Nach Informationen unserer Kollegen vom Handelsblatt (Paywall) ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin wegen Geldwäsche gegen vier Verwantwortliche von N26. Im Zentrum der Ermittlungen stehen betrügerische Konten oder die betrügerische Nutzung von Konten, die möglicherweise nicht schnell genug gesperrt worden sind.
Diese aktuelle Untersuchung, von der Behörde gegenüber dem "Handelsblatt" bestätigt, soll durch verschiedene Anzeigen von Kunden ausgelöst worden sein. Es scheint sich zu häufen, dass Kriminelle Konten bei N26 eröffnen, die dann zu betrügerischen Zwecken genutzt werden, zum Beispiel für Online-Fakeshops oder zur Geldwäsche. Verbraucher hätten beklagt, von ihnen gemeldete Konten seien nicht zeitnah gesperrt worden, sie fühlten sich deshalb auch von der Bank getäuscht, so das "Handelsblatt".
Durch die offenbar hohe Zahl der Anzeigen aus ganz Deutschland ist N26 nun direkt in den Fokus der Staatsanwaltschaft gerückt. Gegen welche vier Führungskräfte aus dem Hause N26 ermittelt wird und was ihnen konkret vorgeworfen werden soll, ist nicht bekannt. Wie die Kollegen vom "Handelsblatt" berichten, scheint es sich um "umfangreiche Ermitttlungen" in einem Verfahren zu handeln, das noch ziemlich am Anfang stehen soll.
Das bedeutet konkret, dass es noch sehr lange dauern kann, bis feststeht, ob überhaupt, gegen wen und mit welchen Vorwürfen ein Verfahren eröffnet werden soll. In Anbetracht der Vorgeschichte ist es nicht hoch wahrscheinlich, bleibt aber dennoch zumindest möglich: der Verdacht könnte sich auch in Luft auflösen. Die laufenden Ermittlungen sind jedoch sehr unangenehm und kommen für N26 in mehrfacher Hinsicht ungelegen. Das hoch finanzierte FinTech kokettiert seit längerem mit dem Gang an die Börse. Mit einem laufenden Ermittungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft und unter dem Joch der aktuellen Auflagen der Finanzaufsichtsbehörde BaFin dürften diese Pläne vorerst auf Eis gelegt werden.
N26 scheint bisher nicht mit der Staatsanwaltschaft in Kontakt zu stehen – zumindest äusserte eine Sprecherin der Neo-Bank gegenüber dem "Handelsblatt", dass N26 keine Informationen zu laufenden Ermittlungen bekannt wären. Ausserdem würde "die Erfassung potenzieller Betrugsfälle strengen regulatorischen Vorgaben folgen", Sachverhalte und Hinweise in diesen Zusammenhängen würden "mit höchster Priorität behandelt und unverzüglich bearbeitet".
N26 ist schon länger in unruhigen Gewässern unterwegs
Die erfolgreiche Neo-Bank ist in den letzten Jahren stark gewachsen und hat regelmässig positive und wiederholt auch negative Schlagzeilen geliefert. Offenbar haben Compliance und Risikomanagement mit dem schnellen Wachstum nicht Schritt gehalten. Die BaFin hatte deshalb schon früher ein Auge auf die Neo-Bank, 2021 ist die Behörde dann eingeschritten – mit einschneidenden Folgen für N26.
Es begann mit einer Busse, die BaFin setzte N26 zusätzlich zwei Sonderbeauftragte ins Haus und verhängte schliesslich noch eine Wachstumsbeschränkung über die Neo-Bank. Und nun bekommt das hängende Damoklesschwert durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch deutlich mehr an Gewicht.
Wie es kam: Die Chronologie der Ereignisse und einschränkenden Massnahmen
N26 hat sich in den letzten Jahren bereits mehrmals auf den Radar der BaFin gespielt. Ob durch blosse Nachlässigkeit oder durch die Probleme, die schnelles Wachstum mit sich bringen kann, bleibt dahingestellt.
