Ungewöhnlich hart, kompromisslos und trübe beurteilen die Analysten von Gartner die Zukunftsaussichten für weite Teile der Finanzindustrie.
Momentan findet das Gartner Symposium ITxpo in Australien statt. Im Rahmen dieses Symposiums haben die Marktforscher und Analysten ihre aktuellen Erkenntnisse und Prognosen präsentiert. Parallel dazu hat Gartner die Medien über die zentralen Ergebnisse im Detail informiert.
Wir fassen zusammen und bleiben dennoch ausführlich – die Brisanz dieser Prognosen verträgt sich nicht mit Kürze.
Gartners Prognose zur Zukunft der Finanzindustrie
Gartner sagt, die Digitalisierung werde die meisten traditionellen Finanzdienstleister "irrelevant machen". Bis zum Jahr 2030, so die Analysten von Gartner, werden 80 Prozent der traditionellen Finanzdienstleistungsungs-Unternehmen aus dem Geschäft aussteigen, in Massenprodukten aufgehen oder nur noch formell existieren, ohne kompetitiv agieren zu können.
Der Grund nach Meinung von Gartner: Der Kampf um Relevanz würde von weltweiten digitalen Plattformen, FinTech-Unternehmen und anderen nicht-traditionellen Playern entschieden. Diese würden ihre Marktanteile vergrössern durch Technologien, welche die Wirtschafts- und Geschäftsmodelle der Branche verändern würden.
Gartners Begründungen zur Prognose
David Furlonger, Vice President und Analyst bei Gartner, ist der Ansicht, dass Banken einem wachsenden Risiko des Scheiterns ausgesetzt sind, wenn sie die Geschäfts- und Betriebsmodelle des 20. Jahrhunderts beibehalten. Furlonger präzisiert:
Die Digitale Transformation ist weitgehend ein Mythos, da an institutionellen Denkweisen, Prozessen und Strukturen festgehalten wird
Eine mögliche Lösung formuliert David Furlonger in einer Empfehlung, welche in die Richtung von Ökosystemen und Open Banking weist:
Etablierte Finanzdienstleister werden sich im digitalen Geschäft schneller bewegen müssen, indem sie digitale Plattformen aufbauen oder Nischenprodukte und -dienstleistungen für den Verkauf auf anderen Plattformen finden
Kurzfristiges Wachstum statt nachhaltige Transformation?
Nach der Gartner CEO-Umfrage aus dem Jahr 2018 haben die CEOs von Finanzdienstleistern weiterhin das Umsatzwachstum priorisiert. Es gab dabei eine deutliche Verschiebung mit Betonung auf die Verbesserung von Effizienz und Produktivität sowie auf die Bedeutung des Managements als Wachstumshebel. Diese Verschiebung deutet nach Gartner darauf hin, dass das digitale Geschäft vor allem eine Kanal- und Transaktionsautomatisierung ist, welche auf Unternehmens-Optimierung fokussiert, statt auf Transformation.
Pete Redshaw, Practice Vice President bei Gartner, bezeichnet dieses Verhalten als gefährlich:
Diese Haltung unterschätzt den Grad der Veränderungen, welche die digitale Technologie der Branche bringen wird
Redshaw führt weiter aus, dass die Zukunft der Finanzdienstleistungsbranche zunehmend ohne "Ballast" funktionieren würde und nur wenige materielle Assets erforderlich wären, um eine Präsenz aufzubauen oder aufrechtzuerhalten. Darin erkennt er Gefahren für etablierte Finanzdienstleister:
Das macht die Branche besonders anfällig für Disruption durch digitale Mitbewerber
Darüber hinaus, so Redshaw, würden aufkommende Technologien (wie Blockchain) zusätzliche Transformationschancen bieten, indem sie Vertrauen zwischen Parteien schaffen, die sich nicht kennen – ohne zwischengeschaltete Beziehungen, die etablierte Finanzunternehmen pflegen. Gleichermassen könnten Peer-to-Peer-Konsensusalgorithmen Kreditnehmer direkt Kreditgebern zuordnen, ohne dass eine Bank als Vermittler notwendig wäre.
