Das internationale Journalistennetzwerk "Organized Crime and Corruption Reporting Project" (OCCRP) hat am Sonntag in einer konzertierten Medien-Aktion die bisherigen Ergebnisse einer offenbar gross angelegten Recherche publiziert. Unter dem Titel "Suisse Secrets" haben zahlreiche Journalisten des Konsortiums Teile von geleakten Daten aus über 18'000 Konten sowie Informationen von 30'000 Kontoinhabern der Credit Suisse veröffentlicht – nachzulesen auf der Website des OCCRP selbst sowie in Medien wie The Guardian, Le Monde, New York Times, Süddeutsche Zeitung (teilweise Paywall) und weiteren internationalen Blättern und TV-Sendern.
Der Inhalt der publizierten Daten und Recherchen
Nach der Akte "Suisse Secrets" des Konsortiums, bestehend aus über 160 Journalisten aus fast 50 internationalen Medien, soll die Credit Suisse autokratischen Staatsführern, Menschenhändlern und Kriminellen Konten gewährt haben. Insgesamt sollen auf zahlreichen Konten über 100 Milliarden Franken Vermögen gelegen haben. Die untersuchten Konten sollen über Jahrzehnte eröffnet worden sein, die Recherche geht bis ins Jahr 1940 zurück, zwei Drittel der Konten sollen allerdings nach dem Jahr 2000 eröffnet worden sein.
Details zu den bisherigen Recherchen hat das Konsortium sehr ausführlich in Form eines Dossiers mit zahlreichen Artikeln auf den Seiten des OCCRP zusammengestellt – dieses Dossier ist ohne Paywall frei zugänglich:
Woher die Daten stammen
Die "Süddeutsche Zeitung" hat offenbar vor einem Jahr einen umfangreichen Datensatz von einem anonymen Whistleblower zugespielt bekommen. Die brisanten Daten sind seither von zahlreichen Journalisten des Konsortiums OCCRP gesichtet und aufbereitet worden.
Die "Süddeutsche Zeitung" scheint nach eigenen Aussagen die anonyme Quelle selbst nicht zu kennen und betont, dass weder Geld geflossen noch andere Gegenleistungen für den umfangreichen Datensatz erbracht worden wären.
Der nicht bekannte Whistleblower hält das Schweizer Bankgeheimnis für "unmoralisch" mit dem Hinweis, dass Entwiciklungsländer "um dringend benötigte Steuereinnahmen" gebracht würden. Die anonyme Quelle rügt "die schändliche Rolle der Schweizer Banken als Kollaborateure von Steuerhinterziehern", nimmt dabei jedoch weniger die Banken selbst, als vielmehr das "Schweizer Rechtssystem" in die Verantwortung.
Warum keine Schweizer Medien an den Recherchen beteiligt sind
Das Netzwerk OCCRP kritisiert, dass es Schweizer Medien nicht möglich wäre, sich an derartigen Recherchen zu beteiligen. Journalistinnen und Journalisten könnten aufgrund eines im Jahr 2015 geschaffenen Gesetzesartikels wegen Recherchen und Publikationen im Zusammenhang mit geleakten Bankdaten strafrechtlich verfolgt werden. Eine Zuwiderhandlung könne mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.
Die internationale Empörung über dieses faktische Recherche- und Publikationsverbot für Schweizer Medien ist gross. Der "Tages-Anzeiger" geht zu diesem Punkt ins Detail, hier und hier.
Was die Credit Suisse zu den Vorwürfen sagt
In einer am Sonntagabend veröffentlichten Erklärung weist die Grossbank "die Vorwürfe und Unterstellungen bezüglich der angeblichen Geschäftspraktiken der Bank entschieden zurück". Die CS bezeichnet die dargestellten Sachverhalte als "überwiegend historischer Natur", die teilweise bis in die 1940er-Jahre zurückreichen würden.
Aufgrund zahlreicher Anfragen des Konsortiums innerhalb der letzten drei Wochen hätte die Credit Suisse eine grosse Anzahl von Konten überprüft, die möglicherweise mit den angesprochenen Themen in Verbindung stehen könnten. Die Bank erklärt, dass rund 90 Prozent der überprüften Konten geschlossen wären oder sich vor dem Zeitpunkt der Presseanfragen bereits im Prozess der Schliessung befunden hätten. 60 Prozent der Konten wären vor 2015 geschlossen worden. Die noch verbleibenden und heute noch aktiven Konten würden einer umfassenden Prüfung unterzogen, gegebenenfalls notwendige Schritte würden eingeleitet.
Die Credit Suisse bekräftigt, dass sie als führendes globales Finanzinstitut sich ihrer Verantwortung gegenüber Kunden und dem Finanzsysteme als Ganzes bewusst wäre und deshalb die höchsten Verhaltensstandards eingehalten würden.
Die Bank sieht die aktuellen Medienvorwürfe im Licht "eines konzertierten Versuchs, nicht nur die Bank, sondern auch den Schweizer Finanzplatz insgesamt zu diskreditieren, der sich in den letzten Jahren stark verändert" hätte.
Das Datenleck und seine Konsequenzen
Die Konsequenzen von "Suisse Secrets" sind im Moment nicht abschätzbar. Das Konsortium hat einen Teil der Recherchen zeitgleich in zahlreichen Medien weltweit publiziert, da kommt möglicherweise noch mehr.
Der Zeitpunkt für einen neuen Skandal, sofern die Recherchen von "Suisse Secrets" sich als solcher erweisen sollte, ist denkbar schlecht für die Credit Suisse. Die Bank ist vollauf beschäftigt mit der Aufarbeitung und Bewältigung der Skandale und Ereignisse der letzten Jahre.
Die internationale mediale Kraft von "Suisse Secrets" ist dermassen stark, dass unter den hoch gehenden Wogen der Akte die Credit Suisse und auch der Finanzplatz Schweiz zu leiden haben werden. Der Verlust der Kontrolle über die Daten von 18'000 Konten und Kundendaten wird zu weiteren Vertrauenverlusten führen. Sollten sich die durch das Konsortium erhobenen Vorwürfe erhärten oder weitere noch dazukommen, geraten Bank und der Finanzplatz Schweiz in einen medialen Strudel, der im Ergebnis mehrere Verlierer und noch nicht absehbare Verluste an Vertrauen und Reputation bringen kann.