Kritikpunkte und konkrete Auflagen der Aufsichtsbehörde sind offenbar von den eigenwilligen Gründern und CEOs grosszügiger ausgelegt worden als von der BaFin vorgesehen. Das hat einerseits zu einem Bussgeld in Höhe von 4.25 Millionen Euro geführt, verhängt von der Aufsichtsbehörde "wegen einer hohen Anzahl verspäteter Verdachtsmeldungen", vor allem jedoch zu weiteren verschärften Auflagen und zur Bestellung eines Sonderbeauftragten der BaFin, der die Anordnung vom Mai 2021 zur Prävention von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung überwachen soll.
Dicke Post von der BaFin hat die Neo-Bank N26 dann im Oktober 2021 erhalten. Eine Anordnung, die in ihren Konsequenzen deutlich einschneidener ist im Vergleich zum Verdikt vom Mai. Die BaFin setzt der N26 einen zweiten Sonderbeauftragten ins Haus, der die folgende Anordnung überwachen soll: N26 wird von der Aufsichtsbehörde dazu verpflichtet "...Massnahmen zu ergreifen, um wieder eine ordnungsgemässe Geschäftsorganisation herzustellen und Risiken für die operationelle Resilienz einzudämmen". Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Neo-Bank in der Betrachtung der BaFin aktuell nicht mit einer ordnungsgemässen Geschäftsorganisation unterwegs ist – für eine Bank ein knallharter Vorwurf.
Eine weitere damit verbundene Auflage trifft die Neo-Bank ins Mark ihres Geschäftsmodells: Die Aufsichtsbehörde hat "Massnahmen zur Risikominimierung angeordnet, die das Kundenwachstum und gewisse Risikopositionen begrenzen. Das Neukundenwachstum der N26 Bank GmbH wird materiell reduziert und ist auf 50'000 Neukunden pro Monat begrenzt. Zudem darf der Forderungswert an durch Immobilien besicherten Risikopositionen maximal 500'000'000 EUR betragen. Diese Begrenzung schliesst alle Länder ein, in denen die N26 Bank GmbH tätig ist."
Diese verordnete Wachstumsbeschränkung stutzt N26 die Flügel – für eine Neo-Bank, die von Skalierung und Wachstum lebt, ein drakonischer Eingriff. Die aus Sicht der BaFin offensichtlich nicht "ordnungsgemässe Geschäftsorganisation", die erst wieder hergestellt werden muss, konkretisiert die Aufsichtsbehörde zusätzlich – mit einer Bemerkung, welche irgendwie an die mahnenden Worte eines Lehrers erinnert, der übermütigen Jugendlichen Sinn und Zweck von Strafen klar machen will: "Die Wachstumsbeschränkung erlaubt der N26 Bank GmbH, ihre Ressourcen auch zur Stärkung der Kundenidentifikationsprozesse, des Transaktionsmonitorings und des Verdachtsmeldewesens verstärkt einzusetzen."
Wie es heute ist: Was tut eine Neo-Bank, die nur beschränkt wachsen darf?
N26 ist in den letzten Jahren sehr schnell gewachsen, hat heute über 7 Millionen Kundinnen und Kunden und ist weiterhin auf schnelles Wachstum abonniert. Die erst letzten Oktober eingesammelten 900 Millionen US-Dollar dürften von den Investoren als Wachstumfinanzierung und möglicherweise auch als Endstufe und Vorbereitung zu einem Börsengang gesprochen worden sein.
Im Moment darf die Neo-Bank jedoch nicht im selben Tempo wachsen wie bisher. Die Begrenzung auf 50'000 Kunden pro Monat öffnet alle Türen für die Konkurrenz und wirft massiv Sand ins Getriebe der Berliner Neo-Bank. Eine verordnete Wachstumsbremse ist eine absolut drakonische Massnahme und trifft ein FinTech, das Skaleneffekte realisieren muss, mitten ins Herz. Die Balance von Strategie, Ziel, Vorgehen und notwendigen Massnahmen ist momentan sehr instabil und praktisch ausser Kraft gesetzt.
