Am Anfang tat die Finanzwelt alles, um sich nicht mit Internetwährungen abgeben zu müssen. Sinnbildlich für diese Haltung sagte Alan Greenspan, der frühere Chef der US-Notenbank, in einem Bloomberg-Fernsehinterview im Jahr 2013: «Es braucht schon eine schier unermessliche Vorstellungskraft, um den intrinsischen Wert von Bitcoin zu erfassen. Mir gelingt das nicht.» Dann versuchten die Kritiker die Technologie als unsicher und unausgereift darzustellen. Klar ist: Wie bei allen aufstrebenden technologischen Entwicklungen gab und gibt es auch bei Kryptowährungen Verbesserungspotenzial oder Probleme zu lösen.
Vordringlich zu nennen ist etwa der Umgang mit den Schlüsseln, die den Besitz von Bitcoins dokumentieren und auch zum Besitzübertrag notwendig sind. Selbst als Ignoranz keine Option mehr war, tat sich die Wirtschaft noch lange schwer, das disruptive Potenzial von Bitcoins und anderen Kryptowährungen angemessen zu würdigen. Viele hochrangige Bankmanager führten einen regelrechten Kreuzzug und brachten Bitcoins pauschal mit Kriminalität und Terrorfinanzierung in Verbindung.
Heute sehen sich viele Exponenten der Finanzwelt gezwungen, ihre negative Meinung zu Kryptowährungen zu überdenken. Bereits im September 2014 veröffentlichte die Bank of England einen Bericht, der die Blockchain-Technologie – auf welcher Kryptowährungen basieren – als «signifikante Innovation» mit weitreichenden Auswirkungen hervorhob. Nur um ein paar Monate später nachzulegen: «Die Schaffung eines solchen Systems könnte ein Protokoll hervorbringen, mit dem es im Internet möglich ist, den Besitz von Werten und deren Transfer sicher und transparent zu regeln, vergleichbar mit dem von Sir Tim Berners-Lee am Forschungszentrum Cern publizierten Werk zu den Grundlagen des Internets.»
Aufkommende Turbulenzen für etablierte Finanzinstitute
Bis zum Aufkommen der Blockchain war das Internet vor allem eine grossartige Infrastruktur für den Zugriff auf Informationen. Im herkömmlichen Web werden laufend Kopien der Daten erzeugt, ohne dass klar ist, welche davon das Original ist. Die Blockchain ändert dies: Sie ermöglicht es, den Besitz zu dokumentieren und den Transfer zu einem anderen Eigentümer sicher durchzuführen. Damit verlagern sich die Kernprozesse vieler Anwendungen in die Infrastruktur.
Beispiele dafür sind der Transfer von Werten, das Führen von Bankkonten oder Grundbüchern. Als Konsequenz sinken die Kosten signifikant. Sobald nun eine Organisation mit einer starken Marke und einem etablierten Sicherheitsimage dem Handel und seinen Kunden einen verlässlichen Blockchain-basierten Service zur Verfügung stellt, wird der Rest der Branche folgen. Gerade Banken fürchten diesen sogenannten Napster-Moment – den Zeitpunkt, wo eine etablierte Branche durch das Aufkommen einer neuen Plattformtechnologie komplett aus den Fugen gerät.
Mit den stumpfen Waffen der Vergangenheit ist einem solchen technologischen Umbruch nicht beizukommen, weil das damit verbundene Kundenerlebnis radikal einfacher und billiger wird. Entsprechend haben die Musikplattform Napster und ihre Nachkommen iTunes, Spotify und Netflix die Unterhaltungsbranche innerhalb weniger Jahre umgepflügt. Angesichts dieses Wandels schienen die etablierten Medienunternehmen wie gelähmt. Sie waren unfähig, ihre eigene DNA und Kultur rasch und entschieden so anzupassen, um die neuen Technologien als Katalysator des Wandels willkommen zu heissen.
Ähnliches droht heute der Finanzbranche. Derzeit wird auf Basis der Blockchain-Technologie eine Vielzahl von Smartphone-Applikationen entwickelt. Bald wird das Überweisen von Geld oder Eigentum – ohne traditionelle Bank oder Intermediär – so einfach sein wie ein Swipe von links nach rechts auf dem Smartphone. Bis dato hält sich die helvetische Wirtschaft noch vornehm damit zurück, solche Anwendungen auf den Markt zu bringen.
Die Dämme sind aber da und dort schon brüchig. Bereits über 70’000 Onlinehändler wickeln weltweit durchschnittlich fast 60’000 Blockchain-Transaktionen pro Tag ab, und Hunderte von Pizzerien weltweit akzeptieren inzwischen Bitcoins.
