Digitalisierung ist Chefsache

«Wegen Neo-Banken und den Big Techs sollten sich die Banken sorgen»

Thomas Wüst, Gründer und CEO, ti&m

Was müssen Banken tun, wenn sie gegen Revolut, Google und Co. bestehen wollen?

Interview: Marc Landis | Redaktion: Fabian Vogt

Es braucht optimierte Backends, moderne und offene Endkundenschnittstellen und vor allem viel Mut; das sagt ti&m-Gründer und CEO Thomas Wüst.

Welche Aufgaben müssen die Banken lösen, um für die Digitalisierung und neue Kundenerwartungen gerüstet zu sein?

Thomas Wüst: Es gibt zwei wichtige Rahmenbedingungen. Erstens: Die Negativzinsen sind gekommen, um zu bleiben. Zweitens werden die Margen für die Banken kleiner. Bisher hielten sie ihre Gewinne über Volumensteigerungen, das geht aber nicht mehr lange so weiter. Das bedeutet, dass sich die Banken stärker um ihre Prozesskosten kümmern müssen.

Ist die Digitalisierung das Mittel, um Kosten zu sparen?

Klar. In der Regel will man mit der Digitalisierung näher zum Kunden kommen. Aber Digitalisierung heisst genauso auch End-to-End-Prozessintegrationen. Und in diesem Kontext auch eine Konzentration auf das Wesentliche, nämlich auf differenzierende Dienstleistungen. Die Banken müssen sich davon lösen, dass beispielsweise Hypotheken bei einer Zürcher Kantonalbank anders funktionieren als bei einer Appenzeller Kantonalbank. So etwas muss standardisiert werden. Im Frontend hingegen muss die individualisierte Kundenschnittstelle verteidigt werden. Des Weiteren müssen die Banken agiler werden. Schnelle Veränderung sind sie bisher nicht gewohnt, eine andere, agilere Kultur als bisher wird da Abhilfe schaffen können.

Demnach macht es viel Sinn, Front-to-Back zu integrieren?

Der Front-to-Back-Approach ist aus meiner Sicht der einzig Erfolgversprechende. Unsere ti&m channel suite läuft in wenigen Tagen bei jedem Kunden, und wir können damit die Kundenschnittstelle individualisiert und modularisiert gestalten. Nach Bedarf können wir jedes Backend oder auch jeden Open Service anbinden. Eine Bank ist damit nicht erst nach drei Jahren live wie früher, sondern in wenigen Monaten, und dies auch noch End-to-End inklusive E-Banking und M-Banking, so der Kunde dies wünscht. Damit liegt der Fokus auf einer spannenden Kundenerfahrung und auf effizienten Prozessen.

 Banken müssen aufpassen, dass sie den Touchpoint zum Kunden nicht verlieren

Dort bekommen die Banken Konkurrenz von FinTechs.

Ich weiss, es wird immer von FinTechs geredet. Aber die sind derzeit nicht oder noch nicht relevant. Die traditionellen Banken sollten sich eher wegen Neo-Banken wie N26, Revolut und der grossen Internetkonzerne Sorgen machen. Die Neo-Banken haben bewiesen, dass sie in der Lage sind, Kunden zu gewinnen. Sie haben aber noch nicht gezeigt, dass sie auch Geld mit Bankdienstleistungen verdienen können. Zumindest noch nicht. Der Schweizer Markt ist aus meiner Sicht für diese Strategie jedoch zu klein. Die sinnvollen Angebote werden kommen, man sieht es bereits im Payment-Bereich. Dort müssen die Banken aufpassen, denn wenn sie diesen Touchpoint zum Kunden verlieren, verlieren sie die Datenschnittstelle.

Mit was für Problemen kommen die Kunden zu ti&m?