2021 stand für N26 in mehrfacher Hinsicht nicht unter einem guten Stern. So gab das FinTech im November bekannt, das USA-Geschäft zu stoppen und 500'000 Kundenkonten aufzulösen. Der Start in Brasilien kann nur mit angezogener Handbremse erfolgen, die verordnete Wachstumsbremse gilt nicht nur für die N26-Kernmärkte in Europa, sondern weltweit. Auch die von verschiedenen Medien in den letzten Monaten mehrfach thematisierte hohe personelle Fluktuation bei N26, dürfte nicht zur Entspannung der Lage beitragen.
Ob die Wachstumslimite der BaFin, wie von N26 erhofft, in absehbarer Zeit aufgehoben wird, könnte durch die aktuellen Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft ebenfalls infrage gestellt sein. Die BaFin wird aufgrund von Vorwürfen der jüngeren Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal sehr vorsichtig operieren und verordnete Massnahmen erst dann aufheben, wenn sie sich auf der sicheren Seite sieht. Wirecard hat mit dem Fall von N26 nichts zu tun, mit der Vorsicht und der Zurückhaltung der BaFin hingegen schon.
Wohin es führen kann: Wie viel Sand im Getriebe verträgt eine Neo-Bank?
Diese Frage haben wir letzten November schon mal gestellt. Die Antwort fällt ähnlich aus, mit einigen zusätzlichen Schatten. Die Neo-Bank N26 operiert in diesen Tagen in einem sehr schwierigen Umfeld und befindet sich in einer misslichen Lage. Die Bank und ihr Management agieren in einem engen Korsett und verfügen über sehr wenig Raum, um ihre Kernstärken ausspielen zu können. Das ist Gift für ein FinTech, das im aktuellen Lebenszyklus zum bedingungslosen Wachsen verdammt ist. Die Möglichkeiten für dieses Wachstum sind jedoch massiv beschnitten, im Moment liegt der Fokus auf Konsolidierung, dem Abarbeiten von Strafaufgaben und den Vorbereitungen auf das Durchstarten nach der Phase der aktuellen Blockaden und Hindernisse, die sich auftürmen. Je nachdem, wie lange diese noch Phase andauern wird, darf man sich mehr oder weniger Sorgen machen.
Ob es für N26 bei einem schmerzhaftem Einschnitt mit Langzeitfolgen bleibt oder ob sich die Geschichte zum Super-GAU für das FinTech auswachsen kann, hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Wie stichhaltig sind die Verdachtsmomente der Berliner Staatsanwaltschaft? Zu welchem Ergebnis führen die Ermittlungen der Behörden? Wie lange ziehen sich die Ermittlungen hin, bis Klarheit herrscht? Wie verhält sich die BaFin und wie lange dauern die auferlegten Massnahmen an? Wie reagieren die Investoren, die mit ihrer hochfinanzierten Neo-Bank Kasse machen möchten? Spielt ein möglicher Imageverlust mit und bringt eine zusätzliche Wachstumsbremse für das FinTech?
Die erfolgsgewohnte Neo-Bank ist zumindest temporär angezählt, angeschlagen, punktuell drastisch ausgebremst und wird möglicherweise länger als gewünscht mit den momentanen Einschränkungen der BaFin leben müssen. Die beiden N26-Gründer Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal werden nicht darum herumkommen, für eine erfolgreiche Zukunft auch ihre eigenen Rollen zu überdenken. Dieselben Eigenschaften, welche die Neo-Bank gross und erfolgreich gemacht haben, zum Beispiel Eigenwilligkeit bis zur Eigensinnigkeit und konsequentes Durchdrücken eigener Vorstellungen, können einem FinTech in reiferen Phasen zum Verhängnis werden. Das werden Investoren, welche Milliarden investieren und die Neo-Bank mit Milliarden bewerten, nicht zulassen.