Auch in der Schweiz breiten sich Bitcoins und Blockchain-basierte Lösungen aus. So kann sich jeder an einem SBB-Ticketautomaten Bitcoins in sein digitales Portemonnaie laden und damit beispielsweise ein Bier im Sip’s Pub in Zürich-Oerlikon kaufen oder eine Rechnung an einem Onlineschalter des Kantons Zug begleichen. Der Zentralschweizer Kanton ist besonders gut positioniert, da sich dort mehrere Startups mit kryptografischer Expertise angesiedelt haben. Aus diesem Crypto Valley wollen sie nun die Welt erobern.
Technische Mängel als Challenge auf dem Weg zum Massenmarkt
Nebst der eigentlichen Geldüberweisung erleichtert die Blockchain-Technologie dank ihrer Transparenz und Abwicklungseffizienz auch die "Verifikation" und "Authentifizierung" der Handelspartner. Die Technologie wäre deshalb geradezu prädestiniert für die Digitalisierung des Grundbuchs oder den Handel mit Kunst, Antiquitäten und Liebhaberobjekten wie alte Uhren oder Oldtimerfahrzeuge – vorausgesetzt, die Bitcoin-Gemeinde findet Lösungen für die drei gravierendsten technischen Mängel.
So ist erstens der Stromverbrauch noch viel zu hoch: Eine Bitcoin-Transaktion verbraucht die gleiche Menge Strom wie zwei Schweizer Haushalte pro Tag. Zweitens ist die Kapazität mit gerade mal sieben Transaktionen pro Sekunde zu gering. Und schliesslich dauert die Bestätigungszeit einer Überweisung bis zu zehn Minuten.
Technische Entwicklungen wie das Lightning-Network könnten nun Abhilfe schaffen. «Die Kapazitätsgrenzen von Bitcoin wurden bisher zwar noch nicht erreicht, dem Anspruch als Zahlungssystem zur Verarbeitung von Milliarden Transaktionen genügt das Bitcoin-Netzwerk aber nicht ansatzweise», sagt Dani Fricker von der Zürcher Crypto Advisory Group. Verhindert wird eine umfängliche Skalierung der Bitcoin-Blockchain durch zwei grundsätzliche Probleme: Erstens wird jede einzelne Bitcoin-Transaktion im Hauptbuch - der Blockchain – verbucht, und zweitens müssen alle Zahlungen vom gesamten Netzwerk geprüft werden. Dies bringt zwar hohe Transparenz und Sicherheit mit sich, beeinträchtigt aber die Leistungsfähigkeit der Blockchain. «Das ist ungefähr so, als ob jede E-Mail an sämtliche Mailboxen im Internet verteilt würde, und der Empfänger muss die an ihn gerichteten Mails erst herausklauben», erklärt Fricker.
Dies sei äusserst ineffizient und verhindere den Einsatz von Bitcoin als massentaugliches Zahlungssystem. Dem steht auch die Volatilität der Transaktionsgebühren im Weg. Das Design der Bitcoin-Blockchain führte unlängst dazu, dass Transaktionsgebühren und Ausführungszeiten in die Höhe schossen. Zum Höhepunkt Ende Dezember 2017 konnte eine Zahlung auch mal 30 USD an Gebühren kosten und einige Stunden oder Tage in Anspruch nehmen.
Da diese Kosten nicht proportional, sondern per Transaktion anfallen, wurde eine Zahlung mit Bitcoins für kleine Beträge plötzlich uninteressant. Bitcoin-Anhänger setzten daher auf technologische Neuerungen. Unter anderem soll die Einführung des sogenannten Lightning-Netzwerkes (LN) helfen, die Nutzbarkeit als Zahlungsmittel im Alltag zu erhöhen.
Lightning Network als Hebel zur Skalierung
Das Lightning Netzwerk verspricht den Vorteil einer quasi unbeschränkten Skalierung von Bitcoin-Zahlungen. Bitcoin-Zahlungen werden nicht mehr direkt in der Bitcoin-Blockchain verbucht. Stattdessen soll zwischen zwei Parteien ein Zahlungs-Kanal eröffnet werden, über welchen auch Kleinstbeträge mit vernachlässigbaren Gebühren abgewickelt werden können. Wird der Kanal wieder geschlossen, bucht das System die jeweiligen Salden der Partner und nicht die einzelnen Transaktionen zurück in die Bitcoin-Blockchain.