Zu starke Konzentration auf Technologie?
Pete Redshaw sieht den grössten Fehler, den CIOs bei Finanzdienstleistern machen können und auch machen, im folgenden Punkt: Sie wären zu sehr auf Technologie fokussiert. Redshaws Empfehlung: CIOs sollten in ihren Organisationen darauf drängen, dem digitale Business mit einer umfassenden und kohärenten Antwort zu begegnen. Redshaw fasst zusammen:
Es ist wichtig, die digitale Vision und das Ziel zuerst festzulegen und dann darüber nachzudenken, wie eine Organisation dortin geführt werden kann
Welche Felder besetzen die traditionellen Gewinner-Unternehmen?
Sind nach der Prognose von Gartner 80 Prozent der traditionellen Finanzdienstleistungs-Unternehmen im Jahr 2030 nicht mehr im Markt, gehören 20 Prozent zu den Gewinnern. Für diese Überlebenden sehen die Analysten drei Bereiche, welche diese Unternehmen erfolgreich besetzen werden:
Power-Law-Unternehmen
Diese Gruppe definiert Gartner als Unternehmen mit einer eigenen digitalen Plattform. Die kostengünstige Infrastruktur und die Kundeninformationen würden genutzt, um neue Services zu schaffen und neue Märkte zu erschliessen. Allerdings glaubt Gartner, dass nur gerade 5 Prozent der verbliebenen traditionellen Finanzdienstelster in der Lage sein werden, diese Richtung einzuschlagen.
FinTechs
FinTechs und Neo-Bank-Tochtergesellschaften werden nach Gartner traditionelle Finanzdienstleister in bestimmten Produktbereichen ersetzen. Diese Gruppe würde an digitalen Plattformen partizpieren, allerdings ohne sie zu besitzen. Gartner glaubt, dass weniger als 15 Prozent der traditionellen Unternehmen zu FinTechs werden oder über Spin-offs operieren können.
Long-Tail-Unternehmen
In diesem Zweig sieht Gartner Chancen für rund 80 Prozent der Gewinner der früheren traditionellen Finanzdienstleister. Die dramatisch niedrigeren Kosten, welche durch digitale Plattformen möglich werden, soll traditionellen Anbietern den Weg ebnen, als Service Broker zu agieren. Dies für grosse Bevölkerungsgruppen von nichtvermögenden und arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt, die zuvor keine profitablen Kunden waren. Gleichzeitig, so Gartner, könnten die Long-Tail-Unternehmen als Concierge-Anbieter von gebündelten Angeboten für vermögende Privatpersonen fungieren.
So viel zur doch eher aufsehenerregenden und ernüchternden Prognose von Gartner. Deren Analysten haben die nächsten 12 Jahre vorausgedacht und ihre Einschätzung abgeliefert, wie sich nach ihrer Betrachung die Finanzindustrie weltweit im Jahre 2030 präsentieren wird.
Ein letzter Gedanke zur Geschwindigkeit der Veränderungen
Gartner verweist in der Analyse darauf, dass die Geschwindigkeit der Digitalen Transformation in Finanzdienstleistungen zum Teil von der Regulierung sowie von demografischen Merkmalen und Verhaltensweisen der Kunden abhängen würde, die von Land zu Land variieren. In einigen Ländern würden konservative Vorschriften die Innovation hemmen, während andere Länder wie Australien, Brasilien, China, Indien und Grossbritannien die Regulierung zur Beschleunigung der Transformation nutzen würden.
Dieser Schlussgedanke von Gartner ändert nichts an der Prognose selbst, sondern öffnet lediglich mehrere Spuren auf der Autobahn der Digitalen Transformation, die unterschiedlich schnell befahren werden können.