Wir bieten ein End-to-End-Angebot: Dies geht vom Consulting über das Design bis zum Entwickeln und Betreiben ganzer Projekte und Produkte. Entsprechend vielfältig sind die Anfragen. Derzeit sind die Cloud und Bankenlösungen aus der Cloud heraus grosse Themen. Die Kunden wollen wissen, welche Cloud-Strategien Sinn ergeben und vor allem, wie sie die Cloud so nutzen können, dass sie ihnen nachhaltig Vorteile bringt. Auch die bereits angesprochenen Touchpoints zum Kunden, eine gut abgestimmte Kombination aus digitaler und persönlicher Interaktion, sind sehr wichtig.

Die bestehenden Lösungen sind in der Regel nicht zukunftstauglich. Dementsprechend werden die Banken ihren Touchpoint Nummer eins – den E- und M-Banking-Bereich – im Verlauf der nächsten Jahre erneuern müssen. Das ist natürlich sehr spannend für ti&m, weil wir mit unserem E-Banking über das innovativste, coolste und offenste Produkt am Markt verfügen (lacht). Open-API-Banking, AI, Architekturen und die Optimierung von Prozesskosten sind ebenfalls viel gefragt.

Und was sagen Sie Ihren Kunden?

Banken müssen einen Tick mutiger werden. Es gilt, Dinge auszuprobieren und dabei kontinuierlich zu lernen und besser zu verstehen. Wir machen das selber auch, in sogenannten Garagen. Dort investieren wir zwischen 15 000 und 150 000 Franken in viel versprechende Ideen. Wenn sie dann doch nichts taugen, haben wir wenig Geld investiert und dafür viel gelernt. Solche «Garagen» kann man übrigens auch sehr gut in Kooperationen mit Partnern angehen. Dabei lernt man quasi nebenbei einiges über den Partner und dessen Kultur und Arbeitsweise. Allgemein müssen die Banken sich öffnen, miteinander sprechen und erkunden, wo Partnerschaften in Abwicklungsthemen Sinn machen.

Sie haben noch nicht von Blockchain gesprochen. Wie werden DLT und Kryptowährungen die Finanzindustrie beeinflussen?

Sie werden die Branche in den nächsten paar Jahren sicher nicht in dem Masse beeinflussen, wie es noch 2018 schien. Ich kenne kein Blockchain-Start-up, das heute Geld verdient. Geld machen nur Händler und Broker. Viele der Start-ups wussten zwar, wie sie in einem gehypten Markt an Investorengelder kommen, sie hatten aber keine Vision, wie sie nachhaltig am Markt bestehen können. Generell hat die Blockchain enormes Potenzial. Beispielsweise im Abbilden von Besitzverhältnissen und im Registergeschäft, das damit ohne Dritte abgewickelt werden kann. Auch im Emittentengeschäft oder im Bereich der Self Sovereign Identity besteht grosses Potenzial. Dort wird die Blockchain kommen, aber das wird seine Zeit brauchen.

Und die Krypto-Banken ?

Ich denke, ihr Geschäftsmodell besteht in der Haltung von Krypto-Assets. Bis vor ein paar Jahren wollte niemand etwas damit zu tun haben; heute haben viele Private-Banking-Kunden Krypto-Assets. Die Privatbanken wollen diese Anlagen aber nicht selbst halten, dort liegt die Chance für die Krypto-Banken. Aber die Welt erobern werden sie vorerst wohl nicht. Je mehr Assets tokenisiert sind, desto spannender werden Krypto-Banken werden.

Ich kann mir durchaus vorstellen, auch neuen Banken zu vertrauen. Sie zeigen viel Engagement und haben grosse Pläne ...

Natürlich, müssen sie ja. Aber der Schweizer Markt ist für Neo-Banken zwar attraktiv, doch nicht einfach. So verfügen bestehende rein Schweiz-basierte Neo-Banken bis anhin zwischen 0 und 20 000 Kunden, die oftmals nicht profitabel sind. Ich gehe davon aus, dass diese Schweizer Neo-Banken ihr Glück wohl eher in einer Exit-Strategie suchen und sich verkaufen werden.

Welche Zukunft sehen Sie für das Private Banking?

