt könnte jetzt jedoch das Aus für die EPI bedeuten.
In Europa ist weder Leidensdruck noch politischer Wille spürbar
Verschiedene teilnehmende Banken hatten auf Fördergelder gehofft, von Staaten gesprochen, um das ehrgeizige Projekt voranzutreiben und ins Ziel zu bringen. Diese Erwartungen haben sich zerschlagen. Zum Beispiel die deutsche Bundesregierung und anverwandte Kreise sind der Meinung, dass die EPI sich privatwirtschaftlich finanzieren müsse.
Ganz verwegen waren die Hoffnungen der Banken nicht, immerhin wäre ein flächendeckendes europäisches Zahlungssystem im Interesse von sämtlichen Staaten und damit auch der EU. Einmal mehr fehlt dafür aber schlicht der politische und wirtschaftliche Weitblick. Man sichert von allen Seiten Unterstützung zu, die sich jedoch in der Regel auf freundliches Interesse beschränkt. Die Vision und ein gemeinsamer Wille, sich mit zentralen europäischen Projekten technologisch unabhängig zu machen, ist nicht vorhanden. Die EU überlässt es einer Handvoll Banken, ein für Europa sehr wichtiges Projekt zu stemmen und zu finanzieren.
So wie Europa kein eigenes Betriebssystem für Smartphones und Mobilfunk entwickelt, so wird voraussichtlich auch die Idee eines europäischen Zahlungssystems eine kurz angedachte Vision bleiben. Europa nutzt in verschiedenen Bereichen amerikanische und chinesische Technologien und Systeme, wirtschaftet dadurch in völliger Abhängigkeit von den USA und von China, ohne auch nur den Versuch zu wagen, sich aus diesen Abhängigkeiten zu befreien. Bei zentralen Technologien, die am Lebensnerv von Finanz, Wirtschaft und Gesellschaft operieren, möglicherweise eine fahrlässige Unterlassung.
Wir malen kurz den Teufel an die Wand
Beziehungen zu Staaten und vor allem zu deren politischer Führung bleiben auf Dauer nicht unbedingt stabil. Zum Beispiel hat die vierjährige Ära Trump in den USA gezeigt, dass ein Land andere Staaten durch Drohungen, durch den Entzug von Technologie oder durch das Kappen von Lieferketten massiv unter Druck setzen kann.
Entweder hat die EU aus der exemplarischen Fallstudie nichts gelernt oder es fehlt schlicht an der Vorstellungskraft, dass unter veränderten politischen Kräfteverhältnissen auch Europa in den Fokus von Pressionen oder von technologischem Liebesentzug geraten könnte. Das erscheint, freundlich ausgedrückt, sehr seltsam – oder auch fahrlässig. Zumal die EU in den letzten Jahren auf dem politischen Parkett im Vergleich zu den Supermächten schon mehrfach demonstriert hat, dass sie mit spürbarer Unentschlossenheit agiert und deshalb mit kleineren Würfeln mitspielt. Das wird interessiert registriert und macht die EU und damit Europa zum dankbaren Ziel – und auch zur leicht knackbaren Nuss, sollte das Klima aus heute noch nicht erkennbaren Gründen einmal deutlich eisiger werden.
Unabhängig davon, es ist grundsätzlich ziemlich beunruhigend, wenn absolut zentrale Technologien, Software, Systeme und Netzwerke von einer einzigen Nation zur Verfügung gestellt, von der ganzen Welt genutzt und von einem einzigen Präsidenten eben auch verweigert werden können.
Die Lösungen und Systeme von Visa und Mastercard, die Technologien von Apple, Google, Alipay und anderen Tech-Unternehmen bringen Komfort und funktionieren perfekt. Spielregeln und Konditionen definieren andere, aber immerhin, Europa darf mitspielen und die Systeme nutzen. Das wird aus naheliegenden Gründen auch so bleiben, solange die Wirtschaft am On- und Off-Schalter sitzt. Geopolitische Entwicklungen und Ereignisse der letzten Jahre bis heute zeigen jedoch klar, dass Regierungen und Politiker jederzeit die Herrschaft über On und Off übernehmen können. Auch in Staaten, von denen man das bisher nicht erwartet hat.
Politische Führung, Weitsicht und Entscheidungen sind gefragt
Deshalb wäre es keine schlechte Idee, wenn die EU die privatwirtschaftliche European Payments Initiative zu einem EU-EPI-Projekt machen würde. Im Bereich der Zahlungssysteme wahrscheinlich die letzte Chance und Möglichkeit, mit den USA irgendwann (vielleicht) auf Augenhöhe zu kommen. Immerhin stellt die EU jeden Tag verschiedene Weichen für einen riesigen Markt von 450 Millionen Menschen. Dieser Markt und die damit verbundene Wirtschaft ist noch deutlich grösser, rechnet man Brexit- und europäische Nicht-EU-Staaten mit ein.
Dieser Bund von Staaten sollte ein vitales Interesse daran haben, direkt und eigenverantwortlich an den Schalthebeln zentraler Technologien und Systeme für den Zahlungsverkehr, für die mobile Kommunikation und für weitere Lebensnerv-Bereiche zu sitzen. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn diese Systeme in Europa entwickelt und betrieben werden.
Geschieht das nicht, werden wir möglicherweise irgendwann in unschönen Zusammenhängen einmal mehr den sattsam bekannten Politiker-Spruch zu hören bekommen: "Wie ist sowas möglich? Das haben wir nicht kommen sehen!" Dieser Spruch ist eines Politikers und jedes Parlaments nicht nur unwürdig, er ist schlicht nicht erlaubt. Zumal sogar halbwegs nüchterne Stammtischrunden in ihrer Wahrnehmung oftmals deutlich sensibler Entwicklungen in Varianten diskutieren und Konsequenzen als Möglichkeit kommen sehen.
Mit Verlaub: Politikerinnen und Politiker sind gewählt und hoch bezahlt, um Dinge kommen zu sehen. Deshalb sollten sie rechtzeitig die Weichen stellen, damit diese Dinge eben nicht geschehen. Das lässt sich in der Regel durch wirtschaftliche und politische Weitsicht, durch gesprochene Budgets und vor allem durch entschlossen angestossene Massnahmen verhindern.
Diese erwünschte und neue Dynamik sollte nicht allzu schwerfallen, zumal solche Dinge, die man nicht kommen sehen wollte, wiederholt schon andere Staaten in Bedrängnis gebracht haben. Eine kleine Prise Vorstellungskraft dazu genügt, um zu erkennen, dass auch Europa oder einzelne europäische Staaten sich unter veränderten Verhältnissen unerwartet schnell in unruhigen und sehr schwierigen Gewässern wiederfinden könnten.
Geschieht genau das nicht, kann das damit zusammenhängen, dass neu geschaffene Unabhängigkeit durch Innovation und Technologie offene Flanken für Repressionen rechtzeitig geschlossen hat.