Es wird auch hier zu einer Technologisierung des Beratungsprozesses kommen. Heute verlässt sich der Kunde noch stark auf seinen Berater. Das wird sich langsam ändern. Dafür sorgt die jüngere Generation, aber auch bessere Investment-Tools. Ich will keine Power-Point-Präsentation mehr nach Hause nehmen, die mir zeigt, wie ich mein Geld investieren kann. Ich will direkt verschiedene Szenarien sehen, die darstellen, was mit welchen Investments möglich wäre. Die Banken sparen so grosse Dokumentationsaufwände, die sie besser in die Betreuung stecken und damit den Service verbessern und die Kosten senken. Gleichzeitig gewinnen sie Daten, die sie mit intelligenten Auswertungen in personalisierte Angebote überführen können. Das gibt es heute noch viel zu wenig.

Wie sehen Sie die Zukunft des Schweizer Finanzplatzes?

Der dürfte eher wachsen. Die Marke Schweiz ist doch exzellent als Standort für ein Geschäftsfeld, das mit Vertrauen zu tun hat, und darauf basierenden erfolgreichen Bankdienstleistungen. Zusammen mit einer sehr aktiven Technologiebranche, die die notwendige Innovationsfähigkeit einbringt, wird sich aus meiner Sicht der Bankenplatz Schweiz langfristig behaupten. Dafür müssen die Banken aber stärker zum Unternehmertum zurückfinden. Die letzten Jahre hat man sich eher geduckt, musste aufräumen. Das war auch richtig. Jetzt aber braucht es wieder Vorwärtsstrategien, die den eigenen Markt weiterentwickeln und auch schützen. Dazu müssen sich die Banken darauf besinnen, dass ihr Geschäft auf Vertrauen basiert. Wenn sie dies mit einer Innovationsstrategie und einer agilen Grundhaltung sinnvoll verbinden können, werden sie Erfolg haben – auch im Wettstreit mit internationalen Neo-Banken.


Digital Mindset

Auf einer Skala von 0 bis 10 :

Wie digital fit sind Sie?

  • 7

Wie digital fit ist Ihr Unternehmen?

  • 9

Wie sehr werden neue Technologien (wie AI, Machine Learning, Blockchain, AR/VR) die Branche verändern?

  • 8

Wie sehr möchten Sie als Opinion Leader in diese neuen Technologien für die Zukunft investieren?

  • 10

Vision 2050

Wie sieht Banking im Jahr 2050 aus? Warum ist ti&m dann noch wichtig ?

Wie das Banking dann aussehen wird, kann ich Ihnen nicht sagen, ich persönlich bin davon überzeugt, dass Vertrauens-, wohl aber weniger Abwicklungspartner auch in ferner Zukunft noch Relevanz haben werden. Aber ich bin sicher, ti&m wird genau dann noch wichtig sein, wenn wir bis dahin unsere Werte und unseren Spirit bewahren können. Ich weiss auch nicht, wie die Technologie im Jahre 2050 aussehen wird, aber ich bin sicher, dass Kompetenz, Unternehmertum und die Fähigkeit zu interdisziplinärer Zusammenarbeit und Innovation auch noch gefragt sind, wenn wir die Software per Brain-Interface auf einem Quantencomputer entwickeln.

Warum ist ti&m spannend für die Generationen Y und Z?

Bei uns hat man den Mut, das Wissen und die Methoden, eigene Produkte End-to-End zu realisieren, ohne Stückwerk und ohne Offshoring. Das macht uns innovativer und definitiv schneller, was sich positiv auf die Erfolgserlebnisse der Mitarbeiter und damit auf deren Zufriedenheit auswirkt. Bei ti&m wird ausserdem die Work-Life-Balance sehr ernst genommen. Wir haben mit Liquid Working ein Arbeitsmodell, bei dem das Pensum jederzeit unbürokratisch angepasst werden kann. Jeder kann beliebig oft Auszeiten nehmen und bestimmt so selbst, in welchem Umfang er oder sie mit uns zusammenarbeiten will.